Emeli Sandé – „Our Version Of Events – Live At The Royal Albert Hall“

Künstler Emeli Sandé

Emeli Sandé Our Version Of Events – Live At The Royal Albert Hall Review Kritik
Im November 2012 nahm Emeli Sandé ihr Livealbum auf.
Album Our Version Of Events – Live At The Royal Albert Hall
Label Virgin
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung

Dieser Beginn ist schwer zu ertragen. Zuerst hört man auf diesem Livealbum den Backgroundchor, der bedeutungsschwangere Laute von sich gibt, dann kommt Emeli Sandé auf die Bühne, die ersten Töne aus ihrem Mund werden bejubelt wie ein historisches Ereignis. Tiefe Klaviertöne, die fast wie eine Kirchenglocke klingen, unterlegen die ersten Takte von Daddy, auch Streicher setzen sehr bald ein. Man hat zwei Befürchtungen: Entweder ist da jemand sehr schnell sehr erfolgreich geworden und wird nun den ganzen Abend lang im eigenen Ruhm baden. Oder da will eine Künstlerin unbedingt der ehrwürdigen Royal Albert Hall gerecht werden und tötet dafür ihre Lieder mit pompösen Arrangements.

Schon der Refrain von Daddy zerstreut diesen Verdacht allerdings, zum Ende hin kommt sogar so etwas wie Aggressivität in das Lied. Mit der Ansage „Wow! I’m playing the Royal Albert Hall. It’s incredible“, scheint sich dann die Anspannung von Emeli Sandé völlig zu lösen, und von nun an wird Our Version Of Events – Live At The Royal Albert Hall ein Dokument der Klasse dieser Sängerin und ihrer Songs.

Schon das folgende Where I Sleep weist dafür den Weg. Sowohl der opulente erste Teil als auch der verspielte Rest, nachdem der Beat einsetzt, sind hoch elegant. Wenn die damals 25-Jährige darin vom „only place I feel like me“ singt, will man nicht so weit gehen und behaupten, damit müsse diese legendäre Bühne gemeint sein – es bleibt über den ganzen Abend ein wohltuender Rest von Bescheidenheit und Erstaunen. Trotzdem zeigt das Livealbum (es gibt von Live At The Royal Albert Hall auch eine Version mit DVD, auf der das vollständige Konzert und damit drei zusätzliche Lieder enthalten sind) sehr eindrucksvoll, wie gut die Musik dieser Künstlerin, die zum Zeitpunkt der Aufnahme am 11. November 2012 gerade einmal ein einziges Album vorzuweisen hatte, bereits in diesen Kontext passt.

Denn Our Version Of Events ist natürlich nicht irgendein Album. Das Debüt von Emeli Sandé war das bestverkaufte Album des Jahres 2012 im UK, es brachte ihr Mehrfach-Platin, BRIT-Awards als beste britische Solokünstlerin und für das beste britische Album sowie Auftritte (Plural, denn sie stand sowohl bei der Eröffnungs- als auch bei der Abschlussfeier in London auf der Bühne) bei den Olympischen Spielen ein.

Wie dieser Mega-Erfolg zustande kam, erklärt auch dieser Konzertmitschnitt sehr schnell. Es gibt wenige Lieder, die in diesen 75 Minuten herausragen, weil praktisch alles eine enorm hohe Qualität hat. Erkennbar wird das etwa dann, wenn Emeli Sandé ihre Gaststars mühelos in den Schatten stellt. Read All About It ist über lange Zeit womöglich extra-reduziert, um dann den Auftritt von Professor Green um so spektakulärer zu machen (auch wenn er dann trotzdem mittelprächtig bleibt). Beneath Your Beautiful, das als erste Zugabe erklingt, wäre ohne die Mitwirkung von Labrinth kein bisschen schwächer, auffällig ist vielmehr: Die Akkorde zu Beginn haben beträchtliche Ähnlichkeit mit Take Thats Back For Good, am Ende kann man an Coldplay denken, mit denen die Sängerin später auf Tour gehen sollte. Auch einer Coverversion von Nina Simones I Wish I Knew How It Would Feel To Be Free ist sie gewachsen, ihre Interpretation zeigt letztlich wie das gesamte Livealbum: Demut und Stolz lassen sich sehr wohl vereinen.

Breaking The Law widmet Emeli Sandé ihrer Schwester, das Lied wird dadurch eine noch schönere Liebeserklärung. Eindrucksvoll ist schon der Beginn, wenn sie nur von zwei dezenten Gitarren begleitet wird, dann schwingt sie sich mit den nach und nach einsetzenden anderen Instrumenten immer weiter auf, bis sie wie eine Urgewalt klingt. Spätestens bei My Kind Of Love dürfte im Publikum nicht nur die Lust auf Mitsingen, sondern auch auf Bewegung geweckt sein. Im Latin-angehauchten Wonder scheint es dann kaum möglich, der Aufforderung „Okay, now it’s time to dance“ nicht zu folgen: Man meint (auch ohne DVD) den Karneval zu sehen, der sich da wahrscheinlich gerade auf der Bühne abspielt. Mountains beginnt mit erstaunlich großen Blues-Anteilen, am Ende dürfen die Fans mitsingen, bei Maybe erkennt man, warum sie mal angekündigt hatte, Lieder für die Sugababes schreiben zu wollen, in Next To Me macht die Rhythmussektion erstaunlich viel Druck.

Clown zeigt als Liveaufnahme noch einmal, dass es im Kern eine Klavierballade ist, der Gesang ist makellos und bekommt zwischendurch sogar Szenenapplaus, die Streicher sorgen manchmal allerdings für etwas zu viel Schmalz. Mit Enough gibt es auf Our Version Of Events – Live At The Royal Albert Hall einen ersten Vorgeschmack auf das zweite Album, die Perspektive dabei ist wie gemacht für diese Stimme: Sie will sich ausliefern und für ihre Liebe aufopfern und ahnt bereits, dass das doch nicht reichen wird. Ganz ähnlich ist die Ausgangsposition von Suitcase: Sie ist verletzt vor allem, weil das Aus noch bevorsteht, weil der Abschied noch nicht ganz erfolgt ist und sich doch nichts mehr daran ändern lässt. „All I did was love him“ – diese Gewissheit hilft nun auch nicht mehr.

Heaven beendet das reguläre Set sehr schlüssig. „We’ll end with the song that began everything“, kündigt Emeli Sandé das Lied an, das auch hier unfassbar sehr an Massive Attack erinnert, nicht nur im Sound, sondern auch im Effekt, dass man sich nicht entscheiden kann, ob man die Kraft des Beats oder die Schönheit des Rests mehr bewundern soll. Vielleicht die Quintessenz dieses Abends (und des Erfolgskonzepts dieser Sängerin) steckt in River. „Follow me / I’ll be your river / I’ll do the running for you / I’ll move a mountain for you / I’m here to keep you floating“, singt Emeli Sandé darin. Das ist zwar auch wieder, wie in Enough, die Bitte um Zweisamkeit und Zusammenbleiben, auch das Angebot zur Selbstaufgabe, aber es ist kein Betteln, sondern aus einer Position der Stärke heraus gesungen – mit dem Wissen um die eigene Überzeugung und Autorität.

Beinahe ein Karneval: Next To Me in der Liveversion.

Website von Emeli Sandé.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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