Künstler | Friends Of Gas | |
Album | Kein Wetter | |
Label | Staatsakt | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
Noiserock. Der Begriff klingt abgestanden. Ein Genre von vielen, letztlich austauschbar – auch dann noch, wenn man es mit Wörtern wie „post“, „grind“, „minimal“ oder „core“ kombiniert. Was Noiserock wirklich bedeuten kann, zeigen Friends Of Gas auf ihrem zweiten Album Kein Wetter, das heute erscheint: Die Musik der Band aus München ist dicht und aggressiv, voller Druck und Beklemmung. Sie nutzt die Wiederholung als wichtigstes Mittel, sowohl in den oft sehr kurzen Texten als auch in den meist sehr robusten Riffs. Man möchte im Verlauf dieser elf Lieder um Gnade bitten oder zumindest um eine Pause, aber natürlich gibt es die nicht – weder auf diesem Album noch irgendwo sonst auf der Welt.
Nach dem Debüt Fatal schwach (2016) waren Friends Of Gas viel auf Tour und dann mit Produzent Olaf O.P.A.L. im Studio. Für das Ergebnis werden Captain Beefhearts Magic Band, Kim Gordon, Lydia Lunch, Slint und Unwound als Referenzen genannt, doch schon ein flüchtiger Eindruck von Kein Wetter macht deutlich: Dieser Sound ist, zumal in Deutschland, einzigarstig. Waldbrand eröffnet die Platte und klingt sofort nach Gift und Inferno. Man kann an Royal Trux denken oder an Suicide (das Presse-Info zum Album beginnt mit dem Credo „den Schmutz der Straße auf die Bühne zu bringen“ von Alan Vega). Graue Luft wirkt, als wären alle Instrumente mit Stacheldraht umwickelt (und die Stimme auch), es ist ein Fiebertraum, zumindest möchte man das für diese fünf Musiker hoffen. „Ein Schädling ohne Feind“ wird in Teilchen besungen, und damit ist wohl der Mensch gemeint.
Die Naturmetaphern, denen man auf Kein Wetter immer wieder begegnen kann, stehen unzweifelhaft für das nächste Opfer, das unsere Gattung zugrunde richtet, während wir uns zugleich selbst zerstören. So wie Felder würde Soul klingen, wenn die Seele vom Teufel besessen wäre, oder Gospel, wenn das Glaubensbekenntnis so hieße wie hier: „Warten gegen die Gegenwart.“ Später wollen Friends Of Gas im psychedelischen Abwasser „im Abwasser schwimmen gehen und nicht an die verbale Sprache glauben“. Im Stechpalmenwald (ein Begriff aus der Prosa von Peter Stephan Jungk) begegnen wir der Zeile „Unsere Liebe ist ein in Hollywood gezüchtetes Monster“. So brutal wie diese Erkenntnis ist auch der Sound.
„Kapital oder Kapitulieren“ lauten die Alternativen in Schrumpfen, das erst Feedback präsentiert, dann die Stimme von Nina Walser, dann eine David-Lynch-Gitarre, stets begleitet von Wut und Aufschrei, aber nicht aus einer Position des (Besser-)Wissens heraus, sondern so suchend und verunsichert wie wir alle. Blaiberg (benannt nach einem Buch von Walter Aue aus dem Jahr 1970) ist schneller, wilder und direkter als die anderen Songs auf Kein Wetter. Man wagt nicht, es „Hit“ zu nennen, aber es dürfte schwer sein, sich davon nicht mitreißen zu lassen. Deutlich reduziert ist hingegen Im Bad, dessen Atmosphäre dadurch noch unheilvoller wirkt. „Ich sitze am Boden im Bad meiner Eltern“, lautet die erste Zeile, und dieser scheinbar banalen Situation muss etwas Schreckliches vorausgegangen sein oder noch folgen. Vielleicht ja: das Leben.
Verbitterung, Widersprüche und Leid werden hier adressiert, niemals explizit, aber trotzdem unverkennbar. Die Monotonie dieser Musik ist die Entsprechung der Monotonie eines Systems, das nur drei Reaktionen zulässt: Erstens Konformität, die für Friends Of Gas nicht infrage kommt. Zweitens Wahnsinn, wie er im mehr als 10-monütigen Album-Abschluss Selber Keine sehr nahe ist, in dem Takt, Bass, Feedback, später einzelne Klaviertöne und natürlich der Gesang komplett irre klingen. Drittens Aufbegehren – notfalls auch ohne zu wissen, wie genau das geht, und auf jeden Fall auch ohne eine Garantie zu haben, damit mehr erreichen zu können als den Hinweis, dass hier ein Mensch ist, der nicht einverstanden ist. Friends Of Gas machen sehr laut darauf aufmerksam und finden (für sich und uns) in diesem Lärm vielleicht keinen Trost, aber doch ein Ventil.