Künstler*in | Frittenbude | |
Album | Apokalypse Wow | |
Label | Nachti | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung |
Am Freitagabend sind die Jungs von Frittenbude auf der Piste (wie sie in Lass uns tanzen gehen singen, „ein bisschen hier, ein bisschen da“), schließlich ist das Nachtleben für sie wohl der einzige Teil der Welt, der vielleicht noch erträglich ist. Deshalb können Johannes „Strizi“ Rögner und Jakob Häglsperger (Gitarrist Martin Steer hat die Band während der Arbeiten an dieser Platte verlassen, ist aber auf der Hälfte der neuen Songs noch zu hören) natürlich nicht wissen, dass um diese Uhrzeit das ZDF Magazin Royale läuft, und dass es in der Show mit Jan Böhmermann eine regelmäßige Rubrik gibt, die genauso heißt wie ihr am Freitag erscheinendes Album: Apokalypse Wow.
Die Namensdopplung ist offensichtlich nicht beabsichtigt und dennoch passend. Wie bei Böhmermann gibt es auch bei Frittenbude eine große Sehnsucht nach Spaß, aber auch ein kritisches Bewusstsein. Man darf albern sein und sich sogar gelegentlich zum Honk machen, aber man muss zugleich entschlossen sein, die Welt nicht so hinzunehmen, wie sie ist.
Es wäre nicht ganz verwunderlich, wenn sich diese Attitüde auf dem sechstem Album der aus Bayern stammenden Wahlberliner abgenutzt hätte oder wenn es sich mittlerweile eher peinlich anfühlen würde, Ü40-Musiker wahlweise bei Hedonismus mit Handbremse (beispielsweise in Das Glas ist schon im Moment des Rauschs der Gedanke an den folgenden Kater präsent) oder plakativem Aktivismus (der Reim „Schlagstock / Arschloch“ reicht in Schlagstock als Protest gegen Polizeigewalt) zu beobachten. Zumal Frittenbude seit der Gründung 2006 ihrem Electro-Punk-Sound recht treu bleiben: Der Bass ist markant, der Beat meist Four to the floor, das Keyboard sorgt für die melodiöse Garnitur, der Gesang von Röger hat Spaß an Slogans und Drastik.
In der Tat beginnt Apokalypse Wow mit der Single Stoli (für Nicht-Trinker: damit ist Stolichnaya-Wodka gemeint), deren Akkorde und Gesangsmelodie große Ähnlichkeit mit dem 2008er Hit Mindestens in 1000 Jahren haben. Und während man das erst ein wenig plump und kalkuliert finden kann, merkt man kurz darauf: Das funktioniert immer noch. Und noch ein paar Takte später ist die Erkenntnis gereift: Das hat sich entwickelt, das ist sogar zeitgemäß. Neben dem Text, der im Tal der Tränen seinen Ausgangspunkt nimmt (die Arbeiten an der Platte begannen mitten im Corona-Lockdown) und dann einen Weg findet, Solidarität und Promiskuität hoch leben zu lassen, tragen auch ein paar überraschende Bläser dazu bei.
Solche feinen Details gibt es immer wieder auf dieser Platte, die Frittenbude auf ihrer jüngst gegründeten Plattenfirma „Nachti“ veröffentlichen (da ist es wieder, das Leben auf der Piste). Tiefseetauchen ordnet sich irgendwo zwischen Joy Division und frühen OMD ein, Orchidee erzählt mit einer Strokes-Gitarre vom steten Kampf ums Weitermachen, auch ohne Garantie, dass es dafür einst eine Belohnung geben wird. Vorbei könnte man sich von Eighties-Helden wie New Order oder Heaven 17 vorstellen, Halte dich ganz kurz fest klingt tatsächlich erwachsen, auch in musikalischer Hinsicht. Dass Rögner in Neue Welt hingegen wie ein störrisches Kind klingt („Gib mir eine neue Welt / hab die alte Welt kaputt gemacht“), ist natürlich Absicht, zudem bietet der Song den besten Reim des Albums: „Never change a running system / nur das der Kapitalisten.“
Ein Highlight ist Sandradome, unter anderem mit Anspielungen auf Die Prinzen, Ton Steine Scherben und Oasis sowie einem Hammer-Refrain, der viel Lust auf die kommenden Liveshows macht (wie am 1. April zum Tourabschluss im Conne Island in Leipzig): „Doch ist gar nichts mehr zu retten / bleibt nur Schnaps und Zigaretten / feiern wir noch mal das Leben / alles schön mitten im Nebel.“ Auch das mit Max Zahl geschriebene Marx & Biggie wird dann sicher das mit gealterte Publikum begeistern mit seinem Bekenntnis zu „Ficken über 40“.
Was Frittenbude anno 2023 auszeichnet, bringt die Single Suchen/Finden am besten auf den Punkt. Der Track lebt von der Reibung zwischen einer erstaunlich entspannten E-Gitarre und einem Sequenzer, der nach Rave schreit, und die Sache mit dem Suchen und Finden ist auf Sinn im Leben ebenso bezogen wie auf Eskapismus. Das könnte mit seinem Versuch, wenigstens ein bisschen Amüsement beim Blick auf den Weltuntergang zu empfinden, und zwar aus einer lässig wissenden Position heraus, natürlich wunderbar auch zu Böhmermann passen.