Künstler | Fenne Lily | |
Album | On Hold | |
Label | Fenne Lily | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Man muss wohl von einem Naturtalent sprechen. 16 Jahre alt war Fenne Lily, als sie ihr erstes Lied komponierte. Dieses Lied heißt Top To Toe, es hat eine schöne Melodie und eine tolle Atmosphäre. Es handelt, wie viele Lieder auf diesem heute erscheinenden Debütalbum, von dem, was zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegt. Es ist niedlich, aber auch ein wenig beängstigend durch die völlige Abgabe von Kontrolle, die darin besungen wird. Und es ist ein sagenhafter Erfolg. Mehr als 20 Millionen Spotify-Streams stehen schon zu Buche.
Die mittlerweile 20-Jährige hat aber mehr als nur ein gutes Händchen fürs Songwriting und eine hübsche Stimme. Sie hat etwas Besonderes. Was das ist, zeigt der dritte Song des Albums, Three Oh Nine. Fenne Lily hat ihn benannt nach dem Tag, an dem sie von ihrem Freund verlassen wurde: “An dem Morgen, als mein Freund mir gesagt hat, dass er weggehen wird, habe ich das Lied geschrieben. Er hat mir gesagt, dass wir noch drei Monate hätten, in denen wir versuchen könnten, weiter verliebt zu bleiben. Aber ich hatte schon mit dem Trauern angefangen.“
Die Trennung und der Versuch, damit fertig zu werden, sind die prägenden Themen des Albums. Symptomatisch (und überraschend) ist aber auch der Sound: Der Song ist, wenn auch dezent, so doch elektrisch instrumentiert, mit kompletter Band und E-Gitarre, nicht mit einem Folk-Arrangement, das eigentlich besser zu Stimme, Gestus und Aussage passen würde, zu diesem Moment, in dem man versucht, noch den Rest des Glücks auszukosten, obwohl man nicht nur um seine Flüchtigkeit und Zerbrechlichkeit weiß, sondern in diesem Fall sogar ein ganz konkretes Verfallsdatum dafür kennt.
„Ich will keine Folksängerin sein, auch wenn das eigentlich naheliegend für mich wäre. Ich will auch die Leute nicht enttäuschen, die Top To Toe so sehr gemocht haben. Aber ich will mich eben nicht in eine Schublade stecken lassen“, sagt Fenne Lily, die für die etwas muskulöseren Momente von On Hold mit der Band Champs von der Isle of Wight zusammenarbeitet. Der Titelsong ist so ein Moment, wie etwa das schicke E-Gitarren-Solo zeigt, das Lied hat sie ihrem besten Freund Felix gewidmet, den sie gleich nach der Trennung von ihrem Ex kennengelernt hat. Auch The Hand You Deal ist im Arrangement weit entfernt von Folk-Standards, obwohl das Thema wie gemacht für dieses Genre erscheint. „Save your breath / don’t say you care / I’m dumb I’m deaf / you broke me there“, heißen die ersten Zeilen, aber das klingt nicht bitter, sondern weise, in der Strophe fast acappella, später mit einem elektronischen Beat.
Der reizvolle Kontrast aus einer Sensibilität, die erstaunlich ist, und einer Härte, die sich hier auch immer wieder findet, hat vielleicht auch eine geografische Ursache: Fenne Lily kommt aus Dorset. „Auf dem Land aufzuwachsen, war umwerfend. Ich hatte so viel Platz und so viel Zeit, ohne irgendwelche Ablenkungen. Deshalb habe ich überhaupt ein Instrument gelernt, weil man sonst nicht viel machen konnte“, erzählt sie. Vor zwei Jahren zog sie dann nach Bristol und tauchte in die sehr lebendige Musikszene dort ein: „All meine Freunde machen total hippen Techno oder sind in irgendwelchen superharten Bands.“
Unterstützung hat sie sich, neben den schon erwähnten Champs, von den Produzenten Tamu Massif und James Thorpe geholt. Brother wurde als einzige Ausnahme von PJ Harvey-Kompagnon John Parish aufgenommen und produziert. Wie das in einem Lied über die Beziehung zwischen Geschwistern sein muss, wirkt das Ergebnis sehr intim und hat ein bedrohliches Brodeln im Hintergrund. Über solche Mitstreiter ist sie durchaus dankbar, denn für sonderlich produktiv hält sich Fenne Lily nicht. „Ich habe in meinem ganzen Leben vielleicht gerade einmal 20 Lieder geschrieben. Ich warte meistens auf den perfekten Moment, der dann erreicht ist, wenn ich über eine Sache einfach nicht mehr sprechen kann. Ich bin sowieso nicht gut darin, über meine Gefühle zu reden. Und meistens muss ich daraus dann einen Song machen“, erklärt sie.
