Eltern

Film Eltern

Eltern Review Filmkritik
Konrad (Charly Hübner) und Christine (Christiane Paul) tauschen die Rollen.
Produktionsland Deutschland
Jahr 2013
Spielzeit 90 Minuten
Regie Robert Thalheim
Hauptdarsteller Charly Hübner, Christiane Paul, Paraschiva Dragus, Emilia Pieske, Clara Lago
Bewertung

Worum geht’s?

Konrad ist Theaterregisseur, hat sich aber in den vergangenen Jahren um seine Töchter Käthe und Emma gekümmert, während seine Frau Christine weiter als Ärztin gearbeitet hat. Nun will er zurück in den Beruf. Die Betreuung der Kinder soll ein Au-Pair-Mädchen aus Argentinien übernehmen. Doch als die junge Isabel in Berlin ankommt, bedarf sie zunächst selbst der Unterstützung: Sie ist schwanger, hat zuhause niemandem etwas davon erzählt und will sich in Deutschland am liebsten eine neue Zukunft aufbauen. Parallel zur Eingewöhnung in der neuen Familie steht sie vor der Frage, ob sie ihr Baby behalten oder abtreiben soll. Konrad und Christine stehen ihr bei, haben aber sehr schnell genug mit sich selbst und ihren beiden Töchtern zu tun: Die Kinder wollen sich nicht damit abfinden, dass ihr Papa nun nicht mehr rund um die Uhr verfügbar ist, er selbst kann sich in dieser Situation kaum auf seine Arbeit konzentrieren, sodass es schnell erhebliche Probleme bei der geplanten Inszenierung gibt. Christine will gerne mehr unterstützen, ist in der Klinik aber kaum zu ersetzen und spekuliert zudem auf eine Beförderung, für die sie vollen Einsatz zeigen will. Konrad besteht jedoch darauf, die Rolle als Vollzeit-Vater nicht mehr auszuüben: Bis zur Premiere seines Stücks zieht er ins Theater, Christine soll sich bis dahin um die Kinder kümmern. Das stürzt die Familie in nur einer Woche ins Chaos – und bringt sie an den Rand des Kollaps.

Das sagt shitesite:

Der Titel von Eltern ist so schlicht wie treffend: Was Robert Thalheim in seinem dritten Kinofilm erzählt, ist nichts anderes als der Alltag mit Kindern. Dass das trotzdem sehenswert ist, liegt an der Eskalation, die er in nur eine Woche erzählter Zeit packt, an der geschickten Rollenverteilung – und nicht zuletzt an der Glaubwürdigkeit des Geschehens. Sehr präzise zeigt er, wie viel Management es braucht, um zwei Kinder und zwei Berufe unter einen Hut zu bekommen, und wie schnell Kleinigkeiten dieses fragile Konstrukt ruinieren können und wie schwierig es ist, anzuerkennen, dass Entscheidungen nun einmal Konsequenzen haben.

Besonders wirkungsvoll wird das, weil hier nicht das traditionelle Familienmodell gezeigt wird. Robert und Christine sind moderne Eltern. Dass sie gleichberechtigt sind, sich beide um eine nicht-autoritäre Erziehung ihrer Kinder kümmern, dass sie ihr Recht auf Selbstverwirklichung und eine intakte Liebesbeziehung bewahren wollen, muss zwischen ihnen nicht ausgehandelt werden. Es ist eine Voraussetzung in ihrer Familie – aber der Rest der Welt hinkt gehörig hinterher, wenn es gilt, dieses Konzept in die Praxis zu überführen. Dass die üblichen Rollen dabei umgekehrt werden, sorgt in Eltern für zusätzlichen Reiz: Die Mutter verdient mehr Geld und bleibt im Beruf, der Vater unterbricht seine Karriere als Freiberufler und wird zur wichtigsten Bezugsperson für die beiden Töchter. „Was machst du denn hier?“, wird sie deshalb von einer Freundin gefragt, als sie plötzlich mit den Kindern auf dem Spielplatz auftaucht. Umgekehrt muss er sich von einem Schauspieler den Vorwurf gefallen lassen: „Vielleicht warst du einfach zu lange raus.“ Eine zusätzliche Ebene bekommt dieser Konflikt wegen des unterschiedlichen Prestiges der beiden Jobs: Sie rettet Leben in der Klinik, er macht „nur“ Theater – auch deshalb muss er sich plötzlich im eigenen Zuhause (vielleicht nur vor sich selbst) dafür rechtfertigen, dass er wieder arbeiten möchte.

Charly Hübner spielt das großartig, auch an Christiane Paul kann man hier viele neue Facetten entdecken. Die von ihr gespielte Mutter fremdelt mit den Kindern und wird von ihnen nicht ernst genommen, worauf sie mit Strenge ebenso reagiert wie mit Hilflosigkeit. Ohnehin ist in manchen Szenen von Eltern kaum zu fassen, dass diese beiden Erwachsenen noch Haltung bewahren können und nicht die Selbstbeherrschung verlieren angesichts all des Trubels und all der Widrigkeiten. Dabei sind ihre Kinder (ebenfalls großartig gespielt) keineswegs Problemfälle. Sie werden einfach deshalb stressig, weil sie Kinder sind: Die 5-jährige Emma ist ein Energiebündel in der Trotzphase, ihre doppelt so alte Schwester Käthe ist die beeindruckendste Figur in diesem Film, weil sie sich ebenso nach Aufmerksamkeit und Zuneigung sehnt, zugleich aber die Strategien der Eltern durchschaut und ein feines Gespür dafür hat, wie dramatisch sich die Situation zwischen ihnen und in der Familie insgesamt entwickelt. All das ist auf manchmal fast dokumentarische Weise authentisch, wird aber nicht als deprimierende „Schaffen Sie sich bloß keine Kinder an, wenn Sie das Leben noch genießen wollen“-Botschaft auf die Leinwand gebracht, sondern mit viel Empathie und (Galgen-)Humor.

Obwohl das Paar fast ideale Ausgangsbedingungen hat (sie lieben sich, sie lieben ihre Kinder, sie haben keine materiellen Sorgen), landen sie mitten in der Überforderung. Es fehlt an Zeit, das als Kindermädchen eingeplante Au-Pair wird selbst zur Belastung (dieser Erzählstrang und die insgesamt etwas blasse Figur der Isabel sind die einzige Schwäche des Films), ein paar reale oder eingebildete erotische Verlockungen am Arbeitsplatz sorgen für zusätzliche Turbulenzen. Niemand hat dabei bösen Willen, niemand macht etwas falsch – sie müssen einfach vor den Zwängen des Alltags kapitulieren und vor der Erkenntnis, dass sie zwar nicht egoistisch sein wollen, aber dennoch Egos haben. Genau darin liegt die Wirkungsmacht des Films. Der Versuch, Beruf, Beziehung und Betreuung der Kinder (von Hobbys oder einem Freundeskreis ist da noch gar keine Rede) miteinander zu vereinbaren, endet beinahe in der Katastrophe. Was eigentlich die Normalität sein sollte, erweist sich als Herkulesaufgabe, die sehr eindrucksvoll zeigt: Man muss manchmal Mitleid mit Eltern haben, vor allem aber Respekt vor ihrer Leistung.

Bestes Zitat:

„Ich brauche jetzt auch mal jemanden, der mir den Rücken frei hält. Ich will morgens aus dem Haus gehen und das ganze Chaos hinter mir lassen.“

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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