Künstler | Enno Bunger | |
Album | Was berührt, das bleibt | |
Label | Columbia | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Enno Bunger ist 32. Dies ist sein viertes Album. Beide Ziffern sind viel zu niedrig, um eine intensive Beschäftigung mit dem Tod nahezulegen, auch für einen notorisch melancholischen Singer-Songwriter wie ihn. Das wäre eher etwas für einen 70-Jährigen auf seinem 28. Longplayer. Aber der Mann aus Ostfriesland hatte zuletzt sehr intensive Begegnungen mit dem Tod. Zwei Menschen aus seinem engsten Umfeld waren schwer krank. Einer davon überlebte, der andere nicht, verrät das Presseinfo zu Was berührt, das bleibt.
Ob damit ein Elternteil, ein Lebenspartner oder ein guter Freund gemeint ist, geht keinen Außenstehenden etwas an und wird beim Hören dieser Platte erst recht egal. Denn die elf Lieder sind allgemeingültig, sie werden zugleich eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem Tod als auch ein sehr universeller Blick auf die Wut und Ohnmacht, die man empfindet, wenn das Leben eines Liebsten bedroht oder beendet ist, aber auch auf die Stärke und den Zusammenhalt durch den gemeinsamen Kampf gegen einen so übermächtigen, grausamen und hinterlistigen Gegner.
Stark sein wird eine herzergreifende Klavierballade über den Moment, in dem man völlig unerwartet in diesen Kampf hineingezogen wird. Bucketlist ermahnt dazu, den Moment zu leben, es gibt ja nichts anderes: „Ich schieb nichts mehr auf meine Bucketlist / Ich leg‘ jetzt los, bevor alles im Eimer ist.“ Konfetti spielt in der Szenerie einer Beerdigung. „Kannst Du das sehen? Wie wir uns vor Dir verneigen? / Die Bäume streuen Konfetti und klatschen mit den Zweigen.“ Das ist ein Nachruf, der erfreulich wenig Pathos enthält, und trotzdem im höchsten Maße bewegend wird.
„Ich hätte in dieser Phase eigentlich dringend einen Psychotherapeuten aufsuchen müssen, aber ich wollte mich durch das Schreiben selbst therapieren“, sagt Enno Bunger über die Entstehungszeit von Was berührt, das bleibt. „So können aus den traurigsten Anlässen die berührendsten Lieder entstehen. Die größte Scheiße, durch die man gehen muss, kann der beste Dünger für berührende Kunst sein.“
Zwei der Lieder hat er selbst produziert, zweimal hat ihn Roland Meyer de Voltaire unterstützt, den Rest der Songs hat Tobias Siebert verantwortet. Gemeinsam sorgen sie für ein extrem hohes Qualitätsniveau, das manchmal fast ein wenig zu konstant erscheint: Hätte es in Sound, Aktualität oder Radikalität den einen oder anderen Ausreißer gegeben, wäre diese sehr gute Platte wohl noch besser geworden. Schon jetzt gelingt es indes, die Ästhetik von Vorbildern wie Elliott Smith oder Justin Vernon mit der nötigen Eigenständigkeit zu verbinden, beispielsweise durch den häufig eingesetzten Sprechgesang, der einerseits wohl benutzt wird, weil hier sehr viele Wörter pro Lied unterzubringen sind, andererseits bestens geeignet ist als Ausdruck der emotionale Schockstarre und Verwirrung, in der viele der Songs auf Was berührt, das bleibt entstanden sind.
Kalifornien eröffnet die Platte vergleichsweise schwungvoll, auch wenn man bereits ahnt: Das ist ein Optimismus, zu dem sich der Künstler ein bisschen überreden muss. Wofür vereint einen sehr cleveren Text mit einem sehr schicken Arrangement. Ein Titel wir One-Life-Stand könnte peinlich werden, aber Enno Bunger ist zu schlau und stilsicher dafür. „Mit dir in meinen Armen / habe ich mein Leben im Griff“, lautet eine der Zeilen.
In Glaube an die Welt wird er, fast nur vom Klavier begleitet, grundsätzlich in seinem Blick auf das Leben, was an Gisbert zu Knyphausen denken lässt. Wolken aus Beton artikuliert das Versprechen von Zusammenhalt, das für viele seiner Lieder ein zentrales Element ist. Niemand wird dich retten erinnert daran, dass Comic- und Filmhelden nun einmal fiktive Figuren sind und somit wenig hilfreich als erhoffte Erlöser für unsere Alltagsprobleme. Das eigene Leben muss man schon selbst in den Griff kriegen, notfalls mit ein bisschen Unterstützung der hilfreichen Eigenschaften unserer Psyche: Weichzeichnungsfilter schließt die Platte ab mit dem banal erscheinenden, aber nun einmal zutreffenden Hinweis, dass die Zeit fast alle Wunden heilt und unsere Erinnerung die Vergangenheit notfalls schöner erscheinen lässt als sie als Gegenwart jemals war.
Ponyhof wird eine Erzählung von einer alten Freundschaft („Wenn ich von Freundschaft sprach / habe ich immer dich gemeint“), vom gemeinsamen Aufwachsen, als Mensch und Musiker. Wie Enno Bunger verraten hat, ist es die Vertonung der Rede, die er als Trauzeuge für seinen Freund Nils Dietrich gehalten hat, der auch der Schlagzeuger in seiner Band ist. Dieser Hinweis ist interessant und amüsant, er bereichert das Lied um eine weitere Facette. Er eröffnet aber gerade keine völlig neue Perspektive darauf und zeigt, ebenso wie der autobiografische Bezug beim Thema Tod: Die Songs von Enno Bunger brauchen dieses Betonen von Authentizität gar nicht. Diese Lieder sind ohnehin wahr.