Autor | Richard Ford |
Titel | Unabhängigkeitstag |
Verlag | BVT |
Erscheinungsjahr | 1995 |
Bewertung | ***1/2 |
Frank Bascombe ist vielleicht der Prototyp unserer Zeit. Er ist verloren, ohne Heimat, ohne Lebensentwurf. Trotzdem schlummern in ihm ganz viele Ideale, Hoffnungen, Prinzipien. Mit kruden Ideen – und ganz ohne Gott – versucht er, in dieses Durcheinander eine Ordnung zu bekommen.
Frank Bascombe ist die Hauptfigur von Unabhängigkeitstag, dem fünften Roman von Richard Ford und mittleren Teil seiner Trilogie rund um eben jenen Protagonisten. Das Buch brachte Ford einen Pulitzer-Preis ein. Kein Wunder: Unabhängigkeitstag passt wunderbar in eine Zeit (und ein Land) auf der Suche nach Orientierung.
Bascombe, im ersten Teil der Trilogie noch Sportreporter, mittlerweile als Immobilienmakler tätig, hat eine geschiedene Frau, einen toten Sohn und nervende Klienten, die sich nie entscheiden können. Das Buch begleitet ihn am Wochenende des 4. Juli, das Bascombe gerne mit seinem 15-jährigen, enorm verhaltensauffälligen Sohn Paul verbringen will. „In drei Tagen hatte man mich nun einen Einbrecher, einen Priester, einen Homosexuellen, ein nervöses Hemd und einen Konservativen genannt, und nichts davon stimmte“, fasst er das Wochenende kurz vor Ende des Buches zusammen.
Doch so ereignisreich, wie diese Reihe klingen mag, ist das Buch keinesfalls. Auch der Feiertag spielt nicht nur quantitativ eine untergeordnete Rolle (nur 80 der insgesamt knapp 800 Seiten spielen tatsächlich am 4. Juli). Stattdessen ist der Roman eine Meditation, ein Tagebuch, der Versuch (auch wegen der gelegentlichen Wechsel des Ich-Erzählers auf die Meta-Ebene), Rechenschaft abzulegen.
Es geht um die Unfähigkeit, Glück zu finden in einer Welt, die sich mit nichts zufrieden gibt. Um die Schwierigkeit, als Vater ein Vorbild zu sein, wenn man sich selber gelegentlich zu kindischen Raufereien mit fatalen Folgen hinreißen lässt. Einmal wird zu meiner großen Freude sogar Stefan Edberg erwähnt, und ganz oft bilden Landschaften und Straßenzüge das Symbol unserer Zerrissenheit aus Bodenständigkeit, Gemeinschaft und Zuhause und dem Wunsch nach Individualität, Aufstieg und Isolation. Das Leben ist für Frank Bascombe eine „Reise an einen Ort, den ich nicht kenne, einen Ort, den es vielleicht nur in meiner Hoffnung gibt“.
Das alles ist nicht spannend, ereignisarm und manchmal etwas zu larmoyant. Doch es ist großartig erzählt, voller Humor und Weisheit und erschütternd ehrlich. Letztlich ist Unabhängigkeitstag dann auch doch der passende Titel für dieses Buch: Denn der 4. Juli ist für Frank Bascombe das, was er auch für die USA ist: der Versuch der Selbstvergewisserung und Sorglosigkeit inmitten von Chaos und Krise.
Beste Stelle: Frank Bascombe lernt in einem Motel eine Fremde namens Char kennen, und sein Versuch eines Flirts nimmt eine seltsame Wendung: „Char und ich bewegen uns rückwärts durch die Stufen der Vertraulichkeit. In einer Minute werden wir wieder Fremde sein.“