Autor | Sam Kean | |
Titel | Doppelhelix hält besser. Erstaunliches aus der Welt der Genetik | |
Originaltitel | The Violinist’s Thumb: And other lost tales of love, war and genius, as written by our genetic code | |
Verlag | Hoffmann und Campe | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
„Blame it on the genes“ – oft genug greift dieser Verweis zu kurz. Längst ist klar, dass nicht nur das Erbgut unser Sein bestimmt, sondern auch die Umwelt, beispielsweise die Erziehung oder Ernährung. Bei Sam Kean trifft der Satz aber auf jeden Fall zu. Denn seine Eltern hießen Gene und Jean – irgendein Gen/Gene/Jean wird also schon verantwortlich sein dafür, dass er so ist, wie er ist.
Mit dieser Anekdote beginnt der Wissenschaftsjournalist aus Washington, DC, der vor allem im New York Times Magazine schreibt, sein Buch Doppelhelix hält besser. Erstaunliches aus der Welt der Genetik. Der Einstieg ist typisch: Es gibt einige persönliche Passagen (am Ende berichtet Kean, dass sein eigener Genomtest ihm ein erhöhtes Risiko für eine Parkinson-Erkrankung attestiert) und es gibt viel Unterhaltsames. Vor allem aber gibt es eine ganz besondere Qualität: Kean erklärt die wissenschaftlichen Hintergründe sehr gut und findet viele originelle Sprachbilder, die enorm zur Verständlichkeit der biochemischen Prozesse beitragen. Fast noch besser erklärt er allerdings seine Motivation, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, seine Begeisterung für die DNA.
Doppelhelix hält besser ist in dem schwärmerischen Ton verfasst, den man auch von vielen US-Wissenschaftlern kennt. Aber Kean wird dabei niemals zu optimistisch in der sachlichen Bewertung oder blind beispielsweise für ethisch fragwürdige Konnotationen der Forschung. Was das Buch ausstrahlt, ist Leidenschaft, nicht Verblendung.
Er liefert dabei einen erstaunlich großen Anteil an Wissenschaftsgeschichte. Dieser historische Ansatz erweist sich als didaktisch sehr klug und als mindestens ebenso gewinnbringend für die Annäherung an das Thema wie seine Fähigkeit zum anschaulichen Erklären. Denn was er hier nachzeichnet, ist tatsächlich die Evolution der Genetik als wissenschaftliche Disziplin.
Der Leser erfährt von der sehr entscheidenden Rolle von Fruchtfliegen in Milchflaschen. Kean berichtet vom Rätsel um Paganinis meisterhaftes Geigenspiel, dessen Lösung wahrscheinlich mit einer Erbkrankheit zu tun hat. Er verrät, was man an Besonderheiten im Hirn von Einstein gefunden hat (oder eben nicht) und zeigt auf, wie Geschlechtskrankheiten womöglich der Evolution geholfen haben. Das ist manchmal Kuriositätensammlung, manchmal Horror-Kabinett, in jedem Fall aber eine gelungene Zusammenfassung von gut 150 Jahren genetischer Forschung.
Was stört, ist der manchmal arg saloppe Ton von Doppelhelix hält besser. Mikroben firmieren da schon einmal als „kleine Scheißkerle“ und beim Blick auf die Momente der Evolutionsgeschichte, in denen die Vorfahren des Menschen kurz vorm Aussterben standen, meint Kean: „Oft fehlte nicht viel und wir wären unseren Brüdern und Schwestern mit den dicken Augenbrauenwülsten in Darwins Mülltonne gefolgt.“ Diese Witzchen wirken eher anbiedernd als lustig und schwächen letztlich die Wirkung dieses Buches. Kean scheint zu glauben, er müsse den Leser bei einer so komplexen Materie regelmäßig mit flotten Sprüchen füttern, um ihn bei der Stange zu halten. Sein Buch zeigt, dass das überflüssig ist: Die Genetik an sich ist spannend genug.
Bestes Zitat: „Anders als vom Menschen geschaffene Bücher und Baupläne hat die DNA keine feste, bewusst zugewiesene Bedeutung – eher schon die Bedeutung, mit der wir sie anfüllen. Daher sollten wir die DNA nur mit Vorsicht deuten – nicht wie Prosa, sondern eher wie die nebulösen und weihevollen Äußerungen eines Orakels.“