Künstler | The Get Up Kids | |
Album | Dose Your Dreams | |
Label | Big Scary Monsters | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Owen Pallett ist ja ein äußerst beliebter Anlaufpunkt, wenn es gilt, einer Platte das besondere Etwas mittels kreativer Streicher-Arrangements zu verleihen. Auch auf Dose Your Dreams, dem fünften Studioalbum seiner kanadischen Landsleute von Fucked Up, tut er das. An drei Stücken hat er mitgewirkt, und die geben bereits einen guten Eindruck davon, was Damian Abraham, Ben Cook, Jonah Falco, Mike Haliechuk, Sandy Miranda und Josh Zucker hier abgeliefert haben. Nämlich nichts weniger als ein Konzeptalbum.
Im Titelsong Dose Your Dreams sind die von Pallett erdachten Streicher besonders prominent, begleitet von einem Beinahe-Disco-Beat und verschwörerischem Gesang. House Of Keys täuscht zu Beginn eine eher elektronische New-Wave-Richtung an, wird dann aber ziemlich prototypischer Garagenrock. Dass Geigen zu keinem dieser beiden Genres wirklich zu passen scheinen, macht natürlich den Reiz dieses extravaganten Arrangements aus. Auch zum Album-Abschluss Joy Stops Time hat Owen Pallett beigetragen, das Ergebnis rückt mit viel Drive, hymnischem Refrain und der dringlichen Stimme von Gastsängerin Miya Folick in die Nähe von Arcade Fire.
Beinahe noch entscheidender als die Beiträge als Arrangeur ist das, was Owen Pallett in den Liner Notes über Dose Your Dreams zu sagen hat, denn darin bringt er den Eindruck dieses Albums perfekt auf den Punkt: „Als ich die Aufnahmen bekam, um meine Ideen beizusteuern, fragte mich ein Freund, wie die Platte ist. Ich habe ihm geantwortet: Mein Gott, Fucked Up haben ihr eigenes Screamadelica gemacht.“
Wie einst Primal Scream sich mit diesem Werk neu erfanden und zugleich ihr Schaffen zur Blüte brachten, so gelingt es hier auch Fucked Up, indem sie ihren Hardcore-Wurzeln mühelos die verschiedensten Genres zur Seite stellen. Raise Your Voice Joyce ist noch Proto-Punk mit Lust auf Hymnisches, abgesehen vom Saxofonsolo zum Finale könnte das auch von den Dropkick Murphys sein. How To Die Happy darf man, auch weil die Stimme von Alice Hansen so gut dazu passt, wohl „Shoegaze“ nennen. In Two I’s Closed gibt es Harmoniegesang à la Beach Boys, auch die Musik passt zur damit assoziierten Sixties-Seligkeit.
The One I Want Will Come For Me klingt wie eine etwas nerdige Variante von College-Rock, wie es etwa zu den frühen REM passen würde. Love Is An Island In The Sea erweist sich als ein Moment von großer Dream-Pop-Schönheit. Mechanical Bull wird von einem sehr offensiven Techno-Beat eröffnet, am Ende steht dann immer wieder die Frage „What is this around my neck“ – das könnte man sich mühelos auch von The Prodigy oder noch besser von Underworld vorstellen. Accelerate ist nicht weit entfernt von Industrial, denn jedes Instrument darin will maximal fies sein, aber keines kann es in dieser Kategorie mit der sagenhaft kaputten Stimme von Damian Abraham aufnehmen.
Sein Gesang ist auch hier ein großes Wiedererkennungsmerkmal von Fucked Up, noch viel wichtiger für Dose Your Dreams war aber vielmehr Mike Haliechuk. Er ist der prägende Geist hinter dieser Platte und hat dafür David aus dem bei Fans enorm beliebten 2011er Album David Comes To Life wieder in den Mittelpunkt gestellt. Er ist der Protagonist, heißt hier aber Joyce, weil die Episoden in den 18 Songs unverkennbar an die Kapitel in Ulysses erinnern. Die Geschichte, die er erlebt, ist kunterbunt und in vielen Momenten so psychedelisch und surreal, dass sie an dieser Stelle verschwiegen werden soll, weil sie sich erst im Zusammenspiel mit der Musik erschließt. Immer wieder faszinierend ist – neben der enormen Bandbreite der Band – dabei der Kontrast aus dieser brutalen Stimme und den enorm poetischen Zeilen, die sie singt.
Der Auftakt None Of Your Business Man ist ein gutes Beispiel dafür. Mit viel Krawall platzt der Gesang von Damian Abraham in einen zunächst schwebenden Sound hinein, dann entsteht sofort ein kraftvoller Soul-Punk-Rock, der manchmal wie eine geisteskranke Variante von Madness klingt. „We all have a choice in this life you see, so tell me boy, what’s it going to be? / sit down and work and fill your heart with warm dreams of prosperity / or waste it all to float into that endless mire’s frivolity / with urchins, fools, and vagabonds aboard the train to Babylon“, heißen einige der Verse dazu.
Die Musik macht klar, ebenso wie die Unerbittlichkeit dieses Textes, dass Fucked Up nichts von ihrer Punk-Wucht verloren haben, so sehr sie hier auch um ungewöhnliche Elemente erweitert wird. Living In A Simulation klingt, als seien die Ramones schon Millennials gewesen. I Don’t Wanna Live In This World Anymore zeigt schon im Titel, zu wie viel Abscheu und Provokation diese Band weiterhin in der Lage ist, lustigerweise wird die Titelzeile am Ende von einem engelsgleichen Chor gesungen, was einen sehr schrägen Effekt hat.
Normal People wagt dezente Glam-Rock-Anleihen und baut zudem auf eine wirkungsvolle Call-and-Response-Passage. Man kann darin das Talent von Fucked Up zur Eingängigkeit erkennen, aber bei einer Stimme wie dieser wird ein Lied wohl nie die Kategorie „angenehm“ oder „zugänglich“ erreichen. Zu Beginn von Talking Pictures ist die Musik ambient-sphärisch, auch das hebelt Damian Abraham mit seinem Grunzen natürlich problemlos aus und stachelt damit zugleich Gitarren und Schlagzeug an, die aus dem Stück daraufhin doch noch einen richtigen Rocksong machen. Am Ende gibt es tatsächlich die Zeilen „We’ve got to come together“, die auch auf Screamadelica zu hören waren.
Tell Me What You See ist der wahrscheinlich psychedelischste Moment auf Dose Your Dreams, auch wegen des Texts: “Look around, and tell me what you see / with the new eyes that I gave to thee.” Die Stimme von Sandy Miranda lässt die Strophe von Torch To Light so verführerisch klingen, der Refrain reagiert darauf indes mit der bekannten Brachialität. Came Down Wrong glänzt nicht nur mit großer Romantik, sondern auch mit einem eindrucksvollen Gastauftritt von J Mascis.
All das ist nicht nur originell und innovativ, sondern auch einmalig. Fucked Up gehen hier so verschwenderisch mit Ideen um, das sie beinahe ihre eigene Interpretation des Albumtitels konterkarieren: „Dose Your Dreams, das bedeutet: Behandle deine Träume, als seien sie nur ein Traum, erlaube dir, dich in ihnen zu verlieren, erlaube ihnen, dein Herz und deinen Geist zu öffnen. Genieße sie, als ob sie eine Droge sind.“