Franz Ferdinand – „Hits To The Head“

Künstler*in Franz Ferdinand

Franz Ferdinand Hits To The Head Review Kritik
Die „Hits To The Head“ haben einen sehr hohen Spaßfaktor.
Album Hits To The Head
Label Domino
Erscheinungsjahr 2022
Bewertung

„In der Band treffen sich vier Typen (oder fünf), die gelernt haben, wie man Rock’n’Roll-Musiker ansehen muss, was es an ihnen zu sehen gibt, was an ihnen gut aussieht. Sie haben das im Spiegel überprüft“, schreibt Diedrich Diedrichsen in Über Pop-Musik über den Ausgangspunkt vieler Bands. Sie sind demnach zunächst Fans, Bewunderer, Imitatoren, und irgendwann wird die Strahlkraft des angehimmelten Objekts für sie so groß, dass sie selbst so ein Objekt werden wollen, „um ihr Rezipientenwissen im Austausch mit ihren Bandkumpels als Selbstbewusstsein aufbauende Bestätigungs- und Versicherungsgesten auszutauschen und in der derart verschworenen Gemeinschaft kursieren zu lassen. Sie treten als Expertenrezipienten von ihresgleichen auf die Bühne und bestätigen sich, indem sie sich bei synchronen Powerchords und Harmony Vocals gegenseitig bestätigend bis verliebt anschauen“, schreibt Diedrichsen weiter.

Eine schöne Bestätigung für diese These kann man in dem Text finden, den Alex Kapranos als Begleitung der Best-Of-Sammlung Hits To The Head verfasst hat. Er zählt darin ein paar Schwärmereien für Indie-Helden und Pop-Sternchen auf, die ihn mit seinem Kumpel Bob Hardy verbanden, auch die Fantasie, ihre Heimatstadt Glasgow könnte vielleicht Musik hervorbringen, die so cool ist wie die Klänge aus New York. Nicht zuletzt räumt er freimütig ein, dass ihnen und den späteren Mitstreitern Nick McCarthy und Paul Thomson eigentlich etwas ziemlich Entscheidendes fehlte für die Erfüllung des Traums, sie selbst könnten vielleicht diese Musik fabrizieren: Niemand von ihnen konnte sonderlich gut ein Instrument spielen. Trotzdem wollten sie eine Band sein.

Aus dieser Idee entstanden Franz Ferdinand und eine erstaunliche Karriere: Fünf Alben, mehr als zehn Millionen verkaufte Platten, ein Brit-Award und fünf Grammy-Nominierungen. Lobpreis von prominenten Fans wie Kanye West, Lady Gaga und David Bowie. Fast noch höher zu bewerten: Diese Schotten haben in ihrer gesamten Laufbahn kein einziges schlechtes Lied gemacht. Mit Hits To The Head legen sie nun eine stolze Werkschau vor. „Es sind die besten dieser Songs, die dafür gesorgt haben, dass sich eine Generation sexy und lebendig fühlte, mit einer Mischung aus Tanzflächen-Euphorie, elektrisierenden Gitarren und einer leichten, weisen, lyrischen Versonnenheit“, sagt Sänger Alex Kapranos. Und das stimmt.

Dass die Band ihre eigene Gründung stets ein wenig als Schnapsidee betrachtete („Vermutlich habe alle Künstler das Gefühl, dass sie etwas erschaffen werden, das die Welt verändern wird, und gehen trotzdem davon aus, dass es niemanden interessieren wird. So war es jedenfalls bei uns.“), gehört dabei zu ihren größten Stärken, wie man auf den chronologisch angeordneten Hits To The Head immer wieder erkennen kann. Das gilt von Anfang an: Schon die Debüt-Single Darts Of Pleasure hat all den Charakter und all die Wiedererkennbarkeit, von der man damals natürlich noch nichts ahnen konnte. Der Bass trägt dazu bei, die immer ein wenig nach Pfandleihe klingende E-Gitarre, natürlich auch der irre „superfantastisch“-Teil. In Take Me Out, dem Song, der ihnen den Durchbruch brachte, kann man die Spätstarter-, Quereinsteiger- und Amateur-Perspektive ebenfalls erkennen: Fragen wie „Ist das Musik? Ist das erlaubt? Ist das zu einfach?“ werden bei Franz Ferdinand zugleich viel reflektierter diskutiert und mit großer Begeisterung für die Freiheiten des Pop über Bord geworfen. Daraus erwachsen die Unmittelbar- und Einzigartigkeit des Songs, seine universelle Kraft und seine schräge Individualität.

