Das Kaiserreich ist verschwunden, und auch sonst ist in Berlin nicht mehr vieles so, wie es vorher war. Aus dem Königreich Preußen mit seinem Dreiklassenwahlrecht ist ein demokratischer Freistaat inmitten der Weimarer Republik geworden. Die einst verhassten Sozialdemokraten stellen den Regierungschef. Und das Trauma des verlorenen Weltkriegs ist allgegenwärtig, durch die weiterhin spürbaren Folgen der Handelsblockade ebenso wie durch die vielen Kriegsversehrten im Stadtbild. Noch eine Folge ist unübersehbar: Die deutschen Frauen sind die Gewinner des Ersten Weltkriegs. Als die Männer an der Front waren, sprangen sie in vielen wichtigen Berufen ein, und die damit gewonnene Bedeutung wollen sie keineswegs wieder verlieren. Sie haben 1918 das Wahlrecht erlangt, ihr Anteil an der Berliner Bevölkerung beträgt 78 Prozent, im Berufsleben sogar 82 Prozent.
In diese Ära führt Eldorado KaDeWe, und es ist ein Nachteil für den ARD-Sechsteiler, dass man diese Szenerie schon aus Babylon Berlin so gut kennt. Den Vorwurf, hier auf dem Trittbrett zu fahren, kann Regisseurin Julia von Heinz durchweg nicht so ganz ausräumen, denn viele der zentralen Konflikten finden sich in beiden Serien: Es geht um die Sehnsucht nach altem Glanz und das Gefühl von neuer Zeit, um Revolution und Mangel, um Improvisation und Gaunereien.
Seine Eigenständigkeit gewinnt Eldorado KaDeWe zum einen durch die Ästhetik. So werden in den Außenszenen immer wieder Bilder vom modernen Berlin mit Autos, Ampeln, Leuchtreklamen, Graffiti und S-Bahn integriert, was einen zunächst irritierenden, dann sehr reizvollen Effekt hat – nicht zuletzt, weil es auf Kontinuitäten in der Stadtgeschichte und auch im Fortwirken der hier behandelten Konflikte verweist. Auch die Musik, die unter Federführung von Inga Humpe entstanden ist, wird sehr prominent integriert. Zum anderen ist die Figurenkonstellation der Serie so reizvoll, dass sie fast schon ohne den historischen Hintergrund von Umbruch, Emanzipationsbewegung und der heraufziehenden Bedrohung durch die Nationalsozialisten, die ab der vierten Folge immer mehr in den Fokus rückt, reizvoll genug für einen Sechsteiler wäre.
Da ist Fritzi (Lia von Blarer), die Tochter des jüdischen Kaufhausbesitzers Adolf Jandorf. Sie ist kreativ, neugierig und genießt die Freiheiten, die das Leben in einer steinreichen Familie ihr in der Millionenstadt bietet. Zugleich will sie sich aber stärker ins Management des KaDeWe einbringen, was ihr der Vater verwehrt. Der will nämlich stattdessen lieber ihren Bruder Harry (Joel Basmann) als Nachfolger aufbauen, der gerade aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt ist. Doch Harry hat erstens nicht viel Geschäftssinn und zweitens ein ausgewachsenes Trauma von der Front mitgebracht, das er mit einer ausgeprägten Vergnügungssucht zu überwinden sucht. Statt sich mit Lieferanten und Verkäuferinnen herumzuschlagen, umgibt er sich lieber mit Trinkern und Prostituierten, während sich Buchhalter Georg Karg (Damian Thüne) um das Tagesgeschäft kümmert.
Gekonnt zeichnet Eldorado KaDeWe damit eine Parallele: Der Luxus, den das berühmteste Berliner Kaufhaus seinen Kund*innen bietet, ist nicht nur eine Möglichkeit, die persönliche Freiheit auszuleben, sondern damit auch ein Versprechen auf Hoffnung und Ablenkung – und das galt für die Betreiber und die Belegschaft mindestens ebenso sehr wie für die Kundschaft. Das verdeutlicht auch die Figur der Dekorateurin Hedi (Valerie Stoll), die in ihrem ärmlichen Zuhause einen depressiven Vater, eine behinderte Schwester und einen herrischen Verlobten hat, im KaDeWe aber als Fotomodel und dann als Geliebte von Fritzi reüssieren kann. So wenig ein Menschenleben in dieser Zeit wert zu sein scheint, so einfach scheint es auch zu sein, bisher ungeahnte Möglichkeiten zu ergreifen.
Der Exzess und Hedonismus, die Freizügigkeit und Wildheit der Goldenen Zwanziger in Berlin erscheint somit als fast zwangsläufig, und diese erzählerische Plausibilität ist die größte Stärke von Eldorado KaDeWe. Clever zeigt die Serie dabei auch Widersprüche auf, die wir 100 Jahre später zum Teil noch immer nicht aufgelöst haben: Fritzi und Hedi genießen ebenso wie Harry und seine Geliebten den Taumel der Geschlechter, aber im Zweifel gibt es keine Loyalität des Establishments mit Frauen. Die Jugend der Stadt (zumindest der Teil davon, der es sich leisten kann), gibt sich liberal im Nachtclub und sogar vulgär im Bordell, aber Homosexualität gilt nach den allgemeinen Maßstäben dieser Zeit noch als Krankheit und Verhütungsmittel für Frauen sind verpönt.
Leider werden die daraus erwachsenden Dramen und persönlichen Krisen hier stets zu explizit gemacht, wodurch die Serie erheblich an Klasse und Intensität verliert. Alles wird in den Dialogen ausgesprochen – und gerade, wenn es um Tiefgründiges geht, wenn es intim und bekenntnishaft sein soll, wirken diese Gespräche dann unglaubwürdig und plump. Vieles, was Hedi, Georg, Harry und Fritzi in ihren Reflexionen beispielsweise nach ihren durchtanzten Nächten auf dem Dach des Kaufhauses von sich geben, klingt stilisiert und komprimiert wie Tagebucheinträge – und nicht wie echte Sätze von echten Menschen mit den echten Sorgen einer aufwühlenden Zeit.
Bestes Zitat: „Man kann sich seine Zukunft nicht aussuchen. Seine Zeit auch nicht.“