Film | Ein spätes Mädchen | |
Produktionsland | Deutschland | |
Jahr | 2007 | |
Spielzeit | 89 Minuten | |
Regie | Hendrik Handloegten | |
Hauptdarsteller | Fritzi Haberlandt, Matthias Schweighöfer, Stipe Erceg, Justus von Dohnányi | |
Bewertung |
Worum geht’s?
Seit ihre Eltern tot sind, lebt Henriette Sachs alleine in einer Altbauwohnung in Wiesbaden. Tagsüber arbeitet sie als Ballettlehrerin, in ihrer Freizeit geht sie in die Oper, macht Spaziergänge, pflegt ihre einseitige Brieffreundschaft mit einem Komponisten aus Wien oder bekocht die Bekannten, die schon seit Jahrzehnten zu Besuch kommen. Durch Zufall lernt sie Felix kennen, den sie erst im Bus, dann in einem Café getroffen hat. Weil der junge Mann nichts auf ihre Fragen erwidert, hält sie ihn für taubstumm. Obwohl mit ihm kein Gespräch möglich ist, genießt sie seine Gesellschaft und lädt ihn nach Hause ein. Dort kommt auch er zunächst in den Genuss ihrer Kochkünste, dabei schüttet Henriette ihr Herz aus und bietet dem Fremden an, so lange zu bleiben, wie er will. Als Felix etwas später dennoch verschwindet und sie ihm ins nahe Frankfurt folgt, erkennt sie, dass er ein eigenes Leben hat, eine Wohnung, einen Freundeskreis, eine Geliebte. Dennoch will sie ihn zurück haben, und zwar ganz für sich alleine.
Das sagt shitesite:
Der erste Coup in Ein spätes Mädchen ist der Schauplatz. Die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden wirkt hier geradezu wie eine Verkörperung des Stillstands. Wären da nicht die neuen Autos, könnte man die Szenen in der Stadt auch auf die 1950er Jahre datieren. Hier scheinen bloß Beamte und Bildungsbürger zu leben, und die weltfremde Henriette passt perfekt in diese Welt mit ihren altmodischen Mauerblümchen-Outfits, der strengen Frisur und den langweiligen Hobbies.
Ihr Leben entspricht dem quasi eingefrorenen Zustand dieser Stadt. Sie fühlt sich wie eine alte Frau und lebt auch so. Ihr Sozialleben besteht nur aus Kaffeekränzchen mit den Freunden ihrer Eltern, Schweigen ist der Normalzustand in ihrem Alltag, ihre Einsamkeit spürt sie, hinterfragt sie aber nicht – auch weil ihr die Methoden fehlen, dagegen etwas unternehme zu können. Der vermeintlich stumme Felix ist genau deshalb so attraktiv für sie: Ihm kann sie sich öffnen, ohne Widerworte oder Nachfragen befürchten zu müssen. Durch die Annahme, er könne nicht sprechen, identifiziert ihn Henriette ebenfalls als empfindlichen Außenseiter, in seiner Gegenwart plaudert das sonst so verschlossene Späte Mädchen selbst die größten Banalitäten und sogar ein paar intime Geheimnisse aus. Felix bietet ihr die Chance auf Gesellschaft ohne die Gefahr von Konflikt oder Blamage. „Ich rede, du hörst zu“, beschließt sie an einer Stelle die für sie ideale Dynamik dieser Beziehung.
Dass der junge Mann sehr wohl reden kann, erfährt der Zuschauer nur etwas eher als die Protagonistin, allzu viel Text hat Matthias Schweighöfer in dieser Rolle aber auch danach nicht. Es gelingt ihm gekonnt, die Frage offen zu lassen, warum er bei Henriette bleibt. Zuneigung? Berechnung? Mitleid? Voyeurismus? Regisseur Hendrik Handloegten zeichnet ihn etwas zu deutlich als ihr Gegenpart zu seiner Titelheldin (statt in festgefahrenen Bahnen im spießigen Wiesbaden zu leben wird er als Herumtreiber aus dem frivolen Frankfurter Bahnhofsviertel inszeniert), das schwächt dieses Drama aber kaum. Denn im Fokus steht hier klar die von Fritzi Haberlandt perfekt gespielte Henriette. Schnell ist man nicht nur fasziniert von dieser Figur, sondern entwickelt große Sympathie für sie. Bald stellt man sich deshalb die entscheidende Frage, auf die sie selbst noch gar nicht gestoßen ist: Wie soll diese Frau lieben, wenn sie sozial so unerfahren ist, dass sie nicht einmal weiß, wie Smalltalk funktioniert? Ein spätes Mädchen beleuchtet damit sehr gekonnt die Eigenschaft der Liebe als Projektion. Denn der Film stellt eine Beziehung zwischen zwei Menschen in sein Zentrum, die nur auf dem Verdacht beruht, sie könnten sich gut verstehen und vielleicht sogar füreinander Glück bedeuten.
Bestes Zitat:
„Manchmal vermute ich, etwas an mir zu haben, das die Menschen und das Leben von mir fern hält.“