Künstler | Ezra Furman | |
Album | Transangelic Exodus | |
Label | Bella Union | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Die ersten Zeilen einer Platte seien bei ihm immer wie eine Zusammenfassung des ganzen Werks, hat Ezra Furman einmal gesagt. Auf seinem siebten Album Transangelic Exodus lauten sie: “I woke up bleeding in the crotch of a tree / TV blaring on the wall above the coffee machine.“ Was sagt das über die neue Platte aus? „So fühlt sich das Leben für mich an. Unbekannt und intensiv. Das spielt eine große Rolle für die Atmosphäre des Albums“, lautet die Antwort des 31-Jährigen, der nach einem einjährigen Aufenthalt in seiner Heimatstadt Chicago mittlerweile wieder nach Kalifornien gezogen ist.
Suck The Blood From My Wound heißt der dazugehörige Song, der Transangelic Exodus eröffnet. Er hat eine Entschlossenheit wie Springsteen, dazu eine Eingängigkeit und Ästhetik, die auch zu Phantom Planet passen würde. Er enthält aber nach der ersten Zeile noch ein paar wichtige Worte, die fast noch prägender für das Album sind: „To them we’ll always be freaks.“ Dieses Dasein als Außenseiter war auch schon auf dem Vorgänger Vorgänger Perpetual Motion People (2015) und der folgenden EP Big Fugitive Life ein wichtiges Motiv. Es ist aber für ihn – einen jüdischen, bisexuellen Mann, den weit mehr Hälfte der Google-Bildersuche in Frauenkleidern, mit Omaschmuck und/oder kräftigem Make-Up zeigt – noch ein bisschen bedeutender geworden. Denn das in dieser Zeile erwähnte „them“, also die, die sich nicht als Randgruppe, sondern als Mehrheit empfinden, ist im Donald-Trump-Amerika mächtiger, lauter und intoleranter geworden. “2016 war ein hartes Jahr für mich“, erzählt Furman. „Die politischen und kulturellen Debatten entwickeln sich in eine sehr beängstigende Richtung. Zugleich waren wir sehr viel auf Tour. Es wirkte so, als hätten wir das Ende von dem erreicht, was wir sind. Deshalb wollten wir etwas Neues werden.“
Seine Begleitband heißt deshalb nicht mehr „The Boy-Friends“, sondern „The Visions“, bleibt personell aber unverändert mit Tim Sandusky (Saxofon), Jorgen Jorgensen (Bass, Cello), Ben Joseph (Keyboard, Gitarre) und Sam Durkes (Schlagzeug). Auch musikalisch suchte Ezra Furman einen veränderten Zugang zu seinem Schaffen. „Ich halte auch meine früheren Platten noch für kreativ und originell, aber sie wurden von vielen Leuten bloß als unkonventionelle Version einer Retroband betrachtet. Diesmal wollte ich etwas, das eigenständiger klingt. Deshalb haben wir eine Tourpause gemacht und uns wirklich Zeit für jeden einzelnen Song genommen. Der neue Sound ist deutlich mehr bearbeitet und aus vielen Elementen zusammengesetzt.“
Man hört diese Methode einem Stück wie From A Beach House an, das komplex und gewitzt ist. Gut erkennbar wird sie auch in der Single Driving Down To L.A., die so etwas wie ein Doo-Wop-Fundament hat, aber sehr giftig im Sound wird, verzerrt und gestört. Compulsive Liar (mit dem schönen Euphemismus „I’ll always be negotiating with the truth“) entstand ursprünglich als Ballade auf der akustischen Gitarre, wurde dann aber fast komplett elektronisch. „So kommt die Botschaft des Textes besser zur Geltung. Und das Lied ist weniger vorhersagbar“, erklärt Furman diese Entstehungsgeschichte. Der neue Ansatz bringt tatsächlich mehr Eigenständigkeit, geht manchmal aber auch auf Kosten der Unmittelbarkeit der Songs: Das Album hat weniger Momente, die sofort umwerfend sind, als frühere Platten. Dafür bietet es mehr, das sich erst beim wiederholten Hören offenbart.
