Franz Ferdinand, Täubchenthal, Leipzig

Franz Ferdinand Leipzig 2022
Foto: Domino / Dave Edwards

Drei Buchstaben können reichen, um ganz viel auszulösen. Tor ist so ein Wort mit drei Buchstaben, das zu Extase oder Verzweiflung führen kann. Sex natürlich auch. Und dann ist da noch der Hit. Er hat eine ganz besondere Wirkung, für die Fans und für die Künstler*innen. Meist ist es schließlich ein einzelner Song, der in der Karriere für den Durchbruch sorgt, der den Kontakt zwischen Band und Fan herstellt, der eine Verbindung schafft. Erklingt der Hit, wird man an diesen Moment erinnert, an den Reiz des Neuen, an das Prickeln einer Entdeckung. Umso schöner ist es natürlich, wenn eine Bands gleich mehrere solcher Hits hat, bestenfalls verstreut durch ihre gesamte Diskographie, sodass nicht alle auf denselben Hit vom Beginn der Karriere warten, sondern viele unterschiedliche Menschen im Publikum auf jeweils ihr ganz persönliches Lieblingslied.

Franz Ferdinand sind so eine Band, und ihr Konzert im Täubchenthal in Leipzig zeigt das. Zugleich kann man hier erkennen, dass es beim Hit natürlich nicht nur um Melodie und Beat geht, um eine clevere Textzeile oder ein markantes Gitarrenriff. Sondern auch um Erinnerung. Man will diesen Moment, dieses Gefühl wieder heraufbeschwören aus der Zeit, als man den Hit ins Herz geschlossen hat. Das Publikum ist entsprechend gemischt: Manche sind 19, bei vielen steht die 19 indes am Beginn des Geburtsjahres, gefolgt wohl meist von einer 7 oder 8. Und zu jedem Song gibt es mindestens eine Person im Saal, die nach den ersten Takten jubelnd aufschreit oder genau für dieses Stück das Handy herausholt, um ein Video zu machen. Es werden die Gitarrenriffs mitgesungen bei Do You Want To und natürlich bei Take Me Out, gleich mehrfach kann man spüren, wie sehr die Fans in Leipzig (wo Franz Ferdinand zum ersten Mal gastieren) auf diesen Abend hingefiebert haben und wie wunderbar ihre Vorfreude in Erfüllung geht.

Als „eine seltsame Sentimentalitätsachterbahn“, hat Benjamin von Stuckrad-Barre die Konzerte alter, wertgeschätzter Bands einmal bezeichnet. „Weil es ja in der Popmusik immer auch um Jugend geht, explizit oder implizit, ist so ein Legendenkonzert eine quasireligiöse Gestern- und Geisterbeschwörung; man wartet auf die Hits, nimmt ungeduldig irgendwelchen Spätwerkehrgeiz hin. Aber alles, sich selbst vor allem, vergessen, indem man sich seiner selbst erinnert – das kann man nur mit den Hits.“

Das Wunderbare an der Show in Leipzig: Den „Spätwerkehrgeiz“ gibt es nur in Form von Billie Goodbye (das ein House-Intro bekommt) und Curious, und auch die haben den Ehrentitel „Hit“ durchaus verdient. Ansonsten reiht sich Highlight an Highlight, schließlich findet das Konzert im Rahmen der „Hits To The Head“-Tour statt, als Begleitung zum Best-Of-Album der Schotten. Der Bühnen-Backdrop enthält neben dem Bandnamen deshalb auch nur dieses Wort „Hits“, mit einem Pfeil, der in die Mitte des Geschehens zeigt. Und auch das ist auffällig im Täubchenthal: Während andere Acts in diesem Stadium ihrer Karriere vielleicht nur noch widerwillig die alten Kracher spielen, auf die das Publikum sehnsüchtig wartet, bei denen sie sich selbst aber nur noch wie eine menschliche Jukebox vorkommen, haben Franz Ferdinand richtig Lust darauf.

Das liegt erkennbar daran, dass mit Julian Corrie, Dino Bardot und Audrey Tait drei neue Bandmitglieder auf der Bühne stehen, die diese Songs eben nicht schon hunderte Male gespielt haben, die genau wissen, an welcher Stelle die Fans ausflippen, hochspringen oder mitsingen werden. Es liegt aber auch daran, dass Sänger Alex Kapranos den Wert von (Greatest) Hits zu schätzen weiß: „Ich wollte immer ein Best Of machen“, hat er zur Veröffentlichung der Sammlung erzählt. „Sie waren ein wichtiger Teil meines Aufwachsens. Meine Eltern hatten keine riesige Plattensammlung. Sie hatten nicht jedes Album von David Bowie, sondern bloß Changes. Das rote und blaue Album von den Beatles. Rolled Gold von den Rolling Stones. Das war es, was sie gerne hören wollten. Die besten Stücke. Die Hits.“

Als „Wirbel“ hat Alex Kapranos einmal die Zeit bezeichnet, die für Franz Ferdinand mit Take Me Out begann. Das Wort wäre auch eine zutreffende Zusammenfassung für den Abend in Leipzig. Vom Auftakt No You Girls über das Schlagzeugsolo am Ende des regulären Sets bis Always Ascending als erster und einem epischen This Fire (in dem Alex Kapranos dank viel Hall auf der Stimme und einer bedrohlichen Lightshow fast ein bisschen zur Jim-Morrison-Wiedergeburt wird, allerding mit Westernhemd statt freiem Oberkörper) als letzter Zugabe steigt der Spaßfaktor mit jedem Song. Und wenn der Wirbel einen dann bis auf den Grund gezogen hat, mit durchgeschwitztem T-Shirt, heiserer Stimme und wundgetanzten Füßen, kann man gewiss sein, was man dort finden wird: noch einen Hit.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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