Künstler*in | Fatoni & Edgar Wasser | |
Album | Delirium | |
Label | LOL Records | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
The part (line) of a rhyme (mostly used in freestyle battles), that personally attacks the opponent. This line is a necessity to ensure your win and to please the crowd. A punchline should cause sting to a crowd or a reader (sting is when a crowd goes „OOOOOOH“ or „ohhh shitttt sonnn!!!“ after hearing a punchline).
So definiert das Urban Dictionary den Begriff „Punchline“. Man hätte statt dieser etwas umständlichen Umschreibung auch einfach den Hinweis platzieren können: Hör dir Delirium an, dann weißt du, was gemeint ist. Denn was Fatoni und Edgar Wasser hier abliefern, ist ein Fest der Frotzeleien, ein Paradies der Provokation, ein Gangbang der Gehässigkeiten. Und natürlich feiern die beiden ihre nun mehr als zehn Jahre bestehende Freundschaft.
Zur Erinnerung: Fatoni hatte seine Karriere als so etwas wie ein Deutschrap-Wunderkind gestartet. Für Creme Fresh, seine damalige Crew in München, gab es viel Applaus und frühe Lorbeeren, doch dann fehlte irgendwie das Timing oder die Entschlossenheit, daraus tatsächlich eine Karriere, vielleicht sogar einen Beruf zu machen. Und das hätte beinahe dazu geführt, dass Fatoni das Mikro an den Nagel gehängt und sich voll und ganz auf seine Schauspielkarriere konzentriert hätte. Newcomer des Jahres erzählt hier davon, wie diese Entwicklung vom Geheimtipp zum Nobody hätte laufen können, vom „nächsten großen Ding“ zu einem, der vergessen wurde und allenfalls noch in Jugendzentren auftreten darf, wo er von den Kids ausgelacht wird. Dass es für den heute 36-Jährigen nicht so kam, lag vor allem an der Begegnung mit Edgar Wasser.
2013 machten sie gemeinsam das Album Nocebo, und damit hatte Fatoni wieder Blut geleckt. Die folgenden Alben Yo, Picasso (2015) und Andorra (2019) brachten ihn dann (ohne zusätzlichen Antrieb durch Edgar-Wasser-Kraft) in die Charts. Jetzt haben die beiden hörbar wieder große Lust aufeinander und wissen sehr genau, dass diese Kollabo eine ganz besondere, einzigartige Chemie hat. „Wir waren jung und hungrig und talentiert, doch / entwickelten uns nicht weiter / und jetzt sind wir’s immer noch“, heißt es im Auftakt Ratatatatatatatatat, der mit viel Aggressivität gleich ein Statement setzt.
In Homie du weißt inszeniert sich Fatoni als „der deutsche Kendrick Lamar„. Das stimmt nicht ganz, aber eine Münchner Entsprechung von Eminem kann man hier in jedem Fall entdecken. Der Beste wird sehr clevere Selbstbeweihräucherung, Freierssohn geht ebenso originell mit dem Dilemma um, im Battle-Rap politisch korrekt sein zu wollen. YOLO zeigt mit seinem Text, dass Fatoni mit sich selbst mindestens ebenso so hart ins Gericht geht wie mit all den anderen, die er disst.
Delirium beeindruckt aber keineswegs nur als Füllhorn an Punchlines. Schon der Albumtitel zeigt, dass die Effekte von Corona und anderen Phänomenen unserer Zeit für das Duo zu einem Zustand geführt haben, der sich unwirklich anfühlt, als „komische Zeit“ mit einem „komischen Vibe“, wie es an einer Stelle heißt. Diese Wahrnehmung bringen die Tracks wiederholt wunderbar rüber, auch durch die Sounds. So High zeigt das sehr deutlich, indem es eben nicht den Rausch thematisiert, sondern den Come Down, den Kater, die Paranoia.
Danke für dein Feedback nimmt den Overkill der Online-Kommunikation in den Blick und die Sehnsucht danach, einfach mal in Ruhe gelassen zu werden oder andere gar dazu zu bringen, ihre Meinung für sich zu behalten. „Wie soll man aus etwas Satire machen, was schon Realsatire ist? / Guck dir man 2020 an / so etwas kann man sich nicht ausdenken / geschweige denn da noch einen draufsetzen“, rappt Fatoni schließlich in Realität, das Schlagzeilen von Xavier Naidoo bis George Floyd im Hinterkopf hat. Später fragt er darin: „Wie soll ich diese lächerliche Welt denn noch ins Lächerliche ziehen?“
Sich selbst im Zweifel als Satiriker und Clown zu betrachten, ist natürlich ein entscheidender Kniff, um all die Boshaftigkeit von Delirium abzufedern. Im großartigen Das Leben ist dumm werden Fatoni und Edgar Wasser dann sogar richtig albern, dazu gibt es das komplexeste Arrangement des Albums, das sich von einem Gitarrenpicking hin zu einem Karneval entwickelt. Zum Abschluss rappen sie ironisch über Künstlerische Differenzen, aber natürlich ist auch Delirium in Wirklichkeit wieder eine kongeniale Zusammenarbeit, die auch deshalb so gut funktioniert, weil sie keine Symbiose wird, sondern jeder der beiden noch als Individuum erkennbar bleibt. Im Prinzip hört man hier einfach zwei sehr gewitzten Freunden dabei zu, wie sie zusammen Scheiße labern und sich dabei gegenseitig anstacheln. Dass sie dabei auch sich selbst nicht schonen, macht dieses Album umso stärker.