Künstler | Fortuna Ehrenfeld | |
Album | Helm ab zum Gebet | |
Label | Grand Hotel van Cleef | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Auf dem Cover von Helm ab zum Gebet (als Zeichnung) und auf allen Promofotos zum dritten Album seiner Band (als echte Person) ist Martin Bechler im Schlafanzug mit riesigen Bärentatzen-Pantoffeln zu sehen, die er gerne auch während seiner Konzerte trägt. Man könnte daraus schließen, der Musiker aus Köln, der hinter Fortuna Ehrenfeld steckt, sei ein Couch Potatoe, gemütlich, nachsichtig, etwas faul. Davon kann allerdings keine Rede sein. Das beweist zum einen der Output von Fortuna Ehrenfeld, die mit Helm ab zum Gebet das dritte Album innerhalb von vier Jahren vorlegen, dazu demnächst noch eine Spontan-EP raushauen und natürlich fleißig auf Tournee sind, beispielsweise im Vorprogramm von Kettcar. Das beweisen aber auch die Texte von Martin Bechler.
Guten Morgen Ehrenfeld, ungefähr in der Mitte dieser Platte platziert, zeigt das besonders deutlich. Das Lied wirkt zunächst dada, vielleicht sogar ulkig. Aber dahinter steckt die Entschlossenheit, sich selbst nichts vorzumachen, von den Menschen um uns herum keine Banalitäten zu tolerieren und im Miteinander mit ihnen den Kompromiss niemals als die beste denkbare Lösung zu betrachten. Solch ein Blick auf die Welt erfordert nicht nur eine hohe Frustrationstoleranz, sondern auch eine ganze Menge Kraft. Und er hat Texte zur Folge, die einmalig sind in Deutschland.
Man kann das einen „fröhlichen Synapsentango“ nennen, wie eine Formulierung in der Single Tequila heißt, die mit einigen New-Wave-Anleihen zeigt, zu welcher Eingängigkeit und Einfachheit der Sound von Fortuna Ehrenfeld auch in der Lage ist. Auch die Charakterisierung als „ein schamloses Gemetzel am Rande der Vernunft“ (aus Die Umarmung der Magneten, an dem Enno Bunger mitwirkt) wäre zutreffend. „Und dann doch wieder alleine“, heißt die erste Zeile in diesem Lied, und sofort ist da ein Schmerz, den man erkennt, nachfühlt, verflucht. Der Autor Ingo Neumayer zählt die Zutaten für die Musik dieser Band im Begleittext sehr treffend auf als: „Poesie ohne Kitsch. Gefühl ohne Kalkül. Musikalische Präzision ohne Muckerallüren. Und eben auch eine ordentliche Portion Weirdness, Wahnsinn und künstlerisches Risiko.“
Bechler führt auf Helm ab zum Gebet die Stärken und Eigenheiten des Vorgängers Hey Sexy konsequent weiter. Deutlich präsenter als zuvor sind diesmal Paul Weißert am Schlagzeug und Jenny Thiele an den Tasteninstrumenten, die zudem auch gelegentlich eine zweite Stimme beisteuert. Im Titelsong hat das einen erstaunlichen Effekt: Die kaputte Stimme und verlorene Atmosphäre („gnadenlos romantisch / ahnungslos verliebt“, wie es im Text heißt), hüllt den Hörer erst in diesem typischen Fortuna-Ehrenfeld-Gefühl ein, bevor dann ziemlich unerwartet ein Duett daraus wird und eine neue Dynamik entsteht. Ähnlich ist die Rollenverteilung in Das ist Punk, das raffst du nie, das sich als irrer Spaß im Stile von Trio oder Stereo Total erweist, rund um die Zeile: „Alle finden’s scheiße und wir finden das geil.“
Das Selbstvertrauen, das daraus spricht, ist ein weiteres wichtiges Charakteristikum von Helm ab zum Gebet. Martin Bechler textet hier deutlich abstrakter, dadurch werden einige Texte weniger unmittelbar als auf Hey Sexy. Es dauert länger, bis sie ihr Potenzial zur emotionalen Identifikation erkennen lassen, dafür werden die Ergebnisse noch einmaliger und unberechenbarer. Es gehört zum Konzept, dass diese Ideen und Texte immer mal wieder auch schief gehen können. Denn das kann das Leben auch.
