Emma Bunton – „My Happy Place“

Künstler Emma Bunton

Emma Bunton My Happy Place Review Kritik
Zwei Jahre lang hat Emma Bunton an „My Happy Place“ gearbeitet.
Album My Happy Place
Label BMG
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Don’t Call Me Baby heißt eines der Lieder auf My Happy Place und ganz kurz könnte man glauben, Emma Bunton wolle sich damit von den Spice Girls lossagen und ein für alle Mal klarstellen: Ich bin nicht mehr Baby Spice! Ich bin mehr als das! Eine erwachsene Frau! Eine eigenständige Künstlerin!

Ein paar Indizien dafür ließen sich tatsächlich finden. Erstens kann sie solo zwar nicht an den Mega-Erfolg der Spice Girls heranreichen (mit mehr als 85 Millionen verkauften Tonträgern werden sie wohl noch eine ganze Weile die erfolgreichste weibliche Popband aller Zeiten bleiben), hat aber immerhin sieben Top 10-Hits in den britischen Charts und zwei Top 10-Alben vorzuweisen. Das ist keine allzu schlechte Bilanz, auch nicht im direkten Vergleich mit den Solowerken ihrer Bandkolleginnen. Zweitens hat sich Emma Bunton für My Happy Place ausgiebig Zeit gelassen. Ihre letzte Platte erschien vor zwölf Jahren, an diesem Album hat sie nun insgesamt zwei Jahre lang gearbeitet. Auch das könnte Ausdruck eines Reifeprozesses sein und für die Entschlossenheit stehen, ein definitives Statement abzugeben.

Doch dieser Verdacht wird schnell zerstreut, von Don’t Call Me Baby selbst (mit halbherzigen Clubsounds wird es zum schwächsten Lied dieses Albums), aber auch vom Kontext (jetzt die Emanzipation von der Band zu propagieren, wäre wenige Monate vor der Comeback-Tour der Spice Girls ein denkbar schlechtes Timing) und vom Album insgesamt. Ganz offensichtlich weiß Emma Bunton sehr genau, dass sie ohne die Rolle als Spice Girl wohl nie eine professionelle Musikkarriere hätte einschlagen können. Ihr Gesang ist auf My Happy Place schön und kompetent, aber weit von virtuos oder besonders entfernt. In Zeiten, in denen jedes Viertelfinale in einer Castingshow ein ähnliches Niveau an stimmlichem Talent präsentiert, wird das umso deutlicher.

Ähnlich wie Castingshow-Künstler geht sie auf My Happy Place auch musikalisch sehr weitgehend auf Nummer sicher. Produziert wurde das Album von Metrophonic (One Direction, James Morrison). Bei der Songauswahl setzt sie auf reichlich Coverversionen und Gaststars. I Wish I Could Have Loved You More (ursprünglich von Candie Payne) klingt hier, als habe jemand (mit halber Überzeugung, ob es wirklich klappen wird), an einem Titelsong für einen James-Bond-Film gearbeitet. I Only Want To Be With You wird noch etwas putziger, weil Will Young mitwirkt, Josh Cumra erweist sich hingegen als falscher Partner für Come Away With Me: Die beiden Stimmen passen nicht gut zusammen, auch deshalb bleibt diese Interpretation des Norah-Jones-Songs eher blutleer.

Nur zwei der zehn Lieder sind Neukompositionen, bei beiden hat Emma Bunton auch mitgeschrieben. Die Vorliebe für Soul, die sich schon in den Coverversionen offenbart, zeigt sich auch hier. Too Many Teardrops wird durchaus überzeugend, noch besser ist die Single Baby Please Don`t Stop. Das Lied eröffnet die Platte und setzt den Ton für ein schickes Ambiente und eine warme Atmosphäre mit viel Retro-Charme, etwa in der Nähe des Albums, das Vanessa Paradis mit Lenny Kravitz gemacht hat.

Die Frage, warum die Welt das brauchen soll, ist natürlich kaum zu beantworten. Bei Relevanz, Innovation und Individualität erzielt My Happy Place jeweils null Punkte. Was das Album rettet, ist nicht nur seine Niedlichkeit (1000 Punkte), sondern auch der glaubhafte Eindruck, Emma Bunton mache diese Lieder nicht, um damit Geld zu verdienen, sondern weil sie Spaß daran hat. So ist auch der Albumtitel gemeint. „Ich fühle mich dort am wohlsten, wo ich von meiner Familie und meinen Freunden umgeben bin. Wo ich Musik hören kann und gleichzeitig im Studio bin. All das spiegelt sich auf diesem Album wider“, sagt die 43-Jährige. „Als ich im Studio gearbeitet habe, sind meine Kids zwischendurch vorbei gekommen, ein paar Freunde haben Hallo gesagt und auch meine Mutter hat sich jeden Song immer und immer wieder angehört.“ Beweis dafür sind die letzten Seiten im Booklet der Platte: Sie sehen aus wie das Fotoalbum einer glücklichen Familie, mit Ehemann, Mama, Tochter und Freunden, die vorbeigeschaut haben.

„Je älter man wird, desto bewusster lebt man; die Prioritäten verändern sich. Heute ist meine Familie das Wichtigste in meinem Leben. Dieses Album ist für mich das Sahnehäubchen auf der Torte – ich bin glücklich, dass ich immer noch Songs schreiben, aufnehmen und live singen darf. Das ist für mich wie Magie“, schwärmt Emma Bunton, und in My Happy Place wird nicht nur ein bisschen von dieser Freude und Dankbarkeit erkennbar. Ganz am Ende der Platte singt sie den Beatles-Klassiker Here Comes The Sun gemeinsam mit ihrer Tochter, bei You`re All I Need To Get By singt ihr Freund Jade Jones mit, das Ergebnis hat Kraft und Wärme.

Ein Highlight ist 2 Become 1. Den Spice-Girls-Hit interpretiert Emma Bunton hier gemeinsam mit Robbie Williams neu. Das zeigt nicht nur, dass sie auf die Geschichte ihrer Band weiterhin stolz ist, sondern lässt ebenfalls ein großes Einverständnis erkennen, aus der man nicht nur die pophistorische Verbindung dieser beiden Künstler herauszuhören meint. Die Wahrscheinlichkeit, dass Emma Bunton eines der beiden Spice Girls ist, mit denen Robbie Williams nach eigenem Bekunden noch keinen Sex hatte, ist durch dieses Duett jedenfalls nicht gerade gestiegen.

Dass die beiden Spaß miteinander haben, verleiht auch dieser Aufnahme die nötige Legitimation, und die Kombination aus Lockerheit und Vergnügen bei der Arbeit an My Happy Place bestätigt Emma Bunton im Booklet. „This has been the easiest album for me to bring to life“, steht dort als erster Satz. Natürlich könnte man entgegnen: Einfach ein paar nicht allzu schwierig zu singende Coverversionen einzuspielen, ist auch kein übermenschlicher Aufwand. Aber es passiert hier mit hörbarer Freude und Überzeugung. Mehrfach hat man auf dieser Platte den Eindruck: Hätte man einfach aufgenommen, wie Emma Bunton zu den Lieblingsliedern in ihrer Spotify-Playlist mitsingt, würde es nicht viel anders klingen.

Emma Bunton singt Baby Please Don’t Stop live.

Emma Bunton bei Instagram.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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