Künstler*in | Fortuna Ehrenfeld | |
Album | Glitzerschwein | |
Label | Tonproduktion | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung | Foto oben: RSK PR/Christian Ohlig |
Es wirkt immer ein bisschen faul, wenn man als Kritiker die Rezension einer Platte mit einem Zitat beginnt. Schließlich hat man sich ja selbst die Aufgabe gestellt, die dargebotene Musik möglichst gut zu beschreiben und möglichst treffend zu bewerten. Bei Glitzerschwein ist das trotzdem der richtige Weg. Denn erstens stammt das Zitat nicht von einem anderen Kritiker, sondern von Gisbert zu Knyphausen, einem der besten Singer-Songwriter des Landes. Zweitens sind seine an Fortuna Ehrenfeld gerichteten Worte einfach absolut auf den Punkt: „Ich finde es einfach grandios, dass in eurem Musikkosmos einfach alles seinen Platz hat: der Irrsinn, die Poesie, der Krawall, der Kitsch, der Dancefloor, die daily Dosis Dada, die Wehmut und Rührung und die absolut ehrliche Nahbarkeit. Alles da, alles stimmig, alles sehr gut ineinandergearbeitet und natürlich fantastisch getextet. Ich kenne aktuell keine andere Band, bei der ich im einen Moment Tränen verdrücken, im nächsten lauthals lachen möchte und im übernächsten schon voller Vorfreude auf ein nächstes krawalliges Live-Konzert bin.“
Wer mit der Musik von Martin Bechler (Gesang, Gitarre, Keyboard), Jannis Knüpfer (Drums) und Elin Bell (Keyboard, Gesang) vertraut ist, wird bei den Wörtern „Dancefloor“ und „krawallig“ wahrscheinlich aufhören: Das sind nicht gerade Begriffe, die man bisher prominent mit der Band aus Köln in Verbindung gebracht hätte. Aber in der Tat gibt es auf ihrem fünften Album innerhalb von sieben Jahren Stücke wie den New-Wave-Kracher Leck mich am Arsch, amore mio!, der musikalisch ebenso einfallsreich ist wie textlich und irgendwo zwischen Andreas Dorau, Trio und Wir sind Helden landet. We Need To Go Maraca hat zwar am Ende einen Bossa-Nova-Lounge-Part, bietet vorher aber auch heftige Electro-Sounds im Stile etwa von Alter Ego. Auch im von Elin Bell gesungenen Wir propagieren den Exzess gibt es zwischendurch harten Techno. Spätestens da ist klar, dass die Discokugel auf dem Cover von Glitzerschwein kein Scherz ist. Zusätzlich bietet das an Le Tigre oder Ideal erinnernde Lied allerdings auch tolle Streicher und hübsche Gitarrenfiguren. Zusätzlich wird also klar: Hinter dem vermeintlichen Wahnsinn stecken ein großes handwerkliches Können und nicht zuletzt ein riesiger musikalischer Horizont.
Dieser noch stärker ausgeprägte Mut, sich alle musikalischen Freiheiten zu nehmen, hebt die Musik von Fortuna Ehrenfeld noch einmal auf ein ganz neues Level. Ein Lied wie Aufm Park & Ride von Golgatha zeigt das gut: Die Ästhetik gleicht noch am ehesten den früheren Alben. Aber auch hier gönnen sie sich wieder ein paar Sounddetails, hinter denen offensichtlich vor allem der Gedanke „Scheiß drauf! Warum nicht?“ steckt. Passend dazu vereint Revolution No. 9 hübsche Geigen mit einer monströsen Bass Drum sowie Samples mit erhabenen Synthies und den schon im Titel des Tracks steckenden Beatles-Referenzen – ohne dass irgendeine dieser Zutaten die sagenhafte, atemberaubend lebendige Poesie von Martin Bechler in den Schatten stellen könnte. „Ich mach die dümmsten Fehler immer nur für dich“, ist eine der vielen wundervollen Zeilen auf dieser Platte, sie stammen aus Autobahn, in dem ein dezenter, aber unruhiger Beat (irgendwo zwischen Chris Rea auf der Heimfahrt an Weihnachten und Johnny Cashs Boom-Chika-Boom), die verfremdeten Stimmen im Hintergrund und die Samples für einen leicht psychedelischen Eindruck sorgen.
An der Ecke bellt ein Hund eröffnet die Platte mit den tollen Zeile „So manches Mal war ich verloren, doch niemals so wie in dieser Nacht“, dazu gibt es nur Klavier, später ein paar Töne vom Kontrabass, ganz am Schluss wird ein Schlagzeugbecken gestreichelt. Auch hier wird schon klar, dass Fortuna Ehrenfeld keinen pompösen, plakativen Start in diese Platte brauchen, wenn sie so viel Tiefe und Sensibilität zu bieten haben. Das Lied erzählt von der Überwältigung einer Begegnung, die neue Hoffnung stiftet – nicht mal unbedingt auf die große Liebe, aber auf weitere Erlebnisse, die wieder Glauben an das Leben und an die Menschen geben können.
Straßen lang wie Segeltau ist wundervolle maritime Melancholie, Als unsere Gegenwart Science-Fiction war zeigt mit Versen wie „Alles, was ich suchte / konnte ich in dir finden / lass mich noch mal schauen / und dann lass mich erblinden“ erneut, warum die beiden Wörter „schwermütiger Spinner“ eine so schöne Kombination sind. Das forsche Wir müssen uns bewegen hegt Zweifel nicht unbedingt am Fortschritt, aber am Fortschrittsglauben („Was gerade noch undenkbar war / ist ab sofort verhandelbar“); wie dicht und klug dieser Text ist, wird dabei durch den Stimmeffekt fast verschleiert.
Queen Of Fucking Everything wird mit seinem stoischen Beat, der warmen Orgel und dem reizvollen Zusammenspiel von verlebter (Bechler) und zauberhafter (Bell) Stimme das vielleicht schönste, zugänglichste Lied der Platte. Wieder scheint darin eine Erkenntnis zu stecken, die man auf Glitzerschwein mehrmals erahnen kann: Die Dinge in der Tagesschau und auf Twitter sind letztlich nicht relevant. Was zählt, sind die kleinen Freuden, Gesten und Begegnungen.
Tragically Hip wird genau der Schlusspunkt, den dieses Album erwarten ließ und verdient hat. Auch dieses Lied unterstreicht die Einzigartigkeit von Fortuna Ehrenfeld und insbesondere Bechlers Kunst: Er könnte sich mit dieser Stimme, diesem Look und dieser Attitüde für sein Kaputtsein und seine Verzweiflung feiern lassen. Viele Menschen, die sich auf eine Bühne stellen, machen das ja auch mit einem ganz ähnlichen Gestus: Sie suhlen sich öffentlich im Gefühl der schmerzhaften eigenen Überlegenheit, in Suff und Zynismus. So einer ist Martin Bechler aber nicht. Es gibt zu solchen Figuren einen entscheidenden Unterschied, den die Zeile „Ich bin gerade wieder trauig / also träume ich von dir“ verdeutlicht: Er stellt sich nicht über den Rest, sondern ist selbst ein Versehrter. Er hat seine Ideale nicht verloren, sondern weiterhin genug Fantasie, um Chancen, Möglichkeiten und sogar Glück für möglich zu halten. Er leidet nicht an, sondern mit der Welt. Es gibt in seinen Liedern immer einen Rest von Hoffnung, eine Weigerung zu kapitulieren, einen Glaube an die Liebe und eine Zuneigung zu den Menschen, so unrealistisch all dies auch manchmal zu sein scheint.