Eine von mir sehr geschätzte junge Frau hat mir mal erzählt, wie sie als Schülerin tatsächlich in einer Frittenbude gearbeitet hat. Es war ein willkommener Job, um das Taschengeld aufzubessern. Die Bezahlung war in Ordnung, der Imbiss war beliebt, die Kund*innen meistens dankbar. Schließlich gab es dort fast alles, was man zum Leben braucht: natürlich Pommes, Hähnchen und Schnitzel (sowie etliche weitere Gerichte, die in der Regel frittiert wurden), es gab Mettbrötchen, Filterkaffee, Softeis und sogar Bier (naja, zumindest Krombacher). Es gab ab und zu auch lustige/abseitige Begegnungen mit den Gästen. Und dann gab es diesen einen Abend, an dem ihr durch eine kleine Peinlichkeit auch die Schattenseiten dieses Nebenjobs klar wurden: Feierabend, es regnet in Strömen. Es ist klar: Der Weg durch die Stadt wird beschwerlich, kalt und nass. Glücklicherweise hält ein Freund am Straßenrand, der zunächst eine trockende und schnelle Heimfahrt verspricht. Dann fragt er durch das heruntergekurbelte Autofenster allerdings: „Du kommst aber nicht gerade wieder aus der Frittenbude, oder?“ Und er verweigert die Mitnahme, weil sonst sein Auto taglang nach Frittierfett riechen könnte. Was umso empörender ist, weil seine Karre auch sonst nicht gerade angenehm müffelt.
Man sieht an dieser kleinen Anekdote: Frittenbuden sind toll als Treffpunkt, als Anlaufstelle für den kleinen Hunger und einen netten Plausch, nicht so elegant wie ein Restaurant, aber geselliger als ein Lieferdienst. Zumindest für die Gäste. Für die Menschen, die Teil der Frittenbude sind, können sie jedoch auch harte Arbeit sein, monoton und manchmal sogar ein bisschen unangenehm.
Wie zutreffend diese Parallele ist, zeigt sich auch heute Abend im ausverkauften Conne Island. Frittenbude schließen in Leipzig ihre aktuelle Tour zum Album Apokalypse Wow ab. Die Show ist eindeutig harte Arbeit. Sänger Johannes Rögner muss sich nach dem dritten Song erstmals den Schweiß vom Kopf wischen, später schwingt er das Handtuch wie ein Saunameister, der den Fans mit jedem Refrain immer neue Aufgüsse bereitet, während Bandkollege Jakob Häglsperger darüber rätselt, ob die Show in Leipzig vielleicht das bisher heißeste Konzert der Tour ist. Nach Und täglich grüßt das Murmeltier werden sicherheitshalber Wasserflaschen ans Publikum verteilt, bei Erlös dich von dem Schrott kurz vor Ende des regulären Sets muss dann sogar ein Supersoaker zum Einsatz kommen. Auch die Nicht-Musiker werden zur Maloche herangezogen: Der Tourmanager schwenkt bei Stoli im Hintergrund die Acid-Smilie-Fahne aus dem Video, der Tontechniker wird während der Zugabe mit Sprechchören aufgefordert, sich von der Menge von der Bühne quer durchs Conne Island zurück zu seinem Mischpult tragen zu lassen.
Auch die Sache mit der Monotonie lässt sich nicht ganz von der Hand weisen. Es ist das elfte Konzert der Tour, und nach 17 Jahren als Band hat man da natürlich eine gewisse Routine, vom Moment, wo sie zu (I’ve Had) The Time Of My Life die Bühne betreten über die musikalischen Grüße an Egotronic bis zur letzten Zugabe nach mehr als 30 Songs in knapp zwei Stunden, vom stolzen Stage Invader bei Sandradome bis zum rüstigen Crowdsurfer bei Raven gegen Deutschland. Trotzdem hat man bei Frittenbude nie den Verdacht, sie seien heimlich von sich selbst gelangweilt. Das ist nicht zuletzt deshalb eine Leistung, weil ihr Electro-Punk-Sound natürlich nicht allzu viele Möglichkeiten für Variation lässt. Auch das wird live klar: Pommes sind eben keine Haute Cuisine, sondern sollen schnell und herzhaft sattmachen, sie sollen Energie spenden und die Botenstoffe mit der Nachricht „Keine Sorge, dein Überleben ist gesichert“ ans Gehirn schicken lassen.
