Künstler | Free Throw | |
Album | What‘s Past Is Prologue | |
Label | Triple Crown | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Knapp zwei Drittel aller Menschen, die mit dem Rauchen aufgehört haben, werden irgendwann wieder rückfällig. Cory Castro, Frontmann von Free Throw, ist ganz offensichtlich einer von ihnen. Gleich in der ersten Zeile dieses Albums bekennt er, die erste Zigarette nach vier Jahren geraucht zu haben, aus der dann im weiteren Verlauf des Openers Smokes, Let’s Go schnell eine ganze Packung wird. „I think I have some kind of penchant / for things detrimental to my health“, lautet sein Verdacht. Das Lied über die eigene Unvernunft klingt am Anfang noch reumütig zurückhaltend im Sound, am Ende ist es hymnisch und trotzig.
Später besingt er in Today Is Especially Delicious noch so ein Laster, das ihm völlig bewusst ist, aber deswegen noch lange nicht leicht zu besiegen. „Drinking for breakfast / has become a routine I’ve invested in / when my life is the mess that it’s been“, heißt es da. Beide Beispiele zeigen schon: Auch das dritte Album des Quintetts aus Nashville dreht sich vor allem um die Probleme des Sängers, und die sind auch auf What‘s Past Is Prologue nicht unerheblich.
„Das neue Album handelt von genau dieser Zeit in meinem Leben und dem Prozess, den ich im letzten Jahr angefangen habe, um wieder auf die Beine zu kommen“, sagt Cory Castro über seinen persönlichen Tiefpunkt Ende 2017, als die Tour zum Vorgänger Bear Your Mind zu Ende ging. „Beim letzten Album habe ich versucht, über meine psychischen Probleme zu sprechen, doch damals war ich mitten in der schlimmsten Phase und habe all das Gesungene gerade erst selbst durchgemacht. Es fühlte sich an, als würde ich aus der Leere schreien. Diesmal schaue ich zurück in diese Leere und fange endlich an zu verstehen, was wirklich vor sich ging.“
In der Tat kann man What‘s Past Is Prologue als eine Heldenreise begreifen, auf der Cory Castro von seinem Bruder Justin Castro (Bass), Lawrence Warner (Gitarre), Jake Hughes (Gitarre) und Kevin Garcia (Schlagzeug) begleitet wird. So ähnlich die Themen sind, so abwechslungsreich ist der Sound von Free Throw. Ein sehr prägnantes Riff setzt in Tail Whip, Struggle den Ton, der Song verlässt sich aber nicht allein auf dessen Wirkung, sondern wird sehr vielschichtig. You Don’t Say That beweist, dass die kraftvolleren Momente bei dieser Band nie plump werden, die gefühlvolleren nie weinerlich. The Fix Is In klingt noch etwas zurückgenommen zu Beginn, wird am Ende aber geradezu fiebrig. Auch Perfect Driftwood zeigt: Die Stimmung wechselt bei Free Throw gerne zig Mal pro Song, mitunter innerhab von Sekunden.
Auch das ist wahrscheinlich ein Ausdruck der labilen Psyche von Cory Castro, die sich auf What‘s Past Is Prologue gleich in mehreren Konflikten beweisen muss. Sucht man nach Leitmotiven auf diesem Album, so findet man beispielsweise eine Ex (oder mehrere), über die er nicht hinwegkommt, außerdem die Eltern, denen gegenüber er ein schlechtes Gewissen hat, dazu die Freunde, die manchmal mehr Belastung als Unterstützung sind und nicht zuletzt die Medikamente und Drogen, die womöglich ebenfalls eher schaden als nutzen.
Am klarsten bringt das The Corner’s Dilemma zum Ausdruck. Die simple Erkenntnis darin lautet: Menschen sind anstrengend, viele Menschen sind noch viel anstrengender. „So I’ll just keep drinking / and hope for the best / let my brain do the rest / man, fuck it whatever I guess“, singt Castro über sein Befinden auf einer offenkundig unlustigen Party. Natürlich wird aus diesem Pragmatismus schnell maximale Verzweiflung: „I just want to be a normal person / or anything but me“, heißt es wenige Zeilen später. Paradoxerweise gibt es dazu Chorgesang und auch jenseits davon den Eindruck, als solle die Kraft des Zusammenhalts beschworen werden.
Stay Out Of The Basement bekräftigt den Entschluss, das eigene Schicksal in die Hände zu nehmen und sich aus dem Tief herauszuarbeiten, ein paar Passagen daraus könnten klanglich auch als Math Rock durchgehen. Die Wut von Anaconda Vice kann sich in Schreien, Tempo oder Wucht äußern – oder in einer Kombination aus all dem gleichzeitig. Das eindringliche Monte Luna wirkt, als würde es gar nicht auf die Ohren als Sinnesorgane zielen, sondern direkt auf das emotionale Zentrum des Hörers.
Am Ende von What‘s Past Is Prologue gibt es nicht nur den sehr romantischen Glauben an Erneuerung in Cerulean City („Open up the doors let the breeze in“), sondern im abschließenden Titelsong sogar Hoffnung. In What’s Past is Prologue packen Free Throw noch einmal alles rein – und dem ersehnten Ziel scheinen sie mit dieser Platte in der Tat ein Stück näher gekommen zu sein.