Fettes Brot Hitstory Best of

Fettes Brot – „Hitstory“

Künstler*in Fettes Brot

Fettes Brot Hitstory Review Kritik
Zehn Tracks aus 30 Jahren umfasst die „Hitstory“ von Fettes Brot.
Album Hitstory
Label Fettes Brot Schallplatten
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung

Nicht nur Beyoncé, sondern auch ein Jubiläum wurde gerade bei der Grammy-Verleihung groß gefeiert: 50 Jahre HipHop. Für diesen Jahrestag gab es innerhalb der Award-Show einen eigenen Programmpunkt mit einer Mega-Liveshow voller Stars und Legenden auf der Bühne, die von Questlove (The Roots) ausgewählt wurden. Darunter waren Run DMC, Busta Rhymes, Ice-T, Missy Elliott, Big Boi, Salt’N’Pepa, Public Enemy, Nelly, Queen Latifah und LL Cool J.

Die Performance zeigt dreierlei. Erstens, wie viel dieses Genre der Musikwelt gegeben hat. Zweitens, wie groß der Stellenwert von Rap weiterhin in der US-Popkultur ist. Drittens, dass die Grammys mittlerweile erkannt haben, dass sie Nachholbedarf in Sachen schwarzer Musik und insbesondere beim HipHop etwas gutzumachen haben. Erst 1995 gab es dort die ersten eigenen Awards in der Rap-Kategorie. Da waren die Pioniere des Sprechgesangs wie Grandmaster Flash oder N.W.A. längst schon wieder Geschichte.

1995 war auch das Jahr, in dem Fettes Brot Nordisch By Nature veröffentlichten, ihren ersten Hit. Diese Parallelität führt noch einmal die Dimension des Impacts von Doktor Renz, König Boris und Björn Beton vor Augen: Seit ihrer Gründung noch zu Schulzeiten (und noch zu fünft) 1992 sind mehr als 30 Jahre vergangen. Nimmt man das Geburtsjahr von HipHop tatsächlich im Jahr 1973 an, wie es bei den Grammys datiert wurde (und dafür gibt es gute Gründe, damals hat Kool DJ Herc nachweislich zu den ersten Blockpartys mit MCs und Beats in der Bronx eingeladen), lautet die Rechnung: Fettes Brot haben 60 Prozent der Zeit existiert, in der es HipHop überhaupt gibt. Das ist tatsächlich Hi(t)story. Wow.

Nordisch By Nature ist noch aus einem anderen Grund ein guter Ausgangspunkt, um auf die Karriere des Trios zurückzublicken, das im vergangenen Jahr seine Auflösung angekündigt hat und sich mit diesem Best-Of-Album, einer Tournee im April/Mai und einem eigenen Festival in Hamburg als fettem Schlusspunkt (die 50.000 Tickets für das zweitägige „Brotstock“ im September waren binnen drei Stunden ausverkauft) verabschiedet. Denn die Single, die damals bis auf Platz 17 der deutschen Charts kletterte und sich dort fast ein halbes Jahr lang hielt, würgten die Musiker bekannermaßen auf zweierlei Weg selbst ab: Den in der Originalfassung 8:45 Minuten langen Track begrenzten sie für die Singleversion auf knapp 4 Minuten, und zwar schlicht, indem sie den Hinweis „Lieber Radiodiscjockey. Wir haben soeben die 3:30 Schallgrenze erreicht. An dieser Stelle blenden wir den Titel für sie aus.“ platzierten. Und als das Lied immer bekannter wurde und die Single mehr als 150.000 Mal verkauft worden war, nahmen Fettes Brot die Platte vom Markt, obwohl sie weiter nachgefragt war.

Schon sehr früh haben diese drei Jungs also offensichtlich erkannt, wie schnell sich diese strenge HipHop-Sache mit „Two turntables and a microphone“ totlaufen könnte. Sie haben deshalb immer wieder Wege gesucht, ihre Musik für sich und ihr Publikum spannend zu halten – notfalls auch auf Kosten des kommerziellen Erfolgs. So gehören Hörspiele, Nebenprojekte und Überraschungsauftritte unter falschem Namen zu ihrer Karriere, ebenso wie Kollaborationen mit so unterschiedlichen Acts wie James Last, Modeselektor, den Memphis Horns und Tocotronic. Es ist zweifelsohne diese Lust auf die ständige kreative Challenge, die dafür gesorgt hat, dass Fettes Brot so lange existieren (was für sich genommen keine Leistung ist) und so lange relevant und unterhaltsam bleiben konnten (was eine enorme Leistung ist).

