Fjarill – „Midsommar“

Künstler Fjarill

Fjarill Midsommar Albumcover
Drei Eigenkompositionen bieten Fjarill auf „Midsommar“.
Album Midsommar
Label Butter & Fly Records
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Die Mittsommer-Feier zählt, neben Ikea, Astrid Lindgren und Volvo, ja zu den beliebtesten Schweden-Klischees. Holde blonde Jungfern mit einem Kranz im Haar tanzen auf saftigen Wiesen, im Hintergrund futtert eine Großfamilie fleißig Köttbullar und Preiselbeeren, während ein glücklicher Elch die Szenerie auf einer sonnigen Lichtung beobachtet.

Fjarill haben nicht wenig von solchen Sehnsuchtsbildern profitiert, die gerade in Deutschland beliebt sind. Der Norden steht für Ursprünglichkeit, und wenn man die schon nicht zuhause erleben kann, dann kauft man eben Outdoor-Jacken, die für den Polarkreis geeignet sind, und die Musik der schwedischen Pianistin und Sängerin Aino Löwenmark und der südafrikanischen Violinistin Hanmari Spiegel. Das Duo hat sich 2004 in Hamburg getroffen und legt mit Midsommar sein mittlerweile achtes Album vor. Im Booklet gibt es deutsche Übersetzungen der Texte, und auf der Domain www.fjarill.de gibt es eine schwedische Sprachvariante (keineswegs umgekehrt).

Man findet auf dieser Platte viele Bezüge zur Natur, ständig ist von Sonne, Himmel, Blumen, Vögeln und Wald die Rede. Man findet auch Lieder wie Den blomstertid ni kommer, bei denen man sofort auf Sprachbilder wie „elfenhaften Gesang“ kommt, das an klares Wasser denken lässt und an uralte Bäume, die sich im Wind wiegen. Gerne schwärmt Aino Löwenmark auch von diesem besonderen Sommerlicht in Dalarna im Herzen Schwedens: „Die Sonne geht erst eine halbe Stunde vor Mitternacht unter. Aber es ist immer noch nicht ganz dunkel. Diese helle blaue Dämmerung setzt irgendetwas in mir frei. Nachts gehe ich spazieren im Wald, es duftet nach Moos und Wildblumen. Und in den Tälern sammelt sich der Nebel.“

Wer allerdings meint, Fjarill bedienten bloß ein paar beliebte Topoi aus Skandinavien und profitierten eben vom Image, das ihre Heimat hat, liegt falsch. Ihre Mischung aus Folk, Klassik und Jazz erweist sich auf Midsommar als 0 Prozent aufregend, aber 100 Prozent eigenständig. Auch die Tatsache, dass die Platte trotz der fast durchweg sehr reduzierten Arrangements bei einer Dauer von über 50 Minuten auch beim dritten und vierten Durchlauf nicht langweilig wird, ist eine Leistung.

Dazu tragen auch dezente Verschiebungen im Klangspektrum bei. In Uti var hage hat ein Akkordeon die prominenteste Position, Fjarills Midsommar, eine von drei Eigenkompositionen auf dieser Platte, gerät vergleichsweise schwungvoll und opulent, Den signade dag bieten Fjarill acappella dar, im Album-Schlusspunkt Limu Limu Lima ist erstmals im Werk dieser Band eine E-Gitarre zu entdecken, My pad wird von Trommelwirbeln vorangetrieben, am Ende hört man sogar ein Schlagzeug, das die ersten Gehversuche in Richtung Powerballade zu unternehmen scheint.

„Unsere Musik entsteht auf einer intuitiven Ebene. Wir analysieren kaum, sondern greifen vielmehr die Melodien der jeweils anderen auf“, erklärt Hanmari Spiegel die Arbeitsweise des Duos, und Aino Löwenmark bestätigt das: „Wir improvisieren viel. Uns ist es wichtig, dass es in der Musik nicht sofort ein Richtig oder Falsch gibt. Es geht darum, nicht so fest zu sein, sondern in Bewegung.“

Besonders deutlich hört man das in Jag vet en deijlig rosa, das sehr zurückhaltend beginnt und trotzdem eine große Präsenz entwickelt, bevor es in der zweiten Hälfte dann so etwas wie Lautmalerei bietet. Im instrumentalen Trolldans sind die Streicher nicht mehr bloß Zierrat, sondern der Kern des Stückes, und sie lassen vermuten, dass diese Trolle ziemlich viel Spaß bei ihrem ziemlich eigentümlichen Tanz haben. Värmlandsvisan scheint ein Blick auf eine magische Gegend zu sein, Stimme und Klavier agieren darin so behutsam, als sei noch ein Instrument im Raum, das sie auf keinen Fall aufwecken wollen.

Die Stücke auf Midsommar sind teils Eigenkompositionen, dreimal handelt es sich um vertonte Gedichte des Literaturnobelpreisträgers Pär Lagerkvist, der Rest sind schwedische Volkslieder, die neu interpretiert werden. „Diese alten Lieder haben eine mystische Qualität. Als Nicht-Schwedin hat es mich überrascht, dass die Stücke nicht ausschließlich hüpfend und fröhlich sind“, sagt Hanmari Spiegel – und zeigt damit, wie sehr sie auch selbst vom gängigen Schweden-Klischee geprägt ist.

Lite efter du är död då ska liljor blomma ist eines der Stücke, dessen Text von Pär Lagerkvist stammt. „Ein Mann wagt einer Frau erst seine Liebe zu gestehen, als diese beerdigt wird“, erklärt Aino Löwenmark den Kontext dieser Geschichte, zu der das Klavier noch etwas verspielter und die Streicher noch etwas abstrakter werden als sonst bei Fjarill üblich. Der Titel von Slut dina ögon lässt ein Schlaflied vermuten, und in diese Kategorie könnten auch ein paar weitere Songs dieses Albums fallen, etwa Kristallen den fina – ein Lied, das Dornröschen singen könnte. Kärlekens hem wird so etwas wie der konventionellste Moment von Midsommar: Nicht nur, weil da eine akustische Gitarre dabei ist, wirkt es fast wie ein klassischer Folksong, nicht wie eine Kostprobe der sehr eigenen Klangwelt, die man hier sonst findet.

Jenseits von Blumenmädchen und Skandinavien-Sehnsucht hat Hanmari Spiegel auch noch so etwas wie eine politische Botschaft entdeckt, die ihrer Ansicht nach auch im Mittsommer-Ritual steckt, und die hier keineswegs verschwiegen werden soll: „Allein durch Ideen entsteht kein Kranz, sondern erst durch das tatsächliche Tun.“

Kränze, Sonne und Wald gibt es auch reichlich im Video zu Fjarills Midsommar.

Fjarill bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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