Als das Konzert zu Ende ist, läuft draußen an einem Imbiss vor dem Conne Island gerade The Bad Touch von der Bloodhound Gang, etwas später What Is Love von Haddaway, und man muss eingestehen: Musikalisch sind die Unterschiede zu dem, was es gerade noch drinnen zu hören gab, nicht soooo riesig groß. Tatsächlich wird im Konzert auch nicht alles wirklich grandios: Vor Das Glas schenkt Rögner großzügig Wodka an die Fans in den ersten Reihen aus, aber der Song zündet auch mit einer Extra-Dosis Alkohol nicht richtig. Das folgende Schlagstock passt mit seiner ACAB-Attitüde und der Kritik an Polizeigewalt nirgends besser hin als in einen Stadtteil, der von sich selbst sagt, man brauche hier keine Bullen, um das Miteinander zu regeln, trotzdem bleibt der Song auch live zu plump, um wirklich als Hymne zu taugen.
Und dann wäre da ja noch der Faktor Peinlichkeit. Die Band weiß natürlich, dass es seltsam wirken kann, wenn da drei Menschen auf der Bühne die Rave-Eskalation zelebrieren, die doppelt so alt sind wie manche Menschen im Publikum. Normalerweise hat sich Hedonismus erledigt, wenn das Haupthaar zurückgeht, und mit dem Wachsen der Plauze sinkt die Partyfrequenz. Diesen Naturgesetzen wollen sich Frittenbude entgegen stellen, und sie wissen, dass sie damit letztlich scheitern müssen und womöglich irgendwann verzweifelt, albern, gar lächerlich wirken könnten. Sie haben auch erkannt, wie frustrierend es sein kann, jetzt schon so lange gegen Faschismus, Rassismus und sonstige Scheiße anzusingen, während die Welt nicht gerade den Eindruck macht, sich davon beeindrucken zu lassen. Statt Jung, abgefuckt, kaputt und glücklich, wie 2009 eine Single von ihnen hieß, sind sie mittlerweile womöglich nur noch abgefuckt und kaputt.
Aber sie haben zwei sehr wirkungsvolle Mittel, um damit umzugehen und letztlich problemlos die Kurve zu kriegen. Das erste ist Selbstironie. Frittenbude gehen nicht auf Distanz zu ihren Standpunkten, aber zu ihrem Format. Schon auf ihrem zweiten Album hatten sie gesungen „Wir sind längst schon über den Zenit hinaus“, 2019 hieß es dann „Wir sind mitten im Leben / haben uns alles verbaut“, und auf der neuen Platte wird unter anderem die fragwürdige Optik von „Ficken über 40“ thematisiert. Dieser schonungslose Blick auf die eigene Rolle, gepaart mit der Überzeugung, dabei in jedem Fall das Richtige zu tun, egal was Konventionen, Nachbarn oder Obrigkeiten sagen, ist essentiell, um ihre Musik auch anno 2023 noch so wirkungsvoll, unterhaltsam und nicht zuletzt glaubwürdig zu machen. Das zweite Mittel ist Zusammenhalt. Wenn man sieht, wie die Fans in Leipzig selbst die seltsamsten Texzeilen nicht nur inbrünstig mitsingen, sondern jedes einzelne Wort quasi auch mithüpfen und mittanzen, wenn ein Moment wie Wings (von Rögner angekündigt als „unser schönstes Lied“) inmitten des euphorischen Taumels tatsächlich bewegend wird, und wenn ein Song wie Die Dunkelheit darf niemals siegen sich schlicht und ergreifend wie ein besonders erhabendes Stückchen Euphorie anfühlt, dann ist das nicht nur ein wunderbares Live-Erlebnis, sondern vielleicht wie bei den Stammgästen im Schnellimbiss: Man weiß, was man bekommt. Man weiß, dass es vielleicht nicht sonderlich schick und auf lange Sicht wahrscheinlich auch nicht allzu gesund ist. Aber man weiß auch: Irgendwie lieb ich das.
Die komplette Setlist von Frittenbude in Leipzig:
1 Raveland
2 Auge in Auge mit dem Tölpel
3 Stoli
4 Marx & Biggie
5 Neue Welt
6 Pandabär
7 Superschnitzellovesong
8 Irgendwie lieb ich das
9 Das Glas
10 Schlagstock
11 Matador
12 Kill Kill Kill
13 Insel
14 Und täglich grüßt das Murmeltier
15 Heute nur einmal
16 Die Dunkelheit darf niemals siegen
17 Sandradome
18 Deutschland 500
19 Raven gegen Deutschland, crowdsurfer
20 Innere Altmark
21 Wings
22 Vorbei
23 Suchen/Finden
24 Zukunft aus Champagner
25 Erlös dich von dem Schrott
26 Einfach nicht leicht
27 Mindestens in 1000 Jahren
Zugabe 1 Hildegard
Zugabe 2 Heimatlos
Zugabe 3 Jetzt ist der Moment
Zugabe 4 Kommunizieren