Autor | Susanne Schmidt |
Titel | Das Gesetz der Krise |
Verlag | Droemer |
Erscheinungsjahr | 2012 |
Bewertung | *** |
So weit ist es also gekommen. Wirtschaftsexperten schreiben Bücher, in denen sie die Banken, die Märkte und das absolute Gewinnstreben brandmarken. Susanne Schmidt ist eine solche Expertin. Die promovierte Nationalökonomin hat zwanzig Jahre lang in leitender Position für internationale Bankhäuser gearbeitet. Jetzt geht sie in Das Gesetz der Krise den Ursachen von Finanz- und Schuldenkrise auf den Grund. Die Autorin erkennt: Die Politik lässt sich nach wie vor vorführen von den Finanzmärkten – und setzt damit unseren Wohlstand und die Stabilität Europas aufs Spiel.
Dass dieses Buch letztlich zu einem einzigen Plädoyer für mehr Regulierung und für mehr Staat wird, zeigt vielleicht am deutlichsten, wie sehr die Akteure auf den internationalen Finanzmärkten den Bogen inzwischen überspannt haben. Wer jetzt noch an Einsicht, Freiwilligkeit oder Selbstheilungskräfte von Hedgefonds-Managern, Investmentbankern oder Derivatehändlern glaubt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Susanne Schmidt findet deutliche Worte für das asoziale Gebaren ihrer einstigen Kollegen. Sie kritisiert „Zombie-Banken“, die nur noch mit Staatsgeldern am Leben erhalten werden. Sie tritt für ein Gesundschrumpfen der Banken ein, die wieder Dienstleister für die Realwirtschaft sein sollen statt „Geschäfte als Selbstzweck zum eigenen Nutzen“ zu betreiben. Und sie schreibt vom „Paralleluniversum der Finanzakteure“, das sich immer weiter „von der eigentlichen Welt, der Welt der Realwirtschaft und der Haushaltsführung eines durchschnittlichen Bürgers“ entfernt. „Es fehlt den global agierenden Institutionen nach wie vor am Bewusstsein für verantwortungsvolles Handeln. Sie nutzen weiterhin jede Gelegenheit, den status quo aufrechtzuerhalten, nämlich Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren“, lautet ihre Diagnose.
Auch an anderen Stellen glänzt die Autorin mit dem Mut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Sie zeigt Zusammenhänge auf und liefert Lösungsvorschläge. Die wichtigste – und zugleich schockierendste – Erkenntnis von Das Gesetz der Krise ist aber, wie wenig die Politik bisher getan hat, um etwas an diesen Strukturen zu ändern. 2008 löste die Pleite der Lehman Brothers die internationale Finanzkrise aus, die seitdem weltweit 50 Millionen Arbeitsplätze zerstört hat. 2011 wurden die ersten Rettungsschirme aufgespannt, die mittlerweile Billionenhöhe erreicht haben. Doch weder wurden die Risiken beseitigt, die einen solchen Prozess erneut in Gang setzen könnten, noch wurde die Allmacht der Finanzmärkte entscheidend beschnitten. Zwischen den Zeilen dieses Buchs wird klar: Dass es insbesondere Deutschland (bisher) nicht noch viel schlimmer getroffen hat, ist fast ausschließlich den Maßnahmen der Europäischen Zentralbank zu verdanken, nicht den Regierungschefs.
Drei Gründe zeigt Susanne Schmidt dafür auf: Erstens hat die Politik keine Ahnung von den komplexen Mechanismen der Finanzmärkte – selbst manche Banker haben die nicht mehr oder hatten sie nie. Zweitens ist die Politik mittels der aktuellen Institutionen viel zu langsam, um auf das Marktgeschehen schlagkräftig reagieren zu können. Drittens, und das ist der entscheidende Grund, blockiert die Finanzlobby nach wie vor alle ernst gemeinten Reformversuche.
Eine erschütternde Erkenntnis beim Lesen von Das Gesetz der Krise: So hektisch das Marktgeschehen auch sein mag – fast alle Mechanismen, Risiken und Lösungen, die dieses Buch beschreibt, hätte man schon kurz nach der Lehman-Pleite erkennen und die Probleme umgehend angehen können. Doch seitdem ist praktisch nichts passiert. Das Einzige, was sich geändert hat: Neue Probleme sind dazu gekommen und die alten noch größer geworden.
Schmidt präsentiert am Ende ihres ersten Kapitels zehn Vorschläge zur Neuregulierung des Banken- und Finanzsystems, das zweite Kapitel schließt mit zehn Empfehlungen zum Abbau der Staatsverschuldung. Nichts davon hat den Anspruch, das lange gesuchte Allheilmittel zu sein, aber alle Vorschläge sind vollkommen einleuchtend – und auf jeden Fall besser als der Status Quo.
Einige Ideen kennt man bereits, etwa eine europäische Finanzaufsicht oder die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Andere sind neu, beispielsweise der Vorschlag, Staaten sollten bei ihren eigenen Aktivitäten am Finanzmarkt als Kreditnehmer oder Investoren nur noch mit Banken zusammenarbeiten, die sich halbwegs anständig verhalten. Warum sich kein Politiker findet, der wenigstens einen dieser Punkte entschlossen angeht, ist eine ebenso dringende wie beängstigende Frage.
