Künstler*in | Echt | |
Album | Freischwimmer | |
Label | Edel | |
Erscheinungsjahr | 1999 | |
Bewertung |
Als Echt im Jahr 2001 ihr drittes Album Recorder veröffentlichten, war das sogar der deutschen Ausgabe des Rolling Stone eine Rezension wert. Jan Wigger schrieb darin einerseits über die Phase, als das Quintett mit Freischwimmer die Spitze der deutschen Charts und Gold-Status erreichte: „Echt, die Ex-Schülerband mit Boygroup-Habitus, wurde plötzlich zum allgemein anerkannten und interessanten Pop-Phänomen.“ Andererseits weist er in seinem Text auch darauf hin: „Als Konzertbesucher bei den Stereophonics oder Sleater-Kinney wurden Mitglieder der Band bestenfalls belächelt.“
Es ist diese Diskrepanz, die das von Franz Plasa produzierte und in Brüssel und Hamburg aufgenommene Album am meisten prägt. Einerseits waren Kim Frank (Gesang), Kai Fischer (Gitarre), Andreas Puffpaff (Bass), Florian Sump (Schlagzeug) und Gunnar Astrup (Keyboard) bei Veröffentlichung dieser Platte eben noch blutjung. Der jüngste von ihnen war 17, der älteste 19, als die Platte in die Läden kam und dann fast ein Jahr lang in den deutschen Charts blieb.
Blättert man das Booklet durch, ist man an vielen Stellen geschockt davon, wenn einen da wieder ein Babyface anschaut, das schon nach dem im Jahr zuvor veröffentlichten Debütalbum mit reichlich Trubel, Aufmerksamkeit und nicht zuletzt auch Häme konfrontiert gewesen sein dürfte. Denn das Konzept einer Boygroup, die klar aus einer Teenager-Perspektive singt, aber nicht gecastet ist und ihre eigenen Instrumenten spielt, war damals hierzulande einfach noch nicht erprobt und für manche Fans „richtiger“ Pop-/Rock-Musik schwer zu schlucken. Und das führt zum Andererseits bei der Betrachtung von Freischwimmer: Echt wollten offensichtlich nichts lieber, als diese Zielgruppe davon zu überzeugen, dass sie erwachsen und kompetent sind (das hier enthaltene Instrumentalstück Frunk wirkt, als würden sie die offizielle IHK-Prüfung als versierte Rockmusiker absolvieren wollen), um im nächsten Schritt dann womöglich gar als cool anerkannt zu werden.
Die wichtigste Zutat dafür wäre (wie die Band es dann auf Recorder umsetzen sollte) Autorschaft gewesen. Zwar sind die fünf Musiker auch an vielen der Songs als Texter oder Komponisten beteiligt, insgesamt ist Freischwimmer aber noch deutlich von fremden Federn geprägt. Die besten Lieder steuert Michel van Dyke bei, auch Franz Plasa hat wieder sehr deutliche Spuren hinterlassen. Die einst von ihm entdeckten Selig bleiben als große Vorbilder und klangliche Referenz für Echt unverkennbar: Die Strophe von Es geht vorbei würde 1:1 zu Selig passen, ebenso wie die Wah-Wah-Effekte und die dezente Psychedelik, die es später darin noch gibt. Der Refrain hängt hingegen irgendwo zwischen Eleganz und Punch fest und kann sich für keins von beiden so recht entscheiden. Auch Kleine Wolke über einem französischen Mädchen wirkt wie ein Selig-Überbleibsel – und es ist erstaunlich, wie altmodisch dieser vom Bluesrock geprägte Sound in den Händen von fünf Teenagern ist, nicht nur aus heutiger Sicht, sondern schon für damalige Verhältnisse. Auch Lange Beine hätte mit seiner Ästhetik aus kernigem Riff, viel Hall, etwas spacigem Drive und hormonellem Taumel rund um Eifersucht und Autonomie auch schon in den 1970ern genau auf diese Weise vertont werden können.
