Den Bürostuhl, auf dem Ulrich Theis sitzt, hat er nicht selbst ausgesucht. Auch sein Arbeitgeber, die Stadt Gladbeck, hatte keinen Einfluss auf die Maserung der Schreibtische oder das Design der Tapete. Mobiliar und Inneneinrichtung stellt der Baukonzern Hochtief. Denn der hat das neue Verwaltungsgebäude errichtet und wird es in den nächsten 25 Jahren auch betreiben. In Gladbeck steht damit das erste im öffentlichen Auftrag privat finanzierte und anschließend auch betriebene Rathaus Deutschlands.
Das gerade abgeschlossene Bauvorhaben ist eines der so genannten Public-Private Partnership (PPP)-Projekte. Immer öfter arbeiten Kommunen auf diese Weise mit Unternehmen zusammen. Aus den öffentlichen Haushalten fließt ein fester Geldbetrag an die Unternehmen. Diese renovieren im Gegenzug Schulen, planen den Straßenbau, betreiben Fußballstadien oder bauen neue Rathäuser – öffentliche Leistungen, die bislang allein in staatlicher Verantwortung lagen. „In Zeiten knapper Kassen sind die Kommunen fast gezwungen, diesen Weg zu gehen“, sagt Ulrich Theis, der die Organisationsabteilung der Stadt Gladbeck leitet. „Viele Projekte könnten sonst gar nicht realisiert werden.“
Als in der Ruhrgebietsstadt die Frage nach der Finanzierung des neuen Gebäudes aufkam, ließ die Stadtverwaltung zunächst eine Studie erstellen. Ergebnis: Bau und Betrieb an einen Konzern abzugeben kommt die Stadt 14 Prozent billiger als den Rathaus-Anbau selbst zu bewältigen. Nach Angaben von Hochtief muss die Stadt über die gesamte Laufzeit des Vertrags 44 Millionen Euro zahlen. Laut Theis erfolgt dies über eine Rate von 146.000 Euro, die 25 Jahre lang jeden Monat gezahlt wird. Rund zwei Drittel davon werden für die Finanzierung fällig, ein Drittel entfällt auf den Betrieb, in dem beispielsweise Instandhaltung, Hausmeisterdienste und Energiekosten enthalten sind.
Hochtief bekam den Auftrag über eine europaweite Ausschreibung. 20 Monate brauchte der Konzern, um die alten Bürotürme abzureißen und das neue Gebäude hochzuziehen. „An der kurzen Bauzeit sieht man: Solche Firmen haben ein ganz anderes Know-how und viel größere Ressourcen als die Kommune“, meint Theis.
Für die Baubranche sind PPPs ein Riesengeschäft: Bis 2010 könnten auf diese Weise öffentliche Aufträge in einer Größenordnung von 20 Milliarden Euro vergeben werden, schätzen Experten. Doch oftmals stehen diesen Investitionen noch juristische Hürden im Weg: Zwei Drittel aller bisher realisierten PPP-Projekte hatten mit rechtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, insbesondere beim Vergabe- und Vertragsrecht.
Dieser Problematik nahm sich gestern das Europäische Parlament in Straßburg an. Die Fuldaer Europaabgeordnete Barbara Weiler (SPD) brachte einen Bericht ein, der für mehr Rechtssicherheit der Kommunen sorgen soll. „Was wir anstreben ist: mehr garantierter Wettbewerb für die Unternehmen und mehr garantierter Spielraum für die Kommunen“, sagte Weiler vorm Parlament. Die unsichere Rechtslage, die etwa durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs entstanden sei, blockiere dringend notwendige Investitionen.
Das Parlament nahm den Weiler-Bericht mit großer Mehrheit an. Nur in einem Punkt konnte sich die SPD-Abgeordnete nicht durchsetzen: Zu institutionalisierten PPPs – gemeinsamen Wirtschaftsgebilden zwischen privaten und öffentlichen Partnern, beispielsweise Stadtwerken oder Verkehrsbetrieben, die nicht vollständig der öffentlichen Hand gehören – hatte ihre Fraktion ein neues Gesetz verlangt. Doch stattdessen soll nun eine interpretierende Mitteilung der EU-Kommission für mehr Klarheit in diesem Bereich sorgen.
Konservative und Liberale im EU-Parlament wollten das Gesetz ebenso verhindern wie Jacques Barrot, EU-Kommissar für Regionalpolitik. Der Franzose befürchtet, zusätzliche Vorschriften könnten insbesondere in den neuen Mitgliedsstaaten Investitionen blockieren.
Ansonsten herrschte Einigkeit. Allerdings soll nicht überall streng nach den Richtlinien des freien Binnenmarkts verfahren werden. Die Neuregelung bei PPPs soll zwar Fairness und Transparenz bei der Auftragsvergabe gewährleisten und damit Korruption verhindern. Doch gerade die Zusammenarbeit von kleinen Kommunen will Weiler nicht behindern. Wenn zwei Gemeinden beispielsweise bei der Wasserversorgung zusammenarbeiten oder einen Sportplatz gemeinsam bauen wollen, müsse deshalb keine Ausschreibung erfolgen. „Interkommunale Zusammenarbeit ist für die Kommunen die beste, oft auch die einzige Möglichkeit, ihre Infrastruktur zu modernisieren“, begründet die Grünen-Abgeordnete Heide Rühle diese Herangehensweise. Und Weiler fügt an: „Rekommunalisierung ist wünschenswert.“
Damit stößt sie auf ein zentrales Problem von PPPs: Kritiker dieses Modells sprechen von einer schleichenden Privatisierung. Auch könnten PPPs eingesetzt werden, um die öffentlichen Haushalte auf dem Papier besser aussehen zu lassen. Schließlich sei nicht klar, was passiert, wenn die Privatunternehmen die Verträge nicht einhalten oder Leistungen nicht erbringen. Auch in Gladbeck prüft man noch, ob das neue Gebäude den gestellten Anforderungen entspricht. „Bisher gibt es kaum etwas auszusetzen. Aber wir sind auch gerade erst eingezogen“, sagt Ulrich Theis.
Er verrät übrigens: Der Bürgermeister von Gladbeck sitzt weiterhin im historischen Rathaus neben dem neuen Gebäude. Und auf seinem eigenen Sessel.