Autor | Stephen Emmott |
Titel | Zehn Milliarden |
Verlag | Suhrkamp |
Erscheinungsjahr | 2013 |
Bewertung |
Das Ende der Welt. Das ist, zusammengefasst in vier Wörtern, das Thema von Stephen Emmotts Bestseller Zehn Milliarden. Der Microsoft-Forscher und Oxford-Professor für Computational Science zeigt in kompakter Form auf, wie der Mensch die Welt verändert und welche Folgen das haben wird. Klimawandel, Artensterben und Welternährung sind wichtige Stichwörter dabei. Seine nüchterne Schlussfolgerung: „Ich glaube, wir sind nicht mehr zu retten.“
Zehn Milliarden ist ein Buch, das man in gut einer Stunde lesen kann, das aber lange nachwirkt. Emmott trägt die aktuellsten Erkenntnisse der Naturwissenschaften zusammen, durchweg gut belegt und angereichert um eindrucksvolle Diagramme zu Themenfeldern wie Klima, Verkehr und Bevölkerung. Er setzt auf kurze Sätze, von denen fast jeder knallt und schmerzt wie ein Peitschenhieb. Zwischen den Sätzen und Absätzen gibt es viel Weißraum, der wie eine Mahnung wirkt: Denk mal darüber nach! Mach dir das einmal klar! Überlege mal, welche Schlüsse man daraus ziehen muss!
Fast alle Fakten und Entwicklungen, die er benennt, sind bereits allgemein anerkannt, ein erstaunlicher Effekt seines Buches ist allerdings die Wucht, die sich durch die kompakte Zusammenstellung ergibt. Emmott zeigt auf, dass die Erde ein hochgradig interdependentes System ist, extrem sensibel und verletzlich, und dass wir seit Jahrzehnten handeln, als sei sie unzerstörbar. „Der steigende Konsum von praktisch allem“ ist dafür in Emmotts Analyse ein wichtiger Treiber. Dieser findet seinen Ausdruck auch in den Fotos im Buch, die zeigen, wie überdimensioniert und monströs unsere Kultur geworden ist, beispielsweise beim Blick auf Landwirtschaft, Bergbau oder die Architektur unserer Städte.
Als wichtigsten Faktor für die bedrohliche Entwicklung hat Emmott das Bevölkerungswachstum ausgemacht. „Selbst wenn wir die Welt mit Atomkraftwerken überzögen, selbst wenn wir das Klimaproblem mithilfe von Geoengineering unter Kontrolle brächten, ja selbst, wenn es gelänge, unseren Konsum zu reduzieren – früher oder später werden wir doch gegen die Wand laufen, wenn die Weltbevölkerung weiterhin im jetzigen Tempo ansteigt“, stellt er klar. Aus aktuellen Prognosen diesbezüglich leitet sich auch der Titel seines Buches ab: Im Jahr 2100 werden wohl zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Eine so große Zahl ist kaum zu versorgen, betont der Autor, und er erwähnt auch: „Wenn sich an der weltweiten Geburtenrate nichts ändert, dann sind wir am Ende dieses Jahrhunderts nicht zehn Milliarden. Sondern 28 Milliarden.“
Dass er immer wieder aufzeigt, wie die einzelnen Fehlentwicklungen zusammenwirken, und dass sie sich nach wie vor beschleunigen, ist eine der Stärken seines Buches. Eine andere ist, dass Emmott anschaulich erklärt und ebenso deutliche wie drastische Formulierungen für seine Prognosen findet. Von einem intakten globalen Kohlenstoffkreislauf, dessen Funktionsweise durch den Klimawandel beeinträchtigt zu werden droht, „hängt ab, ob wir, und mit uns fast alle Tier- und Pflanzenarten, auf diesem Planeten überleben können oder nicht“, schreibt er beispielsweise. „Die Erde wäre die Hölle auf Erden“, lautet seine Schlussfolgerung, sollte sich ein weltweiter Temperaturanstieg um vier bis sechs Grad Celsius bewahrheiten. Und er warnt: „Ein Planet mit zehn Milliarden Menschen wird der reinste Albtraum sein.“
Gegen Ende schildert Emmott das Szenario eines Asteroiden, der irgendwann im Verlauf dieses Jahrhunderts auf den Planeten krachen und 70 Prozent des Lebens auf der Erde auslöschen wird. „Nun, das ist praktisch genau die Situation, in der wir uns heute befinden“, stellt er fest – der Asteroid sind wir selbst und unsere eigene Gier, unsere Unfähigkeit zur Rücksichtnahme auf unsere Umwelt und auf kommende Generationen. Es sind solche Aussagen, wegen derer die Times dieses Buch als »absolut fesselnd, entsetzlich einleuchtend« gelobt hat. Emmott diskutiert sehr wohl denkbare Lösungen, nämlich neue Technologien oder einen grundlegenden Verhaltenswandel. Doch er glaubt an keines von beiden. Dass er als Wissenschaftler auch keine allzu großen Hoffnungen in die Erkenntnisse und Fortschritte der Forschung setzt, ist überraschend – und macht seine düsteren Prognosen nur umso glaubhafter und bedrückender.
Zur Wirkung von Zehn Milliarden trägt letztlich auch bei, wie emotionslos dieses Buch geschrieben ist. Emmott nennt Fakten und zieht Schlüsse – sonst nichts. Die Empörung speist sich hier nicht aus der Liebe für die Natur oder die Mitmenschen, sondern aus der kränkenden, schockierenden Erkenntnis, dass wir intellektuell unfähig sind, auf den fatalen Wandel zu reagieren, den wir selbst in Gang gesetzt haben. Wir rasen auf die Wand zu, wir wissen es, und wir geben trotzdem noch Gas.
Bestes Zitat: „Während unsere Politiker, unsere Konzerne und unsere eigene Dummheit aller Voraussicht nach dafür sorgen werden, dass wir auf Gedeih und Verderb von Öl, Gas und Kohle abhängig bleiben, sollten wir uns kurz einmal klarmachen, dass Hunderte Millionen armer Menschen jeden Tag Holz verbrennen müssen, um über die Runden zu kommen.“