Künstler | Fortuna Ehrenfeld | |
Album | Hey Sexy | |
Label | Grand Hotel van Cleef | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Wenn man das Pech hat, so wie ich, Fortuna Ehrenfeld erst bei diesem voll und ganz umwerfenden zweiten Album entdeckt zu haben (schon im vergangenen Jahr erschien das Debüt mit dem schönen Titel Das Ende von Coolness Vol. 2), dann fallen zunächst drei Dinge auf.
Erstens: Martin Bechler, der hinter diesem Namen steckt und Hey Sexy ebenso wie die erste Platte größtenteils selbst produziert und eingespielt hat, ist als Mittvierziger für einen Newcomer zu alt. Man fragt sich, was dieser Mann bisher gemacht hat. Die Antwort lautet: Er leitet seit 20 Jahren die Firma Tonproduktion in Köln. Dort werden unter anderem die deutschen Star Wars-Hörspiele produziert. Als Musiker oder Autor hat Martin Bechler zudem bereits mit Rainald Grebe, Charlotte Roche oder Dieter Nuhr gearbeitet. „Ich habe das immer mehr als eine Art kreativen Raum gesehen, denn als einen reinen Studiobetrieb. In diesem Raum spacken wir uns seit vielen Jahren Projekte unterschiedlichster Genres zusammen und dieses Mal ist Fortuna Ehrenfeld dabei herausgekommen. Es gab diesen Pool an Songs und irgendwann war klar, dass ich das selber machen muss“, erklärt er die Umstände, die zur Entstehung der Band geführt haben, die live von einer Keyboarderin und einem Schlagzeuger komplettiert wird.
Zweitens: Bechler kann all diese Instrumente (und noch weitere) im Studio selbst spielen, und für die Aufnahmen hat er das auch weitgehend so gemacht. „Ich bin ein Kontrollfreak, meine Arbeitszeiten sind absurd, das wäre anderen Musikern nicht zuzumuten. Ich nehme Musik auf, wenn ich Lust dazu habe, und dann will ich nicht auf andere warten müssen, sondern machen. Also spiel ich es selber und dann ist es fertig. Mir ist musikalische Perfektion ein Gräuel. Es ist wichtig, dass alles immer ein wenig armselig und scheiße ist. Das funktioniert am besten, wenn ich es selber mache“, witzelt er. Trotz dieser Vielseitigkeit als Multiinstrumentalist fällt auf Hey Sexy aber etwas anderes zuerst auf: seine Stimme. Die ist auf so einmalig kaputte Weise eindringlich (man könnte allenfalls eine entfernte Ähnlichkeit etwa mit Mark Oliver Everett unterstellen), dass sie für dieses Album eigentlich schon die halbe Miete wäre.
Drittens, und damit sind wir beim Kern von Fortuna Ehrenfeld: die Lyrik. Was in den Texten dieser Lieder passiert, ist oft nicht zu fassen, so verschroben, schmerzhaft und witzig ist das. Gegen die Vernunft heißt ein Lied auf dem Album, das nur E-Piano, Gesang und ganz viel Herzblut einsetzt, und dieser Titel kann voll und ganz als Motto für Hey Sexy gelten.
Penn’ könn’ ist vielleicht das Lied, an dem man den Effekt dieser Poesie am besten illustrieren kann. Die Stimmung ist undefiniert, aber ehrlich. „Viel zu müde, aber nicht pennen können / bisschen aggro, aber nicht flennen können“, singt Martin Bechler. Man will ihn in den Arm nehmen und ihm ein Bier ausgeben, denn man weiß: Wie auch immer dieses Gefühl heißt – man hat genau das auch schon selbst gefühlt. Genauso leicht versteht man, was ein Glitzerschwein ist, in dem viel Stolz, Fantasie, Attitüde und ein wenig wohl auch der Geist von Rio Reiser stecken, oder was er mit dem „Kopfsprung in dein Hundeherz“ meint, dessen vergleichsweise üppige Klangästhetik beinahe an Whatever von Oasis denken lässt.
„Ich spiele den ganzen Tag Tetris mit Worten im Kopf, dieser Vorgang passiert 24/7 ganz automatisch. Ich kann’s nicht ändern“, beschreibt Bechler die Entstehung seiner Texte. „Ich lass’ Worte und deren Zusammenhänge kollidieren und bau sie neu zusammen. Daraus entstehen zwangsläufig Bilder. Die zu betrachten macht große Freude. Wenn sie mir gefallen, schreibe ich sie auf.“ Dabei kann beinahe Expressionismus herauskommen wie im Album-Abschluss Irgendwann der Sommer oder ein saugutes Liebeslied wie Bengalo, das verstehen lässt, warum Gisbert zu Knyphausen zu den Fans von Fortuna Ehrenfeld zählt.
Olli Schulz ist ein weiterer prominenter Unterstützer. Er sieht Hey Sexy als „eine überlebenswichtige Platte, vor allem wenn man aus einer Region wie Köln kommt. Die lakonische Stimme erinnert an Wum, den Hund vom Großen Preis, was toll ist. Atmosphärisch, wie eine gute, leider nie gesendete Derrick-Folge. Lustig, kluge und herzergreifende Fuck-You-Mugge.“ Das gilt für das surreale Quasi-Interlude Ey Ändi! und für das Seemanslied Endlos weit weg ebenso wie für die Single Zuweitwegmädchen, die ebenfalls von der Sehnsucht erzählt, um die Bechler aber nicht viel Aufhebens macht, weil wirklich tiefe Gefühle das gar nicht brauchen.
Die ersten Zeilen von Das letzte Kommando sind göttliche Gossen-Dichtkunst, der plumpe Heimorgel-Beat ist ein famoser Kontrast zu so viel Intelligenz, Sensibilität und aufrechter Empörung. Der „Reisegruppe Seltsam auf dem Weg ins Paradies“, die darin besungen wird, will man da natürlich schon längst blind folgen. Nach Diktat verreist deutet die Melodie eines bekannten Schlaflieds an und führt wieder die Methode vor Augen, mit der Fortuna Ehrenfeld ihre enorme emotionale Kraft entwickeln: Die Welt fühlt sich schlicht nicht vernünftig, logisch und strukturiert an, und so klingt eben auch dieser Text mit vielen umwerfend originellen und doch sofort einleuchtenden Sprachbildern.
Auch in Der Puff von Barcelona, das am Beginn von Hey Sexy steht, wird schnell klar: plump ist hier nichts, schwarz-weiß auch nicht, im Zweifel findet man nicht einmal Ratio. Dafür gibt es Poesie, die absurd, dada und komisch wird, weil sie aus Konfusion entsteht, aber niemals albern ist, weil sie letztlich ein Ausdruck von Verzweiflung oder zumindest Ohnmacht gegenüber dieser Konfusion ist. „Die Sterne leuchten heute so hypnotisch / ich glaube, die wissen gar nicht, dass sie jemand sieht“, ist der schönste Vers in diesem Lied, und einer von unzählig vielen umwerfenden auf dieser Platte. Nicht zuletzt liegt genau in dieser Stärke auch die Spannung des Albums: Die Musik von Fortuna Ehrenfeld ist oft getragen und manchmal sogar gemütlich, aber die Texte zeigen (übrigens ebenso wie die Konzerte): Martin Bechler hat kein Interesse an Bequemlichkeit oder Gefühsduselei, sondern ist ein Draufgänger.
Also, dieses Hundeherzlied mit Oasis zu vergleichen, ist schon arg hart.
Da zerspringt wirklich mein Oasis Fanherz. Eine Ähnlichkeit ist dort wirklich nirgends zu finden.