Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit

Künstler*in Diverse

Eldorado KaDeWe Soundtrack Review Kritik
37 Tracks enthält der Soundtrack zu „Eldorado KaDeWe“.
Soundtrack Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit
Label Königskinder Music
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Als „das glamouröseste Kaufhaus der Welt“ wird das Gebäude am Berliner Wittenbergplatz in der Ankündigung für die Fernsehserie Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit bezeichnet. Der Sechsteiler, entstanden unter Regie von Julia von Heinz, wird am 27. Dezember ab 20:15 Uhr im Ersten zu sehen sein (alle sechs Folgen direkt hintereinander, was es dort noch nie gab) und ist bereits ab heute in der ARD-Mediathek verfügbar.

Dem Superlativ werden einige widersprechen, die beispielsweise einmal Harrods in London oder die Galeries Lafayette in Paris besucht haben. Ein bisschen plausibler wird er allerdings durch die zeitliche Verortung der Serie: Eldorado KaDeWe spielt im Berlin der 1920er Jahre, also einer Epoche voller Innovationen und Möglichkeiten, Auf- und Umbrüchen, gerade in dieser Stadt. Unverkennbar soll hier ein wenig vom Flair (und sicher auch vom Erfolg) von Babylon Berlin nachwirken, überführt in eine Geschichte um lesbische Liebe, die mit einem Raubüberfall beginnt.

Diesem Kontext will auch der ebenfalls heute erscheinende Soundtrack gerecht werden. Verantwortlich dafür ist einerseits der Filmmusik-Komponist Matthias Petsche, der mit Julia von Heinz schon bei früheren Projekten zusammengearbeitet hat und hier 14 instrumentale Stücke beisteuert, die häufig um ein zentrales Piano-Motiv herum aufgebaut sind. Andererseits haben sich Inga Humpe und Tommi Eckart beteiligt, besser bekannt als 2Raumwohnung. Gerade ihr Input ist hoch interessant, denn in der Tat gelingt es ihnen meist wunderbar, den Geist der goldenen 1920er Jahre mit aktuellen Ideen zu kombinieren. In vielen Momenten kann man staunen, wie gut ihre sonst meist für den Club konzipierte Ästhetik hier auch in einem leiseren Kontext (quasi im Musikzimmer) oder in Live-Situationen (etliche der insgesamt 37 Stücke des Soundtracks werden auch direkt in der Serie performt) funktioniert.

Das gilt beispielsweise beim sehr reduzierten Wenn ich jetzt bei dir wär, das sagenhaft sehnsüchtig und hoch romantisch wird. Der Song wird hier einmal von Inga Humpe gesungen, zudem enthält der Soundtrack auch eine Version mit Gesang von Sofia Portanet. Mit Ach nein, schon wieder zeigt Humpe, die auch selbst eine kleine Rolle in der Serie spielt, dass sie auch Beinahe-Chanson beherrscht, die Homosexualitäts-Hymne Das lila Lied aus dem Jahr 1920 intoniert sie mit einem Mix aus Leierkasten-Nostalgie und modernen Details.

Vor der Kamera zu sehen sind in Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit auch Anna Mateur, Marie Scherzer und Alice Francis, die hier ebenfalls als Sängerinnen zu hören sind. Diese Vielfalt an Stimmen und Charakteren passt nicht nur zur Diversitäts-Agenda der Serie, sondern trägt auch erheblich zum Reiz des Soundtracks bei. Denn neben ein paar Orchestersounds, die es zweimal von der Eldorado Band gibt, oder Acappella-Stücken im Stile der Comedian Harmonists, die es Martin Fehr sowie b major feat. Rafael Albert beisteuern, prägen gerade die verschiedenen Persönlichkeiten der Sängerinnen entscheidend den Charakter dieses Albums.

An erster Stelle ist dabei Anna Mateur zu nennen. Die Dresdnerin mit Jazz-Hintergrund und viel Kleinkunst-Erfahrung steuert insgesamt sechs Lieder en bloc zum Soundtrack bei und sorgt dabei gleich für mehrere Highlights. Neuer Stoff, in dem es offensichtlich um Personalzuwachs in einem Bordell als wichtigem Schauplatz der Serie geht, wird sehr spannend und sogar spektakulär. Ihre Interpretation von Raus mit den Männern (das Original hat Friedrich Hollaender 1926 für Claire Waldoff geschrieben) wird ausgelassen und so ruppig wie es sich gehört angesichts der Tatsache, dass diese Aufforderung zur Gleichberechtigung auch nach fast 100 Jahren noch relevant und sogar provokant wirkt. Wir versaufen unserer Oma ihr klein Häuschen (von Robert Steidl aus dem Jahr 1922, auch bekannt mit einem Text, den man im WDR nicht besonders mag, weil darin ein Hühnerstall und ein Motorrad vorkommen) holt den Fatalismus der Hyperinflation ins Jetzt, das herrlich kapriziöse Ich hab nen Kater bekommt ausnahmsweise einen Beat, das ausgelassene Die Nacht gehört mir könnte nicht nur wegen des Titels tatsächlich auch von 2Raumwohnung oder beispielsweise Mia sein.

Das ebenfalls von Anna Mateur gesungene Frau deutsch gesund könnte man tatsächlich für einen Kabarett-Gassenhauer aus den 1920er Jahren halten, und diesen Effekt bekommen die Komponist*innen von Eldorado KaDeWe gleich mehrfach hin. Das gilt etwa im frivol-gewitzten Hart, gesungen von Marie Scherzer, der Gefängnis-Variante von Das lila Lied, dem der Kammerchor Nikolassee ein bisschen Kurt-Weill-Charakter verpasst, oder dem – passend zum Sendetermin der Serie – weihnachtlich angehauchten Leuchte mit mir von Martin Fehr.

Ein Highlight ist auch Fire Shoes von Canary Wharf und Marie Scherzer. Das Lied besteht in erster Linie aus Stöhnen, Beat und Blasinstrumenten, und gerade durch das sich orgiastisch steigernde Stöhnen wird es spektakulär. Dass es in Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit um die Freizügigkeit dieser Ära, vor allem aber um den sehr aktuellen Hinweis auf die Bedeutung von sexueller Selbstbestimmung geht, machen die beiden Singles besonders deutlich, die der Soundtrack enthält. Alice Francis stellt in Was soll euch stören klar: Jeder darf lieben, wie er will. In der Regel geht davon keine Gefahr aus, und deshalb gibt es auch wenig Grund für die Gesellschaft, sich da einzumischen. Das von Inga Humpe gesungene Formen der Liebe greift ebenfalls diese Idee auf. Es geht um die Sehnsucht nach Glück, Schönheit und Zugehörigkeit, um das Feiern von Leben, Liebe und Vielfalt, wie man das durchaus auch bei 2Raumwohnung finden kann. Denn so sehr sich das Leben draußen in den vergangenen hundert Jahren verändert hat, so sehr ist unverkennbar das gleich geblieben, was das Nachtleben anziehend macht. Zugleich zeigt der Song, wie wichtig der Appell für Diversität weiterhin ist, wie auch Inga Humpe erinnert: „Wir selber als Menschen sind auch unheimlich verschiedene Formen der Liebe.“

Ein Making Of zur Serie.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.