Autor*in | William Shaw | |
Titel | Abbey Road Murder Song | |
Originaltitel | A Song From Dead Lips | |
Verlag | Suhrkamp | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Bewertung |
Ein Kommissar, der alles im Griff hat? Davon kann in Abbey Road Murder Song keine Rede sein. Cathal Breen, seit 13 Jahren bei der Polizei, gilt bei seinen Kollegen als Trottel, als Außenseiter, als weltfremder, verklemmter Spießer. Jetzt soll er gemeinsam mit der jungen Kollegin Helen Tozer, die gerade erst zur Mordkommission gewechselt ist, den Mord an einer jungen Frau aufklären. Sie wurde nackt in einem Hinterhof gefunden, niemand weiß, wer sie ist. Und bei der Suche nach dem Täter verursachen Breen und Tozer zunächst eher weitere Todesfälle als dass sie welche aufklären.
Solche Missgeschicke sind typisch für den ersten Roman von William Shaw. Der Autor hat einen sehr genauen Blick für die Schwächen der Menschen, und die nötige Aufmerksamkeit für deren Macken und Tragödien ist ihm ebenso wichtig wie ein fein konstruierter, sehr spannender Polizeithriller. Immer wieder gibt es in Abbey Road Murder Song kleine Szenen, die nicht viel mit dem Fall zu tun haben und auch nicht unbedingt dazu dienen, den Leser hinsichtlich des möglichen Täters auf die falsche Fährte zu locken, aber das Geschehen sehr authentisch machen. Dass Shaw rund um dieses Ermittlerduo eine ganze Krimi-Reihe aufbauen möchte, darf man gerne als verheißungsvolles Versprechen auffassen.
Das gilt umso mehr, weil die Handlung im Swinging London des Oktobers 1968 angesiedelt ist. Es ist eine Ära, in der alle in Aufruhr sind: die Jugend, die Frauen, die Afrikaner. Kommissar Breen kann damit wenig anfangen: Er ist zwar selbst erst Anfang 30, aber er hatte seit Jahren quasi kein Privatleben mehr, weil er seinen kranken Vater bis zu dessen Tod gepflegt hat. Sein Kollege Carmichael ist sein einziger Freund, und beim Blick auf Beatniks und Hippies, die jetzt anscheinend die Welt regieren, wird Breen seine eigene Gestrigkeit klar: „Diese jungen Menschen lebten in einer anderen Welt. Männer wie er und Carmichael waren in der Hoffnung aufgewachsen, einmal bessere Anzüge zu tragen als ihre Väter. Diese hier wollten gar keine Anzüge tragen. Sie interessierten sich nicht dafür, Karriere zu machen, in die Welt der Erwachsenen einzutreten. Sie wollten niemals richtig erwachsen werden. Ihren Blicken nach zu urteilen, verachteten sie alles, wofür Breen stand, wobei er sich gar nicht so sicher war, ob er überhaupt für irgendetwas stand. Und möglicherweise steigerte das ihre Verachtung umso mehr.“
William Shaw reflektiert diesen Konflikt sehr geschickt, nicht nur auf der persönlichen Ebene, sondern auch auf der gesellschaftlichen. Immer wieder macht er klar: Trotz kurzer Röcke bei den Mädchen und langer Haare bei den Jungs sind Rassismus und Chauvinismus in dieser Zeit noch völlig normal. Das beweisen die Zeugenaussagen im Laufe der Ermittlungen, das Sprücheklopfen der Kollegen auf dem Polizeirevier, das eher von Neid und Langeweile getrieben ist als von einem heiteren Charakter, vor allem aber auch das Miteinander von Breen und Tozer, das erst von Misstrauen geprägt ist, dann von viel Humor und Neckereien. Tozer ist nur ein paar Jahre jünger als Breen, aber sie personifiziert den Puls der Zeit. „Weil man das so macht“, will Breen ihr an einer Stelle sein Vorgehen bei den Ermittlungen begründen. „Wir haben 1968, Sir. ‚Man macht’ kaum noch etwas so wie früher“, bekommt er von seiner vorlauten Kollegin zur Antwort.
Tozer wird spätestens dann zur wichtigen Stütze, als klar wird, dass über das tote Mädchen kaum etwas anderes in Erfahrung zu bringen ist als die Tatsache, dass sie Beatles-Fan war und womöglich regelmäßig mit hunderten anderen Fans vor den nahe gelegenen Abbey Road Studios herumlungerte, um einen Blick auf ihre Helden zu erhaschen. Die Ermittlungen führen in der Folge zum Beatles-Fanclub, später zu einer Gerichtsverhandlung gegen John Lennon und zum Haus von George Harrison.
Dieser Erzählstrang ist keineswegs Zufall, denn eine Vorliebe für Musik war bei William Shaw zu erwarten. Der Autor begann seine Karriere als Redakteur des Punk-Magazins ZigZag. Mittlerweile ist er für den Observer und die New York Times tätig und schreibt auch dort in erster Linie über Themen zwischen Pop- und Subkultur. Für Musik- und Beatles-Fans ist sein erster Roman deshalb ein besonderes Vergnügen. Aber auch für alle anderen, die einfach bloß originelle Krimis lieben, wird Abbey Road Murder Song ein spannendes, vielschichtiges Vergnügen.
Bestes Zitat: „Nichts ist so gefährlich wie ein Mann, der sich für überlegen hält.“