Man kann sich fragen, was bei einer Band, bei der zwischen Plattendebüt und Auflösung nur vier Jahre lagen und die in dieser Zeit gerade zwei Top10-Singles und zwei Top5-Alben zustande gebracht hat, so signifikant und relevant gewesen sein soll, dass ihre Existenz gut 20 Jahre später eine dreiteilige ARD-Dokumentation rechtfertigt. Echt – Unsere Jugend, das die gemeinsame Musikkarriere von Kim Frank (Gesang), Kai Fischer (Gitarre), Andreas „Puffi“ Puffpaff (Bass), Florian „Flo“ Sump (Schlagzeug) und Gunnar Astrup (Keyboard) nachzeichnet, liefert fünf überzeugende Antworten auf diese Frage. Und zwar selbst für Menschen, die keine Fans von Echt waren oder sind.
Erstens: Die Doku funktioniert wunderbar als Zeitdokument der Jahre am Ende des vergangenen Jahrtausends.
Die drei Teile zeigen, wie sehr die Jugendkultur in Deutschland in den Jahren 1998 bis 2002, die hier im Zentrum stehen, im Wandel war. Auffallend ist dabei sowohl all das, was es (noch) gab, als auch all das, was es noch nicht gab. Man trifft hier tatsächlich noch auf engstirnige Rockfans, für die Echt keine „richtige“ Musik sind und die sich deshalb bei Konzerten allen Ernstes hitzige Diskussionen mit zwölfjährigen Mädchen im Publikum liefern. Am Kiosk findet man eine Jugendzeitschrift namens Popcorn, Harald Schmidt ist mit seiner täglichen Late Night Show der ultimative Tastemaker. Dafür gibt es keine Spur von Selfies, Spotify oder Social Media.
Zweitens: Echt – Unsere Jugend zeigt unfassbar viel bisher unveröffentlichtes Bildmaterial über die Band.
Sehr früh in ihrer Karriere bekommt die Band eine „Echt-Cam“ geschenkt, und vor allem Bassist Puffi nutzt diese fleißig als „Kamerakind“, um alle signifikanten Momente festzuhalten. Mehr als 250 Stunden Material entstehen damit. Die Zuschauer*innen werden so in die einmalige Lage versetzt, mit authentischen Aufnahmen aus dem innersten Kreis die Geschichte der Band verfolgen zu können. Zugleich bietet die Doku, in der Kim Frank als Erzähler, Regisseur, Drehbuchautor und Produzent agiert, alleine durch diese bisher unveröffentlichten Bilder einen enormen News-Wert. Erfreulicherweise wird dabei der Schneidetisch keineswegs genutzt, um die Vergangenheit zu beschönigen. Es gibt gleich mehrfach Pickel in Großaufnahme, es gibt Anekdoten über Masturbation im Hotel-Whirlpool und Ausschnitte aus dem Auftritt bei Bravo TV, in dem die fünf Jungs bei Dr. Sommer über ihr (peinliches oder noch ausstehendes) erstes Mal berichten. Echt filmen sich gegenseitig nackt auf dem Hotelbett, beim Kotzen und beim Kiffen. „Fünf Jungs, keine Schule, Musikmachen, auf dem Höhepunkt unserer Pubertät: Was kann es Geileres geben?“, wird das zusammengefasst. Aus den drei Teilen der Serie spricht eine Mischung aus Unsicherheit und Unbekümmertheit, die sicher typisch für diese Band war. Im Rückblick kann man vielleicht sagen: Hätte es damals schon Instagram oder TikTok gegeben, wären das vielleicht die Clips gewesen, die Echt dort hochgeladen hätten – bevor das Management mit der Zensur-Schere angerückt wäre.
Drittens: Die Karriere von Echt war kurz, aber einzigartig.
