Künstler | Frank Turner | |
Album | Be More Kind | |
Label | Xtra Mile | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Little Changes heißt das dritte Lied auf diesem Album, und dieser Titel ist eindeutig ein Schwindel. Klein sind die Veränderungen keineswegs, die das siebte Album von Frank Turner mit sich bringt. Denn besagtes Lied kann man mit drei Buchstaben zusammenfassen, die man mit dem Engländer bisher nicht gerade assoziiert hatte: Pop! Es gibt Handclaps, eine extrem heitere Melodie und einen „Ohohoho“-Chor.
So gefällig dieser Sound ist, so muss man doch eingestehen: Von einem Künstler, der früher in einer Hardcore-Band gesungen hat und noch heute auf sein Punk-Ethos schwört, ist gerade diese Harmlosigkeit extrem mutig. In den Kommentaren unter dem dazugehörigen Video findet man bei YouTube auch entsprechend irritierte Beiträge. „Boring pop shit. (…) Bring back the guitar“, kann man da lesen. Oder: „Not loving this new cutesy music, kinda missing the more punk stuff.“ Sogar: „Frank Turner sounding like boring mainstream middle aged white guy music here. (…) Sad.“
Die Freunde seines bisherigen Sounds, die sich da äußern, werden auf Be More Kind noch mehr finden, was sie fragwürdig finden könnten. Es gibt Gospelchöre und Streicher, viel Romantik wie in There She Is, einen wunderschönen und ergreifenden Folk-Moment wie The Lifeboat oder akustische Gitarren mit einem elektronisch anmutenden Beat wie in Common Ground. Der 37-Jährige hat einen einfachen Grund für diese neuen Elemente. „Ich wollte aus meiner Komfortzone heraus“, sagt er.
Die zweite große Veränderung hängt ebenfalls mit diesem Anspruch zusammen: Frank Turner ist auf Be More Kind so politisch wie schon lange nicht mehr. Hatte er zuletzt das Persönliche oder allenfalls die Reflexion in den Mittelpunkt gestellt, so gibt es hier wieder sehr klare, explizite Positionen, sogar Agitation. In Zeiten von Brexit, Trump und Rechtspopulismus sieht Frank Turner offensichtlich den Moment gekommen, wieder ganz eindeutig Farbe zu bekennen. Fast immer nimmt er dabei die eigene Rolle in den Blick, erkennt das Private als politisch und betont die Bedeutung einfacher, zwischenmenschlicher Tugenden. Der Titelsong zeigt am besten, wie das funktioniert: “In a world that has decided that it’s going to lose its mind / be more kind, my friends, try to be more kind”, singt er da. Der Sound passt sich der Botschaft an und verkneift sich jede Aggressivität.
Auffällig ist, wie sehr sich der Künstler dabei einschließt, eigene Fehler ebenso eingesteht wie eigene Ratlosigkeit. „I was in my comfort zone / I was singing selfish songs“, singt er in Blackout, das von einer Zeit ohne Elektrizität erzählt und dazu seltsam funky klingt. Im Album-Auftakt Don’t Worry geht es in einer Gospel-artigen Atmosphäre darum, Zuversicht und Mut zuzusprechen, auch sich selbst, und sich Hysterie zu verweigern. “I don’t know what I’m doing / no-one has a clue“, heißt seine Analyse, die Hoffnung lautet: “But you’ll figure it out / I might too.”
Auch in 1933 offenbart Frank Turner seine Verwirrung beim Blick auf die Welt (“I don’t know what’s going on anymore”), in der er nichts weniger erkennt als Parallelen zu der Situation, die das Dritte Reich möglich machte. Seine Schlussfolgerung ist so klar, wie dieses Szenario bedrohlich ist: Kapitulation steht nicht zur Debatte, destruktive Empörung ebenfalls nicht, vielmehr schließt er sich erneut ein bei der Aussage, dass es so nicht weitergehen darf und dass es schwieriger wird, sich gegen Manipulation und Propaganda zur Wehr zu setzen. „You can’t fix the world / if all you have is a hammer“, hat er erkannt und mahnt: “Don’t go mistaking your house burning down for the dawn / be suspicious of simple answers / that shit’s for fascists and maybe teenagers.”
Mit Make America Great Again haut er Donald Trump dessen eigenen Slogan um die Ohren, hier kombiniert mit der Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen und der Erinnerung daran, dass Größe nicht über Egoismus oder Protzen definiert werden sollte. “Making racists ashamed again / let’s make compassion in fashion again”, heißt das Programm, das er stattdessen propagiert. Wenn man nicht so nett ist, wie der Albumtitel es empfiehlt, kann man das plump finden, vor allem, weil die Musik dazu beinahe wirkt, als wolle sich Frank Turner bewusst den Hörgewohnheiten des kleinsten gemeinsamen Nenners anpassen („essentially the sound of Frank begging Radio One for a hit“, hat der NME diese Masche spitzfindig zusammengefasst). Trotzdem bleibt kein Zweifel daran, dass diese Aussage aufrecht ist, richtig und notwendig.
Der 21st Century Survival Blues wird eine Warnung vor dem Klimawandel mit der Erkenntnis: In Zeiten des Sturms hilft nur, eng zusammen zu stehen. Going Nowhere ist ein fast unspektakulärer Blues, der beispielsweise zu Graham Coxon passen würde. Brave Face beweist, dass die vermeintlich unvereinbaren Attribute „hymnisch“ und „bodenständig“ sehr wohl zusammenpassen. Auch Get It Right zeigt, warum man Frank Turner auf Be More Kind manche etwas zu einfache Lösung und manches etwas zu seichte Arrangement durchgehen lässt: Sein Leiden angesichts der Zustände ist ebenso echt wie seine Hoffnung, dass die Menschen im Kern gut sind und das hinbekommen können, wenn sie einander zuhören, sich respektieren und zusammenhalten.