Autor | Richard Ford | |
Titel | Frank | |
Originaltitel | Let Me Be Frank With You | |
Verlag | Hanser | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Frank. Dieser Titel ist längst überfällig für ein Buch von Richard Ford. Schließlich hat er Frank Bascombe erschaffen und durch bisher drei Romane begleitet: Der Sportreporter (1986), den preisgekrönten Unabhängigkeitstag (1995) und zuletzt Die Lage des Landes (2006). Christian Buß hat Frank Bascombe auf Spiegel Online treffend als „die hartnäckigste und zähste Figur des modernen amerikanischen Romans, ein Jedermann und Durchwurschtler mit erstaunlich komplexem Innenleben“ charakterisiert. Nun darf dieser Frank, im vierten Roman der Reihe, erstmals Titelheld sein.
Wir begegnen dem mittlerweile 68-Jährigen im November 2012. Zwei Wochen zuvor hat Hurrikan Sandy die US-Ostküste heimgesucht und unter anderem Franks ehemaliges Strandhaus in der Nähe von New Jersey völlig zerstört. Mittlerweile lebt er mit seiner Frau Sally zwar in Haddam, ein gutes Stück entfernt vom Auge des Sturms. Betroffen sind die beiden trotzdem. Die gesamte Gegend bietet „der Welt den traurigen Anblick einer Ansiedlung, die einen beinahe tödlichen Schlag aufs Maul bekommen hat“, stellt Frank fest, als er das ehemalige Domizil in Augenschein nimmt. Der aktuelle Besitzer des Häuschens hat sich bereits ratsuchend bei ihm gemeldet. Auch ein paar weitere Geister aus der Vergangenheit tauchen im Laufe des Romans auf.
Die beiden wichtigsten Themen des Buchs, Heimat und Vernichtung, sind damit bereits benannt. Man könnte Häuser und einen Wirbelsturm als plumpe Metaphern dafür empfinden, doch natürlich ist Richard Ford ein viel zu guter Autor, um einen solchen Vorwurf nicht entkräften zu können. Die Strandhäuser, Wohnhäuser, Altersheime und ehemaligen 70er-Jahre-Prachtbauten, in denen die Handlung spielt, halten wir für unser stabiles Zuhause, doch sie sind nur Durchgangsstationen, die weder physischen noch emotionalen Schutz bieten. „Das Geld rauscht herein, das Geld rauscht heraus. Nur die Häuser – grandios und still und mehr wert als ihre Hypotheken – sind Zeugen der Leben, die vorübergehend in ihnen stattfinden“, heißt es an einer Stelle. Gebäude sind in Frank einerseits Ausdruck für das unbestimmte Gefühl, unser Leben sei in vielen Bereichen überdimensioniert geworden, und andererseits Orte, an denen der Ich-Erzähler willkommene oder lästige Souvenirs seines bisherigen Lebens (und der treue Frank-Bascombe-Fan reizvolle Anspielungen auf die vorangegangenen Romane) findet.
Noch viel besser funktioniert das Motiv des Hurrikans in diesem Buch. Seine Folgen zu beobachten, fühlt sich für Frank Bascombe an, „als hätte das Unheil ein Loch in die Welt gerissen, an dessen Rand alles Zivilisierte und Zuversichtliche ins Taumeln gerät – Tatkraft, Bemühungen, Hoffnungen, Träume, Erinnerungen… und Gebäude sowieso -, alles in Gefahr, in einen Abwärtsstrudel zu geraten.“ Und dieses Gefühl von Ohnmacht und Trauer prägt die Atmosphäre des Buchs. Natürlich gibt es von Frank Bascombe auch diesmal wieder Komik und Zynismus, Beichten und Analysen. Natürlich erzählt Richard Ford, der genauso alt wie sein Ich-Erzähler ist, in einem unaufgeregten Ton, der wunderbar mit dem Motiv des Sturms kontrastiert. Aber Veränderung wird hier längst nicht mehr als Dynamik wahrgenommen, erst recht nicht mit einem angeblich typisch amerikanischen Fortschrittsglauben, sondern als Bedrohung, als ultimativer Ausdruck der Vergänglichkeit, auch der eigenen.
Frank Bascombe reagiert darauf mit dem Streben nach Reduktion. „Wenn man alt wird, so wie ich, lebt man sowieso weitgehend inmitten der Anhäufungen seines Lebens. Es passiert nicht mehr viel, außer an der medizinischen Front. Da empfehle ich Rückbau“, heißt es auf einer der ersten Seiten, später folgt sogar die Erfahrung: „Das Leben ist ein stetiges Wenigerwerden.“ Frank ist umgeben von enormer Komplexität und unberechenbaren Gewalten – und er ahnt, dass er beides nicht mehr bändigen kann. Deshalb will er sich abschotten und alles in seinem Umfeld reduzieren, vom Wortschatz bis zur Zahl seiner Freunde. Diese Weigerung, sich weiterzuentwickeln ist dabei untrüglich auch der Versuch, die Zeit anzuhalten und damit Krankheit, Siechtum und Tod zu entfliehen.
Die Lektüre wird deshalb mitunter düster, dennoch ist Frank ein Vergnügen, und zwar aufgrund der ungebrochenen Faszination seiner Titelfigur. „Frank Bascombes Stimme ist so einnehmend, so sinatrahaft samtig und lässig, dass man ihm einfach voller Glück zuhört“, hat die New York Review Of Books geschrieben, und Frank bestätigt das unnachahmlich. Man möchte so gerne alles von ihm über das Leben lernen, und in den besten Momenten des Buchs glaubt man auch, das könne gelingen.
Neben dieser persönlichen Ebene liefert Frank natürlich auch auf politischer Ebene enorm spannende Gedanken. „Wer etwas über amerikanische Gegenwart erfahren will, der lese Frank. Und am besten alle früheren Bascombe-Romane dazu. Sie gehören zum Besten, was über Amerika geschrieben wurde“, hat Sandra Kegel in der FAZ angemerkt. Man tut dieser Reihe sicherlich keine Gewalt an, wenn man sie als so etwas wie die Chronik der USA in der Post-Vietnam-Ära liest. In dieser Hinsicht zeigt der amerikanische Originalitel, der ebenso gut für dieses Buch passt wie der deutsche, eine wichtige Qualität auf: Let Me Be Frank With You. Richard Ford blickt diesmal bezeichnenderweise noch etwas unbarmherziger auf die Lage des Landes als zuvor – mit reichlich Nostalgie, aber viel mehr Reue als Optimismus.
Bestes Zitat: „Wer die Geschichte nicht kennt, hat kein höheres Risiko, die Geschichte zu wiederholen, als alle anderen, aber eine höhere Chance, sich in vielerlei Hinsicht besser zu fühlen.“