Künstler*in | Erdmöbel | |
Album | No. 1 Hits | |
Label | Sony | |
Erscheinungsjahr | 2007 | |
Bewertung |
Als sehr junger Mensch habe ich mir mal das Rock- und Pop-Lexikon aus der Feder von Frank Laufenberg gekauft. Ich war, damals wie heute, daran interessiert, meinen musikalischen Horizont zu erweitern, und so ein Lexikon erschien mir da ideal: Alles, was jemals wichtig war, verteilt auf rund 1700 Seiten in zwei Bänden. Ein paar Jahre später kaufte ich mir auch Das neue Rocklexikon von Barry Graves, Siegfried Schmidt-Joos und Bernward Halbscheffel. Denn ich war immer noch daran interessiert, dazuzulernen. Und ich hatte gemerkt, dass bei Laufenberg wichtige Acts gar nicht zu finden waren. Das lag an seinem Auswahlkriterium: In sein Lexikon nahm er alle auf, die irgendwann einmal in Deutschland, UK oder den USA einen Top10-Hit hatten. So waren zwar etliche Novelty-Interpret*innen, Pop-Sternchen und One Hit Wonders vertreten, aber keine Acts, die sich vor allem über Alben definierten oder eher im Underground prägend waren.
Die Frage, wie sie eigentlich großen Pop für sich begreifen und wer nach der eigenen Definition dazu gehört und wer nicht, haben auch Erdmöbel für ihr 2007 veröffentlichtes Album mit Coverversionen aufgegriffen. „Lasst uns das Wort Pop mal ernst nehmen“, lautete der Entschluss des Quartetts aus Köln, und daraus ergab sich sofort die Frage: „Mögen wir echte populäre Musik? Mögen wir die populärste Musik? No.1?“
Die Antwort lautete offensichtlich: Ja, aber nach unseren Bedingungen. Die Band hat sich zwölf Lieder herausgesucht, die alle tatsächlich mal irgendwann zwischen 1965 und 2001 und irgendwo auf der Welt an der Spitze der Charts gestanden haben, und sie hat ihnen unter Regie von Produzent Ekimas den typischen Erdmöbel-Sound verpasst. „Lakonisch-lässig, aber nie gelangweilt, selbstbewusst, aber zu keiner Zeit überheblich“, hat der Musikexpress das genannt.
Es beeindruckt bei den No. 1 Hits immer wieder, dass sie tatsächlich nur Gitarre, Klavier, Schlagzeug, Bass, Posaune und den Gesang von Markus Berges brauchen, um sich denkbar unterschiedliche Werke aus fremder Feder zueigen zu machen. Zum Auftakt in Was geht Muschikatz? (jawohl, frei nach Tom Jones) wirkt ihr Ansatz noch wie eine ziemlich bekloppte Idee, das Ergebnis landet irgendwo zwischen Brecht/Weill und Kaizers Orchestra. Schon das folgende Riecht wie Teen Spirit setzt mit Bläsern und Lounge-Atmosphäre aber ein Ausrufezeichen – auch, weil es Erdmöbel dabei irgendwie gelingt, den im Nirvana-Original so prägenden Nihilismus zu bewahren.
Lieder wie Weil du fortgehst (ursprünglich Porqué Te Vas von Jeanette) und Ich machte ’nen Scherz (I Started A Joke von den Bee Gees) sind schon als Vorlagen mellow und elegant – zwei Attribute, die unverkennbar wunderbar zu Erdmöbel passen. Auch beim entspannten und etwas abgewrackten Einer wie wir (One Of Us von Joan Osborne) kann man so etwas wie eine Geistesverwandtschaft zumindest erahnen. Spätestens bei Wieder allein, natürlich (Alone Again, Naturally von Gilbert O’Sullivan) als drittletztem Lied der Platte könnte man wetten, das sei eine Eigenkomposition des Quartetts.
Noch aufregender werden die No. 1 Hits aber, wenn sie sich deutlich weiter aus der eigenen musikalischen Nachbarschaft heraus bewegen. Insbesondere trifft das zu, wenn die Vorlagen keine oder nur wenige analoge Instrumente enthielten. Auf und ab (Vengaboys, tatsächlich) klingt putzmunter, sehr kurzweilig und etwas durchgeknallt wie etwa die Coverversionen von Mambo Kurt. Aus meinem Kopf (Kylie Minogue) wird um eine verspielte Klavierfigur herum aufgebaut, im Vergleich zum Original führt das zu weniger Sex, aber mehr Sehnsucht und Romantik. Lediglich Das Modell (Kraftwerk) wird nicht ganz überzeugend, auch weil hier wenig Eigenleistung hinzukommt. Vielleicht wollten sie als Kölner bei einer Komposition aus Düsseldorf auch bloß besonders behutsam sein, um die Lokalrivalität nicht noch mehr anzustacheln.
Dafür wird Fahler als nur fahl (Procol Harum) ein Highlight. Das Lied ist vielleicht die famoseste von vielen außergewöhnlich feinfühligen und gewitzten Übersetzungsleistungen auf diesem Album, was einen Text mit tanzenden Bären, weggeworfenen Skat-Spielen und dem Doppelsinn vom Grauen des Morgens hervorbringt, umrahmt von einer traumhaft schönen Posaune. Zudem beweist War mal ein Junge (Crash Test Dummies) viel Experimentierfreude, Der Weg nach Mandalay (Robbie Williams) verliert zwar seine Schmissigkeit, bekommt dafür aber eine Nonchalance, die viel besser zum Thema passt. Ohnehin zeigen die No. 1 Hits nicht nur, wie variabel etliche der Originale und wie unverkennbar Erdmöbel in ihrem Sound sind. Durch die eingedeutschten Lyrics merkt man häufig auch erst hier, wie gut (und oft: traurig) die Texte bei den Bee Gees, Robbie Williams oder Gilbert O’Sullivan schon waren.