Friends Of Gas – „Carrara“

Künstler Friends Of Gas

Friends Of Gas Carrara Review Kritik
Hart wie Marmor kann die Musik von Friends Of Gas auf „Carrara“ sein.
EP Carrara
Label Staatsakt
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Gleich vier Fotos von André Habermann stellt die Plattenfirma von Friends Of Gas zur Veröffentlichung dieser EP zur Verfügung. Doch so lange man sie auch betrachtet: Es wäre unmöglich, eine der darauf abgebildeten Personen wiederzuerkennen, wenn man sie wenige Stunden später auf der Straße träfe. Die Gesichter sind im Schatten, hinter Haaren verborgen oder von einem Schlagzeugbecken verdeckt, auf einem Bild dreht uns die Band aus München ihren Rücken zu, ein weiteres Motiv experimentiert mit der Belichtungszeit, sodass die Protagonisten auf der Bühne verschwimmen.

Das ist einerseits sehr passend für die Ästhetik von Friends Of Gas, denn daraus spricht sowohl eine Verweigerungshaltung als auch der Wunsch, die Musik (statt das Image) in den Vordergrund zu rücken. Andererseits ist dieser Versuch der Anonymisierung zum Scheitern verurteilt: Der Sound von Thomas Westner, Martin Tagar, Veronica Burnuthian, Daniel Tanner und Nina Walser ist schon nach nur einem Album (das 2016er Debüt Fatal Schwach) so charakteristisch und prägnant, dass man ihn sofort als Friends Of Gas identifizieren kann.

Auf Carrara beschreiten sie ihren sehr einzigartigen Weg aus Postrock, Noiserock und Krautrock eindrucksvoll weiter. Warum die von Olaf Opal produzierte EP Carrara heißt, erschließt sich nicht. Das Cover zeigt Marmor, für den die gleichnamige Stadt in Italien berühmt ist, die 12“-Ausgabe der Platte ist auf 500 Stück limitiert und erscheint auf marmoriertem Vinyl. Der Titelsong hingegen verweigert einen unmittelbaren Bezug: Ein einzelner Gitarrenakkord ist darin zu hören, wie der Schlag einer Totenglocke, und er bleibt für fast zehn Minuten das einzige Geräusch in diesem Track.

Das zeigt, wie experimentell Friends Of Gas sein können, beraubt sie allerdings auch ihrer größten Stärke, nämlich den von Nina Walsers schonungsloser Stimme vorgetragenen Texten, die oft assoziativ und bruchstückhaft bleiben (vielleicht ist da der Bezug zu den Steinbrüchen in Carrara zu finden), in Kombination mit dem brutalen Sound aber keinen Zweifel an ihrer Aussage lassen. So ist das Schlagzeug im Opener
Kalter Apparat für Friends Of Gas-Verhältnisse fast verspielt, der Bass klingt dafür umso unbarmherziger. Natürlich ist mit dem Titel kein Kühlschrank gemeint, genauso wenig geht es um die kommunistische Partei in Nordkorea oder die weltweite Waffenindustrie. „Der kalte Apparat sind wir“, lautet die Botschaft, die eher Diagnose als Vorwurf ist, zudem wird wiederholt „ein Leben voller Qualität“ erwähnt, das in diesem Kontext weder erstrebenswert noch erreichbar erscheint, wie eine Fata Morgana, die nur dazu da ist, unsere Qualen in der Wüste zu verlängern und uns trügerische Hoffnung zu geben. Vom Müssen ist unser Dasein erfüllt, attestiert das dritte Stück als Abschluss der EP, der Sound dazu ist gefährlich und schmutzig wie der Black Rebel Motorcycle Club und wird angereichert um eine von der Bahn abgekommene Surfgitarre.

Auch hier zeigt die Band, wie meisterhaft sie Unbehagen und Zweifel zum Ausdruck bringen kann und wie grandios die Balance zwischen Aufbegehren und Resignation ist, die man bei Friends Of Gas erleben kann. Ein bisschen Gewissheit und Hoffnung ist dennoch absehbar: Im April 2020 wird ihr zweites Album erscheinen.

Die gesamte EP haben Friends Of Gas mit einem Video begleitet.

Website von Friends Of Gas.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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