Künstler*in | Fatoni | |
Album | Wunderbare Welt | |
Label | LOL Records | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Check Your Head / Stephie Braun |
„Der Preis des Erfolges ist Hingabe, harte Arbeit und unablässiger Einsatz für das, was man erreichen will“, hat der 1867 geborene US-Architekt Frank Lloyd Wright einmal gesagt. Es ist ein Zitat, das auch wunderbar in die heutige Silicon-Valley-Philosophie oder zu anderen neoliberalen Ideologien passt. Der Spruch ignoriert allerdings einen sehr wichtigen Aspekt, den Fatoni mittlerweile verstanden hat: Erfolg braucht in Wirklichkeit nicht nur eigenes Talent, Ehrgeiz und Leistung. Sondern auch Glück, also einen Faktor, den man nicht selbst beeinflussen kann. Es bringt also nichts, verkrampft oder unversöhnlich zu sein beim Blick auf den eigenen Werdegang.
Das ist der Gedanke, der die 14 Stücke von Wunderbare Welt am meisten prägt. Besonders deutlich wird das in Pete, benannt nach Pete Best, der 1962 (also vor dem Mega-Erfolg der Fab Four) als Schlagzeuger der Beatles gefeuert wurde. Er sei als Musiker nicht gut genug, lautete damals einer der Gründe, ihn durch Ringo Starr zu ersetzen. Best hat diese Entscheidung stets mit Fassung getragen, vielleicht hat dabei auch geholfen, dass er mindestens eine Million Pfund aus den Erlösen von Anthology 1 erhalten hat, weil die Sammlung mit Beatles-Frühwerken zehn zuvor unveröffentlichte Songs enthielt, auf denen er Schlagzeug spielt. Aber das Credo „Du kannst alles schaffen / streng dich nur an“, das Fatoni in diesem Track besingt, traf auf Pete Best eben genauso wenig zu wie es für Fatoni oder jeden von uns gilt.
Das Wissen, dass eben auch Pech, dumme Entscheidungen oder widrige Umstände darauf Einfluss haben, wo man heute steht, und die Ahnung, dass man deshalb vielleicht etwas entspannter auf die eigene Position im Hier und Jetzt und den Weg dorthin blicken kann, zeigt sich auch in Mein junges Ich (mit Mola und Max Herre). Fatoni zeigt darin mit viel Klasse und einiger Eleganz, was er im Leben alles dazugelernt hat, ohne deshalb seine Vergangenheit zu verleugnen. Mid 90s hat ein ähnliches Thema: Der 1984 in München als Anton Schneider geborene „beste deutsche Rapper der Welt“ erinnert sich darin an Skaten, Sprayen, Kiffen und das Lebensmotto „Immer dem Ärger nach“. Das wird glaubwürdig und atmosphärisch stimmig, auch weil er sich Selbstüberhöhung verkneift.
Passend zur neuen Gelassenheit nimmt sich der Wahlberliner, der einst eine Ausbildung als Erzieher gemacht hat und mittlerweile auch als Schauspieler erfolgreich ist, für seine Wunderbare Welt auch musikalisch neue Freiheiten. Das Album wurde zum größten Teil erneut mit den langjährigen Wegbegleitern Torky und Dexter produziert, schon der höchst komplexe Titeltrack als Auftakt zeigt allerdings, wie groß Vielfalt und Bandbreite hier sind. Wunderbare Welt erzählt von Alltagssorgen und Nachrichtenrauschen, von der Anforderung, für all das Interesse aufzubringen und zu all dem eine Meinung zu haben, vor allem aber von dem Entschluss, sich dieser Erwartungshaltung zu verweigern. Freiheit ist eben auch, sich heraushalten zu können und zu sagen: Das geht mich nichts an.
Auffällig sind im Verlauf des Albums die vielen von einer Gitarre geprägten Passagen, die meist mit Moritz Heesch alias Dienst&Schulter entstanden sind (Yassin, Koljah, Mädness) entstanden sind. Das gibt den Songs oft zusätzliche Tiefe, etwa im ebenso entspannten wie reflektierten König der Zweifler, in dem Fatoni die eigene Unsicherheit in ein sehr hübsches Liebeslied verwandelt. Du wartest (mit Tristan Brusch) ist ein Aufruf zum Ausbruch aus dem 9-to-5-Hamsterrad und eine Erinnerung daran: Wer nie Nein und Stop sagt, hat letztlich womöglich wenig in seinem Leben, für das es sich lohnt, aus vollem Herzen Ja und Los zu sagen. Mit Danger Dan besingt Fatoni in Danke, dass du mich verlassen hast eine kaputte, längst auch gewaltsame Beziehung. Ich surfe ist ein scharfer Blick auf die ungesunde eigene Handynutzung, Alle ziehen blickt auf eine Sucht anderer Art, nämlich nach Kokain – einschließlich der Erfahrung, wie schnell der Rausch vorbei ist und wie hohl und oberflächlich der vermeintliche Zusammenhalt der Druffies sich anfühlt, wenn man wieder nüchtern ist.
Natürlich kann die Wunderbare Welt aber auch sehr heiter sein, dafür sorgen beispielsweise Links Rechts, das einen Boom-Bap-Beat mit Streichern und Samples aus Filmen mit Bud Spencer und Terence Hill anreichert, oder Dumm (mit Deichkind und Roger Rekless), das ein verstrahltes Klavier als Basis hat, ziemlich wahnsinnig und sehr spaßig wird. Auch Fröhlich (quasi feat. Alfred Jodocus Kwak) macht seinem Namen alle Ehre. Einerseits hört man die gute Laune von Fatoni hier tatsächlich, seine Stimme scheint geradezu zu grinsen. Andererseits erkennt man: Fröhlichsein sollte der Normalfall sein in einem glücklichen Leben, aber es fühlt sich für ihn aufsehenerregend und spektakulär an, weil es ein so seltener Zustand ist.
Der perfekte Abschluss für diese angenehm uneitle Platte ist Mit dem Taxi in die Therapie. „Mir geht es so gut wie noch nie“, singt Fatoni darin, schiebt aber zugleich seine sehr eigene Definition dieses Höhepunkts hinterher: „Mit dem Taxi in die Therapie.“ Auch wenn er also mittlerweile in der Lage ist, die eigenen Fehltritte und Irrwege zu akzeptieren, das Erreichte zu genießen, die Hater zu belächeln und die Wunderbare Welt als solche zu erkennen, bleiben eben doch noch Probleme – weil sie zum Leben dazugehören. Der Track verströmt, wie das gesamte Album, Zufriedenheit ohne Arroganz. Hatte Fatoni auf dem Vorgänger Andorra (2019) in Alles zieht vorbei noch zwischen Midlife Crisis, Burnout und „Kein großes Ziel im Leben“ geschwankt, erlaubt er sich hier ein wenig Zuversicht beim Blick auf das, was noch kommen mag, und eine dann doch recht positive (Zwischen-)Bilanz.