Als Echt 1998 ihr selbstbetiteltes Debütalbum veröffentlichen, mag das wie der Versuch gewirkt haben, eine deutsche Entsprechung von Hanson oder *NSYNC auf dem Markt zu platzieren. Aber sie sind da bereits seit vier Jahren eine Band und wurden schon als 10- und 11-Jährige in der Flensburger Heimat dicke Kumpels mit großen Träumen. Sie tanzen nicht zum Playback auf der Bühne, sondern spielen ihre eigenen Instrumente. Sie sind nicht gecastet, sondern beste Freunde. Sie werden auch nicht von einer Mega-Marketing-Maschine gepusht, sondern von Anfang bis Ende von einem Typen gemanagt, der auf dieselbe Schule ging wie sie, wenn auch ein paar Jahrgänge über ihnen. Damit heben sie sich ebenso von den bis dahin üblichen Vorlieben ihrer Zielgruppe ab (in den Bravo-Charts dominieren damals Acts wie die Kelly Family, die Backstreet Boys, Caught In The Act oder Blümchen und Tic, Tac, Toe) wie mit ihrem von Gitarrenrock geprägten Sound. Dass sie live anfangs Lieder von Selig covern (mit denen sie sich auch Produzent Franz Plasa teilen) ist noch heute ebenso gut erkennbar wie die Spuren, die eine England-Reise im Jahr 1995 hinterlassen hat, also zur Blütezeit des Britpop. Damals reisten sie als Schulband noch unter dem Namen „Seven Up“ im Rahmen eines Austauschprogramms auf die Insel und spielten dort auch Konzerte. Elemente wie der Rahmen um das Bandlogo, die Baggy-Klamotten, der Sänger mit Tamburin und Fellkragen-Parka auf der Bühne, die man nun in dieser Dokumentation sehen kann, sind offenkundig an Oasis geschult. Noch signifikanter ist ein Effekt, den man auch als wichtigen Erfolgsfaktor bei Viva betrachten darf: Dort sind damals tatsächlich erstmals echte Teenies als VJs zu sehen, die deutsches Musikfernsehen für ihresgleichen machen. Genauso funktioniert der Appeal von Echt: Die Fans müssen nicht Stars aus Übersee anhimmeln oder Jungs, die ihre Pubertät längst hinter sich haben. Als bei Echt die erste nationale Popularität einsetzt, sind sie zwischen 16 und 18 Jahre alt, sie gehen anfangs parallel zum Musikerleben noch zur Schule. So viel biografische Augenhöhe zwischen Künstlern und Publikum ist tatsächlich noch nie dagewesen, und es ist kein Wunder, dass sich die Erfolge von Echt und Viva fortan gegenseitig verstärken, bis hin zur – hier ebenfalls recht ausführlich betrachteten – Romanze zwischen Sänger Kim Frank und Viva-Moderatorin Enie van de Meiklokjes.
Viertens: Der Rückblick auf die Karriere von Echt eröffnet neue Perspektiven auf die Band und zeigt ungeahnte Widersprüche.
