A River Running To Your Heart Fruit Bats

Fruit Bats – „A River Running To Your Heart“

Künstler*in Fruit Bats

Fruit Bats A River Running To Your Heart Review Kritik
Verschwommene Orientierung prägt das zehnte Fruit-Bats-Album.
Album A River Running To Your Heart
Label Merge Records
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung Foto oben: Merge Records

Als May-Britt Moser, Edvard Moser sowie John O’Keefe 2014 den Medizin-Nobelpreis erhielten, wurde viel darüber berichtet, dass damit zum dritten Mal in der Geschichte des wertvollsten Wissenschaftspreises der Welt ein Ehepaar ausgezeichnet wurde. Dabei ging fast ein bisschen unter, dass die Eheleute aus Norwegen und der angloamerikanische Kollege eine ebenso faszinierende wie grundlegende Frage aufgeklärt hatten: Wieso wissen wir eigentlich, wo wir sind? Wie erinnern wir uns an Räume und wie finden wir in einer Umgebung, in der wir völlig neu sind, trotzdem den richtigen Weg?

Sie haben die grundlegenden Strukturen unseres Orientierungssinns erforscht und beschrieben, wie die Zusammenarbeit von Ortszellen im Hippocampus und Rasterzellen in anderen Hirnbereichen dafür sorgt, dass wir uns im eigenen Wohnzimmer ebenso zurechtfinden wie im Wald hinter dem Haus oder einer fremden Großstadt. Mit anderen Worten: Sie haben herausgefunden, wie ein Ort für uns zum Ort wird und wie wir eine neuronale Verknüpfung zwischen all diesen Orten herstellen.

Einer sehr ähnlichen Fragestellung geht Eric D. Johnson, das Mastermind hinter Fruit Bats, auf A River Running To Your Heart nach, dem zehnten Album seines in den späten 1990er Jahren gestarteten Projekts. „In meinem Leben gab es immer viel Bewegung von einem Ort zum anderen. Das belastet mich sehr – dieser unklare Begriff von einem Ort. Das gilt sowohl für die Orte, an denen ich gewesen bin, als auch für die Orte, an die ich noch gehen möchte“, sagt er.

Zwei der elf Stücke sind verwehte Instrumentals, von den verbleibenden neun ist ein Drittel sogar nach Orten benannt. Dazu zählt die Single Rushin’ River Valley, eine wunderhübsche Liebeserklärung Johnsons nicht nur an seine Ehefrau, sondern auch an deren Heimatregion im Norden Kaliforniens. „I felt you coming my way before I knew who you were / like the fog in my thoughts in a beautiful blur“, lauten die erste Zeilen, im Refrain gibt es dann die ebenso schüchterne wie hoch romantische Bitte: „Could I be your North Star? / or maybe a river running to your heart?“ Das Lied ist damit doppelt prototypisch für diese Platte: Die Texte bleiben durchweg erstklassig, der Sound ist bei Fruit Bats diesmal gerne beschwingt, leicht und manchmal sogar übermutig, wofür auch die Keyboards im Hintergrund sorgen.

Eric D. Johnson hat bei A River Running To Your Heart erstmals selbst produziert, unterstützt wurde er bei den Aufnahmen im Panoramic House nördlich von San Francisco von Jeremy Harris, der auf einigen Stücken auch Gitarre und Keyboards spielt. Die beiden anderen Stücke mit Orten im Songtitel passen ebenso als exemplarische Kostprobe für das Album: Tacoma vereint Wärme, Klasse, Stil und Originalität, Waking Up In Los Angeles ist entspannt bis gemütlich und bietet mit der Eröffnungszeile „Well, we all want a home – metaphorical or real“ einen weiteren Beleg für das zentrale Album-Thema.

„Diese Songs existieren in einer Welt, in der man quasi von einem Lied zum anderen reisen kann“, sagt Johnson. „Es gibt Straßen und Flüsse zwischen ihnen.“ Tatsächlich setzt er nicht nur in diesem Zitat diesmal besonders gerne Wasser-Metaphern ein, am prominentesten in The Deep Well, das ebenfalls eine Eigenschaft hat, die es mit vielen anderen Tracks auf A River Running To Your Heart teilt: Nichts daran erscheint spektakulär, außer der Tatsache, dass es so ein sagenhaft souveränes Lied ist, meisterhaft komponiert und arrangiert. See The World By Night integriert etwas Eighties-Flair und -Groove, Sick Of This Feeling stellt den Beat etwas mehr in den Vordergrund und packt dazu ein bisschen Harmoniegesang fast in der Nähe der Bee Gees.

Das nostalgische We Used To Live Here setzt einen ganz einfachen Gedanken ganz einfach nur mit Gesang und Gitarre um, was sehr rührend wird, das verträumte It All Comes Back bringt die Verwunderung darüber zum Ausdruck, wie schnell man selbst und der Rest der Menschheit nach einer alles erschütternden Pandemie wieder zur Normalität zurückgefunden hat: „It’s like ridin’ a bike.“ Der Album-Abschluss Jesus Tap Dancing Christ (It’s Good to Be Home) funktioniert schon wieder bestens pars pro toto für die Qualitäten von Fruit Bats: Das ist zugleich sehr nett und doch viel mehr als das.

Mit seinem Psychiater teilt Johnson die Sorgen von Sick Of This Feeling.

Website von Fruit Bats.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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