Manchmal glaubt man bei Helm ab zum Gebet, seine Methode als Lyriker durchschaut zu haben: Er entwirft einen normalen Vers, tauscht dann aber ein Verb oder ein Substantiv aus, sodass ein entrückter, verwirrender neuer Sinn entsteht. „Immer wenn du lachst, bricht hier der Wetterdienst zusammen“, heißt es beispielsweise in Die Welt in Teile, das nur aus Klavier und Gesang besteht. Egal, wie ungewöhnlich solch ein Bild sein mag, man erkennt das Gefühl darin und die Situation dahinter, in diesem Fall eine sehr individuelle Liebeserklärung. „Die Morgensonne prügelt auf die Bäckersfrauen ein“, ist in Sanktpankpaul ein weiteres Beispiel für diesen Ansatz, hier wird der Sound deutlich elektronischer und der Text fast zum Stream of Consciousness.
Gemeinsam mit Produzent René Tinner ist so eine Platte entstanden, die etwas sperriger ist als Hey Sexy, aber noch mehr Lust darauf macht, richtig darin einzutauchen. Heiliges Fernweh eröffnet das Album mit sanften Rhodes-Akkorden, gesprochenem Text und einem dezenten Beat. Es gibt viele schlaue Zeilen in diesem Opener, aber nur eine einzige, die zweimal zu hören ist. Sie heißt: „Es schlägt ein Herz in deiner Brust, das darfst du nie vergessen.“ Natürlich würde dieser Appell als Überschrift für die Musik dieser Band insgesamt funktionieren. Der Ablativ von Bumm unterstreicht, dass Martin Bechler kein Freund von Small Talk und Oberflächlichkeit ist, in Bad Hair Day („Das Leben ist ein lausiger Bad Hair Day / wer zum Friseur geht, hat’s nicht erlebt“) gönnt er sich einen Diss gegen Pink-Floyd-Fans, Hör endlich auf zu jammern erweist sich mit elektronischem Beat und deutlich mehr Entschlossenheit als wichtiges Element für die Dynamik des Albums.
Die Balance aus Provokation, Lakonie und Empörung ist auch diesmal wieder ein riesiger Pluspunkt für Fortuna Ehrenfeld. So scheint Salzblusenkreuz nicht nur eine angenehme Erinnerung an „pretty music, pretty people, pretty times“ zu sein, sondern ein ernst gemeintes Dankeschön. Und ganz am Ende, in Herbstmeister der Herzen, entwickelt die noch größere Rätselhaftigkeit und Individualität dieses Albums ihre ganze Wirkung und macht uneingeschränkt Sinn. Das Lied ist, wie diese Band insgesamt, ergreifend und einnehmend, brodelnd und besonders, warm und wahnsinnig.
Die Bärentatzen dürfen auch im Video zu Helm ab zum Gebet nicht fehlen.
Fortuna Ehrenfeld gibt es im Mai und Juli live zu sehen.
16.05. Aachen, Musikbunker
17.05. Münster, Sputnikhalle
18.05. Rostock, Helgas Stadtpalast
19.05. Berlin, BiNuu
21.05. Wiesbaden, Kreativfabrik
22.05. Stuttgart, Club Cann
23.05. A – Graz, Orpheum extra
24.05. A – Wien, Donaukanaltreiben
25.05. A – Oslip, C’est La Mü
26.05. München, Ampere
28.05. Bremen, Tower
29.05. Hamburg, Grünspan
30.05. Paderborn, Kulturwerkstatt
31.05. Köln, Gloria
12.07. Düsseldorf, GoldMucke Open Air
26.07. Würzburg, Hafensommer
27.07. Hamburg, Slamville (Solo)
03.08. Böblingen, Songtage
11.08. Bonn, Kunst!Rasen
23.08. Essen, Zeche Carl Open Air
24.08. Erfurt, Wipfelrauschen