Als Leitmotiv durch die Dokumentation zieht sich der Kampf dieser fünf Jungs um künstlerische Anerkennung, und insbesondere die Aufnahmen aus dem Innenleben von Echt zeigen, wie viel ernster es ihnen damit war, als ihre Kritiker*innen wohl je geahnt haben. Echt zeigen sich, und zwar von Anfang an, als eine Band mit eigenem Wertesystem und festen Prinzipien. Wenn diese verletzt werden, können sie hart miteinander umgehen („Die Band über allem, sogar über den eigenen Gefühlen“, heißt es dazu an einer Stelle) und durchaus auch rebellisch gegenüber ihrem Umfeld werden. Man erfährt in diesen drei Teilen somit von Depressionen und Panikattacken, von Anfeindungen und gar Morddrohungen von Menschen, die ihre Musik oder ihr Image nicht leiden können, ebenso von Reibereien mit dem Management, der Musikindustrie und der Boulevardpresse. Einen zentralen Widerspruch kann die Doku dabei indes nicht auflösen: Echt wollen unbedingt als versierte Musiker wahrgenommen werden, die authentisch sind und (teilweise) ihre eigenen Songs schreiben. Zugleich machen sie jeden Teenie- und Mainstream-Quatsch mit, für den sie angefragt werden, von Popkomm-Auftritten bis zu Stadtfesten, vom ZDF-Fernsehgarten bis zu The Dome, von Shows bei einem Siemens-Firmenevent bis zur Alternastage bei Rock am Ring. „Wir wollten alles an Aufmerksamkeit, was ging“, lautet die Begründung von Kim Frank, wobei in Echt – unsere Jugend nach und nach deutlich wird, dass hinter diesem „Wir“ vielleicht doch eher ein „Ich“ steckt. Denn die schleichende Entfremdung zwischen Frontmann und dem Rest der Band, als er das Leben als Popstar genießt, während alle anderen damit oder mit der veränderten Wahrnehmung von Echt fremdeln, wird hier ebenfalls erstaunlich offen nachgezeichnet. So bietet die Doku zumindest auch den Ansatz einer Erklärung für die Trennung der Band, die 2002 trotz der enttäuschenden Verkaufszahlen des dritten Albums Recorder doch recht abrupt und überraschend kommt – wie man hier sehen kann, im Prinzip auch für die Band selbst.
Fünftens: Die drei Teile erzählen eine wunderbare Geschichte über die Kraft der Freundschaft.
Gleich im Vorspann der ersten Folge erzählt Kim Frank aus dem Off, er habe in einer Band mit seinen vier besten Freunden gespielt, und das sei ein großes Privileg. Als er ganz am Ende der Doku (erst in der letzten Viertelstunde von Teil 3 kommt das Heute durch aktuelle Interviews mit allen Bandmitgliedern ins Bild) über seine Liebe zu dieser Band spricht, hat er Tränen in den Augen. Man könnte meinen, dass hier jemand einem Ausmaß an Ruhm und Erfolg nachtrauert, wie er es danach nie mehr erleben durfte. Es wäre auch menschlich, wenn sich Ü40-Männer hier mit viel Wehmut und reichlich Verklärung der Aufregung und dem Trubel ihrer Sturm-und-Drang-Zeit erinnern. Gerade die Mitglieder, die danach völlig aus der Öffentlichkeit verschwunden sind, könnten auch die Gelegenheit nutzen, alte Rechnungen zu begleichen und ihre eigene Rolle in ein besonders gutes Licht zu stellen. Doch nichts davon trifft zu. Es gibt keine Verbitterung in diesem Rückblick. Die Tatsache, dass ihre Band implodierte, als die Mitglieder in einem Alter waren, in denen die meisten Musiker*innen ihre Karrieren gerade erst beginnen, nehmen Echt hier mit derselben Unbekümmertheit hin wie sie damals ihren ungeahnten Erfolg hingenommen haben. Es gibt kein Problematisieren und Grübeln, sondern viel Dankbarkeit und ein bisschen Nostalgie. Vor allem aber spricht aus allen Statements eine tiefe Verbindung, Freundschaft und sogar Liebe, die offensichtlich bis heute anhält. So gerne Echt zu ihren aktiven Zeiten als schlicht und dümmlich belächelt wurden, so reflektiert und erwachsen ist hier ihr Blick auf die gemeinsamen Erlebnisse. Für die Bandmitglieder selbst kommt somit noch ein sechster Grund hinzu, der Echt – unsere Jugend so lohnend macht: Das Sichten des unveröffentlichten Filmmaterials und die gemeinsame Arbeit an dieser Dokumentation haben keineswegs alte Wunden aufgerissen, sondern sie eher ein paar Konflikte aufarbeiten lassen, den Zusammenhalt gestärkt und sie noch näher zusammengebracht.
Bestes Zitat: „Träume sind keine Schäume. Träume sind dazu da, sie zu verwirklichen.“