Das sehr spannende Come Here Get Away From Me klingt, als würde Nick Cave versuchen, HipHop zu machen. Peel My Orange Every Morning erreicht einen sehr wirkungsvollen Kontrast zwischen vorgeblicher Ordnung und Gelassenheit in der Strophe auf der einen, Hektik, Stress und Chaos im instrumentalen Refrain auf der anderen Seite. No Place wartet genau andersherum mit einer wilden und dramatischen Strophe auf, die Ruhe des Refrains hingegen speist sich aus der ernüchterten Erkenntnis: „This world is no place at all.“
Da ist wieder das Empfinden des Nicht-Dazu-Gehörens, für das Ezra Furman diesmal einen besonderen Rahmen erfunden hat. „Das Narrativ ist, dass ich mich in einen Engel verliebt habe. Die Regierung jagt uns und wir müssen fliehen, weil Engel illegal sind, ebenso wie das Beherbergen von Engeln. Das Wort ‚transangelic‘ benutze ich für den Vorgang, wenn Menschen zu Engeln werden, weil ihnen Flügel wachsen. Sie verwandeln sich – und das versetzt andere Menschen in Panik. Sie haben Angst, dass es ansteckend ist und wollen, dass man es unterbindet.“ Besonders sichtbar wird dieses Narrativ beispielsweise im wunderbaren Love You So Bad mit dramatischen Streichern, trockenem Beat und ELO-Gedächtnis-Chor – das wird eine herrlich romantische Außenseiter-Geschichte, schon wieder.
„Das Album funktioniert aber auch ohne diese Rahmenhandlung“, betont Ezra Furman. „Worum es eigentlich geht, ist die Stimmung: paranoid, autoritär, die Art und Weise betrachtend, in der bestimmte Leute stigmatisiert werden. Das ist ein wichtiges Thema im heutigen Amerika, und es ist auch in anderen sogenannten Demokratien relevant.“ Auch wenn man die Engel-Komponente außer Acht lässt, spielt auf Transangelic Exodus doch Religion eine prominentere Rolle als auf früheren Platten. Das zeigt etwa Psalm 151, eine klasse Ballade in Paul McCartney-Dimensionen. „Es steckt viel Sehnsucht und Wut in diesen Songs. Diese Sehnsucht gilt auch Gott und seiner Hilfe. Man wundert sich, wie lange er dies geschehen lässt. Für die Unschuldigen, Verfolgten, Unterdrückten und Bedrohten fühlt es sich an, als seien sie im Exil. Aber es ist schwierig, in der Popkultur explizit religiöse Statements zu machen. Denn viele Menschen sind durch Religion verletzt wurden – auch ich“, sagt Furman dazu. Im reduzierten God Lifts Up The Lowly nimmt er das Thema ebenfalls auf und singt eine Strophe sogar auf Hebräisch. Die Erkenntnis des Lieds lautet vielleicht: Die einzig guten Religionen sind die, die man selbst erfunden hat.
Als wichtige Einflüsse für Transangelic Exodus zählt Ezra Furman beispielsweise Vampire Weekend, Sparklehorse, Beck, Kanye West, Kendrick Lamar, Tune-Yards und Angel Olsen auf („Das sind Künstler, die aus den verfügbaren Ressourcen die interessantesten Ergebnisse hervorbringen“, sagt Furman), außerdem Brian Wilson, Bruce Springsteen und den 1956 erschienenen Roman Giovanni’s Room von James Baldwin. Entsprechend bunt und vielfältig klingt das Album: Wer Lieder wie Maraschino-Red Dress $8.99 At Goodwill macht, wird niemals leugnen können, dass er ein Exzentriker ist. The Great Unknown bietet fast nur Trommeln und viele sehr poetische Zweizeiler, der vielleicht schönste davon heißt: „A song is a dream that goes on when it’s over.“
Das verspielte I Lost My Innocence schließt das Album ab, die folgende Zeile heißt „to a boy named Vincent.“ Bläser und andere Soul-Elemente prägen die schöne Atmosphäre, ein bisschen Angst steckt noch in diesem Song, aber auch großes Glück. „Diese frühe Erfahrung prägt den Erzähler für sein ganzes Leben. Schon in sehr jungen Jahren fühlt ich mich durch meine Erfahrungen mit Themen wie Gender und Sexualität dazu bestimmt, so eine Außenseiter-Perspektive einzunehmen. So etwas radikalisiert dich“, sagt Ezra Furman. Besser als er selbst kann man Transangelic Exodus nicht zusammenfassen, deshalb sollen ihm auch die letzten Zeilen gehören: “It’s not a concept record, but almost a novel, or a cluster of stories on a theme, a combination of fiction and a half-true memoir. A personal companion for a paranoid road trip. A queer outlaw saga.“