More Than You Know (der zweite Song, den sie jemals schrieb) ist dann doch fast akustisch, nur mit Gesang und Gitarre. In What’s Good thematisiert sie erneut den Widerstreit zwischen Ratio und all dem anderen, das da noch in uns ist. „I need this more than I knew / more than I’d like to”, hat sie erkannt.
Einer von vielen Höhepunkten ist Car Park als Auftakt der Platte. “I wonder if you saw / that I was sorry for the beating of my heart / when it woke you in the car park”, merkt die Sängerin zu Beginn an. Die Idee, sich sogar für den eigenen Herzschlag entschuldigen zu müssen, steht als Metapher für den Fehler, sich immer an anderen zu orientieren, sich völlig aufzuopfern und aufzugeben, bis man irgendwann (viel zu spät) merkt, dass das nicht gesund ist und nicht funktionieren kann.
“Als ich das geschrieben habe, war ich wirklich wütend auf diesen einen Typen. Ich habe damals beschlossen, dass ich von solchen Männern nichts mehr will. Ein für alle Mal“, erzählt Fenne Lily. “Ich gestehe gerne, dass meine Lieder nicht besonders fröhlich sind. Aber Car Park dokumentiert noch eine Phase voller falscher Hoffnungen und Verwirrung, und ich habe es geschrieben, als mir klar wurde, dass solche Situationen immer die treffen, die passiv sind und sich das gefallen lassen. Ich kann und werde meinen Liebeskummer niemandem vorwerfen als mir selbst. Deshalb ist das eigentlich kein Lied über den Schmerz, sondern ein Lied über Kraft. Ein Lied darüber, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen und zu wissen, wann man sich lieber von Dingen verabschieden sollte, die einem wehtun, um Platz zu schaffen für die Dinge, die einem helfen zu wachsen.“
Es ist diese Fähigkeit, sehr genau in sich hinein zu hören und sehr kluge Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, die sich als größte Stärke der Engländerin erweist. Genau aus diesem Grund darf man auch gewiss sein, dass Fenne Lily trotz des Senkrechtstarts und der Selbsteinschätzung, einen nicht allzu großen Output zu haben, nicht schnell verglühen wird. Denn was ihre Songs so stark macht, ist letztlich kein Talent, sondern ein Wesenszug, ein ganz besonderes Sensorium für die Welt. „Meine Musik entsteht aus Zorn. Ich kann allerdings nicht zornig singen, deshalb singe ich traurig. Es ist eine Traurigkeit, die sich aus Wut speist“, sagt sie sehr treffend. In For A While singt sie die Zeile, die diesen Ansatz auf den Punkt bringt: „It hurts to feel so much.“
Triple B: Fenne Lily spielt Bud für Burberry in Bristol.
https://www.youtube.com/watch?v=4YCB_-B-qZk
Demnächst gibt es Deutschlandkonzerte von Fenne Lily:
23.04.18 – Studio 672 (Köln)
25.04.18 – Nochtspeicher (Hamburg)
26.04.18 – Capitol Kino (Mainz)
27.04.18 – Orangehouse (München)
28.04.18 – Wohnzimmerkonzerte Magdeburg (Magdeburg)
29.04.18 – Privatclub (Berlin)
29.09.18 – Way Back When Festival (Dortmund)