Der hinsichtlich Kompetenz und Erwartungshaltung niedrige Startpunkt trägt auch dazu bei, dass Fans diese Band bei ihrem eigenen Lernprozess begleiten konnten, was natürlich ebenso für Spannung wie für Verbundenheit sorgt. Die 20 Songs dieser Sammlung, die von Barry Grint neu gemastert wurden, zeichnen das wunderbar nach. Eine Retrospektive sei für die Künstler auch eine Möglichkeit, „die Entwicklung von Ideen aus der Perspektive der Langfristigkeit heraus zu verstehen und einen Hinweis darauf zu erhalten, wohin die Zukunft sie führen könnte“, sagt Kapranos: „Man kann die Kurve der Entwicklung sehen, ohne durch jedes Detail abgelenkt zu werden.“

Zu einem Song wie Stand On The Horizon, das höllisch funky und dazu enorm elegant ist, wären die frühen Franz Ferdinand wohl kaum in der Lage gewesen. Im neuen Track Curious können sie leichtfüßig mit einer Variation des Riffs von Take Me Out und damit mit der eigenen Geschichte spielen. Ein Lied wie Love Illumination (2013) ist auch innerhalb dieser Compilation ein Highlight, das so sagenhaft frisch und packend klingt, dass es Lahme nicht nur zum Gehen, sondern zum Tanzen und Springen bringen dürfte und Krachern aus dem Frühwerk in nichts nachsteht.

Die sind natürlich auch reichlich vertreten: Das Schlagzeug von The Dark Of The Matinee klingt auch heute noch, als komme es wirklich noch aus der lebensgefährlichen Bruchbude, die Franz Ferdinand in der Gründungszeit als Ort für erste Proben und Auftritte diente, und der sie den glamourösen Namen „The Chateau“ gaben. Der Song zeigt mit seiner erstaunlichen Beschleunigung, den windschiefe Harmonien und dem cleveren Text zugleich ein paar Markenzeichen. Dazu gehört auch der Spaß an Riffs, wie man sie sonst nur bei Hardrock-Bands findet, was beispielsweise in Michael gut erkennbar und dort gepaart wird mit Spaß an Rhythmus und Chaos, an Tanz und Flirt, an Kunst und Eskalation. This Fire will mit einer unerbittlichen, fast militärischen Kraft vorwärts und hat tatsächlich nur das legendäre Band-Motto „Wir wollen Mädchen zum Tanzen bringen“ im Sinn, ist aber dennoch in keiner Sekunde plump oder eindimensional.

Do You Want To könnte man auch als einen typischen Franz-Ferdinand-Moment betrachten, aber mit noch etwas mehr Disco und noch mehr Sex. Das umwerfende No You Girls ist smart und schmutzig, direkt und abwechslungsreich. Lucid Dreams wird mitreißend auch in der Botschaft, dass wir letztlich alle eins sind, nicht nur im Bestreben, eine gute Zeit miteinander zu haben. Ein Stück wie The Fallen war kein Mega-Erfolg (Platz 14 im UK), kann es in puncto Einfallsreichtum, Groove und Energie aber locker mit ihren größten Hits aufnehmen und bestätigt damit auch die These von Alex Kapranos, wonach schon die regulären Alben seiner Band oft wie Best-Of-Sammlungen klingen.

Erstaunlich ist im Rückblick auch, dass Franz Ferdinand nie ihre Ambitionen und nie ihren Fokus verloren haben. Ihre Musik sollte zunehmend elaboriert sein, aber dabei stets Spaß machen. Dabei waren die Zeiten innerhalb der Band nicht immer einfach, wie unter anderem zwei abhanden gekommene Gründungsmitglieder beweisen. „Im Jahr 2004 haben wir 382 Konzerte gespielt. Die Nerven lagen blank und die Band löste sich nach einer Schlägerei hinter der Bühne des Pariser Zenith für drei Tage auf, aber wir fanden wieder zusammen. Denn die Band war jetzt das, was wir waren. Sie war zu unserer kompletten Identität geworden“, erinnert sich Kapranos.

Zum Überleben hat sicherlich auch beigetragen, dass sich Franz Ferdinand auch Rückzugsräume und Entwicklungsmöglichkeiten erobert haben. So findet man inmitten der Hits To The Head auch erstaunliche Momente wie die atmosphärische Old-Timey-Ballade Walk Away, die von den Everly Brothers oder Buddy Holly stammen könnte. Outsiders ist ein spinnertes Sci-Fi-Experiment, Ulysses umarmt Elektronik und bleibt dabei unverkennbar Franz Ferdinand. Evil Eye spielt mit Elementen aus Michael Jacksons Beat It, Eminems The Real Slim Shady und Need You Tonight von INXS und entwickelt so ein bisschen Horror und viel Theatralik. Always Ascending ist hier also nicht nur ein Songtitel, sondern durchaus Programm.

Wie kreativ die Band weiterhin ist, hört man auch der 2021er Single Billy Goodbye an, in der mehr Ideen stecken, als manche Acts im 20. Jahr ihrer Karriere mit viel Glück noch für ein gesamtes Album aufbringen können, vom naiven Optimismus von Seventies-Boybands über Rockabilly und Elektronik bis hin zu Wahnsinn und Coolness. Bei solchen Songs wird es wohl glücklicherweise noch eine Weile dauern, bis wir auf den Gräbern von Franz Ferdinand tanzen werden, und auch Kapranos hat ganz offensichtlich noch Lust auf mehr: „Bei einer solchen Retrospektive geht es darum, die Vergangenheit zu verstehen, wie sie zur Gegenwart führt und in die Zukunft weist.“

Es darf getanzt werden, auch im Video zu Curious.

Website von Franz Ferdinand.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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