Denn immer wieder macht Susanne Schmidt klar, wie gefährlich die Verstrickung von Staatsfinanzen und Finanzsystem ist. So stellt sie heraus, dass die europäische Schuldenkrise keineswegs durch jahrzehntelanges, unverantwortliches Haushalten von allzu großzügigen Finanzministern ausgelöst wurde. Vielmehr sei die Staatsverschuldung durch „die Finanzkrise, die Bankenrettung und die nachfolgende globale Rezession“ allerorten sprunghaft gestiegen. Wir zahlen also für die Rettung des Finanzsystems, damit es uns danach erneut erpressen kann.
Es ist eine der Stärken dieses Buches, dass Schmidt große fachliche Autorität beweist, die Zusammenhänge aber dennoch verständlich darstellt (ergänzt um ein hilfreiches Glossar). Für blutige Laien ist Das Gesetz der Krise nicht geeignet, aber wer zumindest gelegentlich einen Blick in den Wirtschaftsteil der Zeitung wirft, der kann ihren Ausführungen problemlos folgen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Szenario, das sie für den Fall des Austritts eines Lands aus der Euro-Zone entwirft. Bis ins Detail geht sie die möglichen (übrigens weitgehend verheerenden) Folgen durch, räumt dabei auch mit reichlich Propaganda auf und lässt so erkennen, was die vielleicht wichtigste Motivation für das Schreiben dieses Buches war: Susanne Schmidt möchte zeigen, wie gravierend die Probleme sind, und sie möchte eine vernünftige Grundlage schaffen, um sie sachlich diskutieren zu können. „Wir sollten uns als Bürger der Emotionalisierung und Moralisierung der Probleme machtvoll entgegenstellen, sie vernebeln den Blick auf die Urteilskraft“, schreibt sie.
Dazu gehört auch der Hinweis auf die unzulässige Verkürzung der Euro-Krise auf die wirtschaftliche Dimension. Sie erinnert daran, dass sowohl die EU als auch die Gemeinschaftswährung nicht wirtschaftliche, sondern in erster Linie politische Projekte waren. Ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone würde deshalb „das Aufgeben jahrzehntelanger politischer Bemühungen, das Scheitern im ganz großen Stil“ bedeuten.
Die Brücke schlägt die 66-jährige Autorin dabei auch zum Versagen der europäischen Institutionen. Sie thematisiert die Geburtsfehler der Europäischen Währungsunion, „das demokratische Defizit in der EU“ und führt die mangelnde Identifikation der europäischen Bürger mit der EU auch auf die zu schnelle EU-Erweiterung zurück. Zugleich kritisiert sie die Mittelmäßigkeit des Brüsseler und Straßburger Personals. „Das europäische Parlament muss eine Heimat auch für ambitionierte Politiker werden, statt zur Endstation für diejenigen, die es in der nationalen Politik nicht in die Top-Positionen geschafft haben.“
Derlei Systemkritik findet sich auch an anderen Stellen des Buchs. Gelegentlich würde man sich aber wünschen, dass Susanne Schmidt noch grundsätzlicher wird. Sie bewahrt fast immer eine realpolitische Perspektive, was ihre Analysen und Vorschläge greifbar macht. Aber an manchen Stellen wirken ihre Schlussforderungen deshalb auch zu kurz gedacht. So sind Wachstum, Rendite, Dividenden oder die grundlegenden Prinzipien der Kapitalmärkte für sie offensichtlich unantastbare Begriffe, dabei haben sie alle ebenfalls den Boden bereitet für die Krise, in der wir nun stecken.
Noch eine kleine Schwäche: Mitunter scheint Schmidt in Das Gesetz der Krise die Einflussmöglichkeiten der Politik zu überschätzen – kein Wunder, schließlich ist sie die Tochter eines Bundeskanzlers. Ein Beispiel: Im Falle von Griechenland weist sie korrekt darauf hin, dass es nicht nur ums Sparen gehen kann, weil das die Gefahr einer Negativspirale („Kaputtsparen“) birgt. Es braucht auch Wachstum, um wieder auf die Beine zu kommen. Aber wie soll in Griechenland von Seiten des Staates kalkuliert und investiert werden, um das Land konkurrenzfähig zu machen, nicht nur innerhalb der EU, sondern auch im globalen Wettbewerb? Auch noch bei Erhalt eines Lebensstandards auf EU-Niveau? Womöglich ist das ein Unterfangen, mit dem jede Regierung überfordert wäre.
Bestes Zitat: „Sämtliche finanziellen Krisen und Kriegsgefahren, die wir zurzeit beobachten, sind direkte Folgen der Banken- und Finanzkrise beziehungsweise zur Rettung des immer noch sehr ungesunden europäischen Bankensystems ergriffenen Maßnahmen. Im Grunde haben wir es mit der Bankenkrise zweitem Akt zu tun. Inhalt dieses zweiten Aktes ist die unheilvolle gegenseitige Abhängigkeit von Staaten und Banken, ihrer jeweiligen Kreditwürdigkeit und ihres Finanzierungsbedarfs.“
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