Man hätte auf ein „Greatest Hits“ dieser wundervollen Band natürlich weit mehr als zehn Songs packen können, die Auswahl gibt aber in der Tat einen sehr guten Überblick über die Stärken von Fettes Brot. Sie haben ein politisches Bewusstsein, wissen aber auch, dass eine Message zu haben auch Spaß machen darf (An Tagen wie diesen feat. Finkenauer). Sie können Monster-Tracks produzieren, die heute noch frisch und mächtig klingen (Schwule Mädchen). Sie haben nicht zuletzt einen Horizont, der auch in die elektronische und Gitarrenmusik hineinreicht, wie Bettina, zieh dir bitte etwas an mit seinen Dancehall- und Electroclash-Elementen ebenso zeigt wie The Grosser, das auf einem Original der Steve Miller Band beruht. Nota bene: Fettes Brot haben in ihrer Karriere beispielsweise Lieder von Rio Reiser, Superpunk und den Ärzten gecovert sowie einst Kraftklub für ihr Vorpgrogramm verpflichtet. Aus diesem Teil ihrer musikalischen Sozialisation erwächst offensichtlich der Mut, gegen die manchmal arg engstirnigen Regeln des HipHop zu verstoßen, wenn es ihnen gerade passt.

Das konnten sie sich auch erlauben, weil sie textlich eine Liga über Wegbegleitern wie den Beginnern oder den Fantastischen Vier agieren, das gilt für das Finden von Themen (wie in Jein, dessen Zeitlosigkeit nicht zuletzt darin besteht, dass es mitten aus dem Leben kommt) ebenso wie für die Detailversessenheit und den Wortwitz einzelner Verse. In einem Track wie Da draussen (Pt. 1) spielen sie sich die Reim-Bälle zu wie beim Tiki Taka, und von einem lyrischen Talent, das „In Deutschland geht ein Beat um“ auf „bis in die Sozialbausiedlung“ reimt (Erdbeben) können die allermeisten aktuellen Deutschrapper nur träumen.

Zu den ungewöhnlichen Charakteristika dieses Trios gehört auch, dass Fettes Brot mit zunehmendem Alter immer mehr Lust aufs Singen (statt Rappen) bekommen haben, wie man beispielsweise schon in Emanuela erkennen kann, ihrem bis heute erfolgreichsten Song, der parallel zur Hitstory in einem neuen „Ad/Al Edit“ veröffentlicht wird. Nicht zuletzt haben sich Doc Renz, König Boris und Björn Beton auch von Anfang an den gängigen Rollenbildern des HipHop verweigert. Sie waren nie Macker und Pimps, sondern im Zweifel lieber die charmanten Witzbolde mit „etwas mehr Humor als Advanced Chemistry und etwas weniger als die Fantas“, wie es 2002 im Booklet zur damaligen Best-Of-Sammlung Amnesie hieß. Augenzwinkern und (Selbst-)Ironie waren auch die einfachsten Möglichkeiten zum Umgang mit dem Mitte der 1990er Jahre durchaus noch diskutierten Makel, dass sie eben nicht aus der Bronx stammten, sondern aus Pinneberg und nicht in einer Gang waren, sondern aufs Gymnasium gingen. Zu ihrem sehr eigenen Verständnis der HipHop-Werte gehört auch, dass sie lieber auf Kollegialität und Kollaboration setzten statt sich in Battle-Raps und Dissen zu ergehen.

Auch das lässt sich schon ganz am Anfang in Nordisch By Nature erkennen, damals waren Gaze Matratze sowie Der Tobi & Das Bo dabei, den Satz mit dem Hinweis an die Radio-DJs durfte ihr Manager einsprechen. Der Schritt zu dem, was die mittlerweile knapp 50-Jährigen Musiker gerade im Interview mit dem Spiegel als Plan zur „coolsten Bandauflösung aller Zeiten“ bezeichnet haben, erscheint nach dieser Karriere mehr als schlüssig: Sie würgen jetzt ihre Laufbahn ab, so wie sie damals Nordisch By Nature abgewürgt haben. Bevor es langweilig wird.

Das Video zum Abschiedssong Brot weint nicht.

Website von Fettes Brot.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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