Autor | Sylvie Simmons | |
Titel | I’m Your Man. Das Leben des Leonard Cohen | |
Verlag | BTB | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
„In der Welt der Musik ist Leonard fast so etwas wie eine prophetische Stimme. Er ist eine Autorität von fast biblischer Größe. Für mich ist er der Mann, der vom Gipfel des Berges mit den Steintafeln zurückkehrt und dort oben mit den Engeln gesprochen hat“, hat The Edge einmal über Leonard Cohen gesagt. Sein U2-Bandkollege Bono schwärmte ebenso: „Wenn ich seine Songs höre, fühle ich mich jedes Mal beschenkt und beschämt. So düster er auch werden kann: Du spürst immer, dass Schönheit darin liegt, und dass Schönheit auch Wahrheit bedeutet.“
Einer solchen Figur kann man sich vielleicht nur mit der nötigen Ehrfurcht nähern, und darin liegt die Gefahr für alle Autoren, die sich an eine Leonard-Cohen-Biografie wagen. Man kann leicht eine Lobhudelei verfassen statt einer Lebensgeschichte. Auch Sylvie Simmons nimmt in I’m Your Man – Das Leben des Leonard Cohen unverkennbar eine bewundernde Perspektive ein. Die wirkt nach der Lektüre aber zum einen gerechtfertigt durch den Charakter dieses Mannes: Ganz oft ist von seiner leidenschaftlichen Suche nach Wahrheit die Rede, von seinen ausgezeichneten Manieren und seinem enormen Respekt vor den Mitmenschen.
Zum anderen hat sich die britische Musikjournalistin mit dem wertvollsten Schutzschild gewappnet, das es gegen das Verfassen einer naiven Hagiographie gibt: Recherche. Ihr Buch ist keine offizielle Biografie, hatte aber die Unterstützung von Leonard Cohen. Simmons hat für dieses Buch mit mehr als 100 Leuten aus seinem Umfeld gesprochen, von Produzenten und Musikern über Geliebte und Mentoren bis hin zu Freunden aus Kindertagen, natürlich auch mit Cohen selbst. Zu ihrem Material gehören außerdem etliche Fotos aus seiner privaten Sammlung sowie unzählige Interviews, unveröffentlichte Texte, Briefe, Studio-Archive und Tagebücher. Was die Recherchetiefe von I’m Your Man vielleicht am deutlichsten zeigt: Simmons hat nicht nur die Bücher gelesen, die Leonard Cohen geschrieben hat, sondern auch die, die Leonard Cohen zur jeweiligen Zeit gelesen hat.
Simmons schafft es auch, der zweiten großen Herausforderung gerecht zu werden, die eine Biografie des Mannes mit sich bringt, den Burkhard Spinnen einmal „den Schriftsteller, der sich in die Musik gerettet hat“ genannt hat: Ihr Buch ist sprachlich ein Genuss. Sie nähert sich ihrem Sujet sehr einfühlsam – und wird geradezu poetisch, wenn sie sein Werk (Literatur und Musik) beschreibt, das sie unsagbar tief durchdrungen hat.
Auch auf diese Weise schafft sie es, entscheidende Momente aus den fast 80 Jahren, aus denen in I’m Your Man berichtet wird, herauszugreifen und aus sehr verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Simmons erzählt dabei chronologisch, von der Kindheit in Montreal („Leonard führte ein angenehmes, sicheres Leben in einer unangenehmen, unsicheren Zeit.“) über die Zeit seiner ersten Erfolge als Dichter und Musiker und die Zeit als poetischer Womanizer bis hin zur Zeit als älterer Herr im Zen-Kloster.
Simmons gräbt einige bezeichnende Details aus. Etwa die Tatsache, dass Cohens Großvater (den er nicht mehr selbst kennenlernte) das Konzept einer „Aristokratie des Intellekts” entwickelt hatte – eine Idee, mit der sich sicherlich auch der Enkel gut anfreunden konnte. Sie erinnert daran, dass Leonard Cohen auf seiner ersten Plattenaufnahme nicht singt und nicht Gitarre spielt, sondern eigene Gedichte vorliest – und verweist so exemplarisch auf seine Verwandlung vom Dichter zum Songwriter und Popstar.
Nicht zuletzt zeigt sie mit etlichen Anekdoten, dass der Mann, der wie die Verkörperung von Gravitas und Seriosität daher kommt, der scheinbar sein Leben lang schon älter wirkte als er wirklich ist, auch Spaß kennt und das Abenteuer sucht: Seine Auftritte in Irrenhäusern sind ein Beispiel dafür, seine Experimente mit Drogen, sein Freiwilligeneinsatz als Pseudo-Spion mitten in der Kubakrise, nicht zuletzt die Freundschaften zu schillernden Persönlichkeiten vom späteren kanadischen Premierminister Pierre Trudeau bis zu Dennis Hopper.
Zugleich gelingt es ihr, die großen Leitlinien im Leben von Leonard Cohen sehr anschaulich nachzuzeichnen, oft unterfüttert durch treffend ausgewählte Zitate. Etwa beim Blick auf seine frühen, prägenden Einflüsse: Religion (sie war in seinem Elternhaus „so präsent wie das Wasser für einen Fisch“, heißt es gleich zu Beginn), Poesie („Wenn etwas auf bestimmte Weise gesagt wurde, dann schien es den Kosmos zu umarmen. Nicht nur mein Herz, alle Herzen waren daran beteiligt, und die Einsamkeit löste sich auf, und man fühlte, dass man diese leidende Kreatur inmitten eines leidenden Kosmos war, und der Schmerz war in Ordnung“, sagt er über den Moment, in dem er die Gedichte von Federico Garcia Lorca entdeckte) und Frauen (er schaffte es als Heranwachsender, das Hausmädchen zu hypnotisieren und sie dazu zu bringen, sich auszuziehen, gesteht er).
Es sind spannende Einblicke in das Leben eines Außenseiters, der ein Herz für Spinner hat, aber auch eine enorme Fähigkeit zum Mitgefühl allgemein. Und für den Selbstzweifel stets Begleiter blieben, egal wie groß Erfolg und Anerkennung sein mochten. Deutlich wird das etwa, wenn sich das Arbeiten im Studio immer wieder als Kampf erweist, nicht so sehr mit Produzenten oder Sessionmusikern, sondern mit seiner Kunst selbst: Cohen zweifelt an seiner Stimme und seinen Fähigkeiten als Gitarrist. Letztlich ringt er jahrzehntelang mit der Frage, ob er überhaupt ein legitimer Singer-Songwriter ist, ob es irgendein passendes Medium geben mochte, um das auszudrücken, was sich in ihm abspielte.
Dieses Streben nach Spiritualität, Seriosität, Intimität, Askese und Authentizität und das Ringen darum, all dies mit einem Leben als Popstar zu vereinen, arbeitet Sylvie Simmons in I’m Your Man sehr eindrucksvoll heraus. Es ist letztlich dieser lebenslange Kampf, der Leonard Cohen zu einer solchen Autorität gemacht hat – so sehr, dass bei ihm sogar der Versuch der Entsagung im Kloster allenfalls wunderlich, aber niemals lächerlich wirkte.
Das beste Zitat stammt von Leonard Cohen selbst und handelt vom Berühmtsein: „Man spürt ein Gefühl der Wichtigkeit im Herzen, das für das Schreiben von Dichtung absolut tödlich ist. Man kann sich nicht wichtig fühlen und gut schreiben.“