Ganz klar ein Kind seiner Zeit ist hingegen 2010, das mit elektronischen Beats und Sprechgesang experimentiert, zugleich auch hörbar an Britpop (etwa The Verve) geschult ist. Der Text zeigt derweil einen Mix aus Optimismus und Unentschlossenheit, den kaum jemand sonst halbwegs glaubhaft hätte rüberbringen können als eine Gruppe von Noch-nicht-mal-20-Jährigen. Ähnlich funktioniert auch Ein Winter lang: Der Sound setzt nach dem zarten Beginn auf ein paar Modernismen wie Dub-Elemente,Tribal-Beats und einen mit Elektro-Wucht vergrößerten Refrain, der Text wirkt orientierungslos.
Dieses diffuse Gesamtbild ist einerseits verständlich bei so jungen Menschen, die zur Zeit von Freischwimmer bereits eine so turbulente Karriere hinter sich hatten. Es ist andererseits ein Charakteristikum, aus dem Echt vielleicht eine einzigartige Stärke und eine eigenständige Ästhetik hätten entwickeln können, hätte die Band länger überlebt als bis 2002. Ein Lied wie Halbwegs zeigt das: Es klingt so entspannt und unbestimmt, wie man nur sein kann, wenn man das Leben noch vor sich hat. Auch das komplett selbst geschriebene Vielleicht lieber morgen deutet das an mit dem perfekten Sound für das, was anno 1999 noch nicht „Prokrastination“ genannt wurde und natürlich ebenfalls ein Privileg der Jugend ist.
Diese Nummer ist musikalisch ein überzeugender Rocksong und zeigt textlich eine ähnliche Richtung: Es geht bei Echt nicht darum, die Dinge (und auch die eigenen Texte) bis ins Letzte zu durchdenken, es wird nicht gegrübelt und auch nicht sonderlich lange an einzelnen Gedanken oder Versen gefeilt. Vielmehr geht es um Unmittelbarkeit, Intuition, eine eher emotionale Verortung von Erlebnissen, auch wenn diese Herangehensweise schnell zu gebrochenen Herzen führen kann. Das ist so ungewöhnlich wie die Perspektive im (musikalisch wirkungsvollen, aber kalkuliert-leichtgewichtigen) Romeos. Es geht darin, wie in so vielen Popsongs, um den Kampf mit der eigenen Libido, aber hier wird er begleitet von Selbstzweifeln. Das Selbstbild ist nicht „Ich bin ein Popstar und kann / werde / will sie alle haben“, sondern „Ich bin nur einer von vielen, vielleicht sogar ungenügend für die Ansprüche meiner Traumfrau.“ Wer will, kann darin sicher eine zukunftsweisende männliche Sensibilität erkennen.
Und dann ist da ja noch Du trägst keine Liebe in dir, der Riesenhit und zugleich ein Song, der (damals wie heute) so viel mehr nach Klassiker klingt als nach Bravo TV, dass er Echt tatsächlich auf ein neues Niveau gehoben hat. Der elegante Shuffle-Beat sorgt ebenso für die Majestät dieses Stücks wie die tollen Streicher und vor allem die wundervollen Bläser. Genauso wichtig ist die emotionale Aufrichtigkeit und ein Aspekt, der Kim Frank zum perfekten Sänger für dieses Lied macht: Es geht hier nicht in erster Linie um Verführungsversuche oder Liebeskummer, sondern um Lehren, die man gezogen hat, Selbstwert, den man erarbeitet hat, Stolz, den man erkannt hat. Es geht, mit anderen Worten, um das amouröse Erwachsenwerden. Dass man Echt als Abschluss dieses Albums eine Coverversion der großen Ton Steine Scherben dann doch einigermaßen klaglos durchgehen ließ, kann die Band vielleicht als ihren größten Triumph in dieser Phase ihrer Karriere betrachten. Es ist auch kein Wunder: Weinst Du wird eine sehr schöne, romantische, feinfühlige und aufrichtige Neuinterpretation eines sehr schönen, romantischen, feinfühligen und aufrichtigen Liebeslieds.