Aloe Blacc nennt sich gerne (und mit gutem Recht) einen „Artivist“, weil er zugleich Künstler und Aktivist ist. So engagiert sich der 41-Jährige beispielsweise für Polizeireformen in den USA, Black Lives Matter und den Kampf gegen Mental-Health-Probleme. In der neuen Single All Love Everything (***1/2), zugleich Titelsong seines aktuellen Albums, bleibt er aber ganz privat. Das Lied ist der Beziehung zu seiner Frau Maja Jupiter gewidmet, auch die Platte insgesamt stellt sein Leben als Ehemann und Familienvater in den Mittelpunkt. Es geht um das Gefühl, nichts auf der Welt zu brauchen als das Zusammensein mit dieser einen, besonderen Person („Doing anything with you is my favorite thing“), zu einem verspielten Arrangement, das immer wieder fast übergangslos zwischen Soul, Folk und HipHop wechselt. Das ist herrlich romantisch und so rosarot wie das als Quasi-Homestory konzipierte Video. Natürlich hat Aloe Blacc auch für diesen ästhetischen Ansatz einen eigenen Begriff geprägt, nämlich: A.I.M. Diese Abkürzung steht, wie er erläutert, für „Affirmation, Inspiration und Motivation.“
Bekanntlich wird Haiyti regelmäßig in der Rap-Szene ebenso abgefeiert wie im Feuilleton. Trotzdem hat sie nicht nur Bewunderer, sondern auch 100.000 Feinde (***1/2), wie die neue Single heißt, zugleich zweiter Vorbote des im November erscheinenden Albums der gebürtigen Hamburgerin. Die Genres wechseln darin so schnell wie ihre Frisuren im Video von Maxim Dean. Baile-Rhythmen gehören ebenso dazu wie 808-Drums und natürlich Auto-Tune, zusammengehalten vom unnachahmlichen Haiyti-Mix aus Stolz und Zerbrechlichkeit, Party und Psychokater, Straße und Luxus. Wenn das so weitergeht, dürften spätestens bei Erscheinen des Albums minütlich 100.000 Freunde dazukommen.
Survivin’ (***1/2), die neue Single von Bastille, war nicht als Corona-Song gedacht und ist auch schon vor der Covid-19-Pandemie komponiert worden, könnte aber trotzdem so betrachtet werden. Es geht um Verstellung und die verschiedenen Facetten unseres Charakters, die wir in verschiedenen Situationen zeigen, je nachdem, in welcher Rolle wir uns befinden – um (Selbst-)Zweifel zu zerstreuen und Unsicherheit zu kaschieren. „Es gab Zeiten, da fühlte ich mich gleichzeitig wie in einer Waschmaschine und auf einem Fließband. Aber wenn ich gefragt wurde, wie es mir geht, habe ich mit dem britischen Klischee geantwortet: Yep, all good, fine“, sagt Frontmann Dan Smith dazu. „Zu Beginn des Lockdowns fühlte es sich bezeichnend an, dass ich einen Song geschrieben hatte, der als so relevant für diese Zeit erschien, obwohl er schon vorher entstanden war. Ich denke, 2020 ist das Jahr, in dem wir alle aufhören müssen, uns vorzumachen, es gehe uns gut.“ Mit Chor, einem wirkungsvollen Drum Loop und auch etwas Auto-Tune ist der Effekt von Survivin’ tatsächlich ziemlich aufmunternd und zeigt, wie befreiend es sein kann, ein paar Schwächen einzugestehen. Das vielleicht überraschendste Element ist das Saxofon von Rittipo, der auch zur Liveband von Bastille gehört: „Das Saxofon sollte ohrenbetäubend laut sein und zugleich die Leute zum Lächeln bringen.“
Auch dieser Titel passt in die Pandemie: Der letzte Tanz (***) heißt der erste neue Song von Bosse seit dem 2018er Album Alles ist jetzt. Es geht um Vergänglichkeit, vielmehr aber noch um Freundschaft, deren Wert man manchmal erst erkennt, wenn es (fast) zu spät ist. „Warum merkt man immer erst beim Abschied / was es uns bedeutet? / warum merkt man immer erst beim Winken / wie schön es war?“ Im extrem prominent besetzten Video toben Maximilian Mundt (How To Sell Drugs Online (Fast)), Jasna Fritzi Bauer (Jerks, Dogs Of Berlin) und Bjarne Mädel (Stromberg, Der Tatortreiniger) durch St. Pauli, und das Gefühl, so sehr zusammen zu sein, so ausgelassen zu feiern und so zu tanzen, als sei es die letzte Gelegenheit, werden wir alle hoffentlich nach Corona wieder erleben dürfen. Ein neues Album von Bosse soll es im Frühjahr 2021 geben.
We Are The City erleben die Vergänglichkeit gerade am eigenen Leib: Das Trio aus Vancouver hat jetzt nach 12 Jahren seine Auflösung bekanntgegeben (der Titel des im Januar erschienenen Albums RIP erwies sich also als Prophezeiung). Zum Abschied gibt es mit Lover Is Dead (***) noch ein letztes, neues Lied, das tatsächlich mehr nach Unruhe und Aufbruch klingt als nach Liebeskummer oder Nostalgie. „Es geht darin um das Ende einer Ära. Das Lied fängt das Gefühl von Schmerz und Verlust ein, das unvermeidlich ist, wenn man sich entscheidet, weiterzugehen in eine neue Lebensphase. Es ist schwer, so eine Botschaft den Fans zu vermitteln. Aber wir finden, dass Lover Is Dead gut unser gemeinsames Gefühl zum Ausdruck bringt, für diejenigen, denen es wichtig ist, in einer Zeit der Veränderung. Die Liebe wird niemals sterben, aber alles geht irgendwann zu Ende“, teilen Cayne McKenzie, Andrew Huculiak und David Menzel mit. Das Video zeigt nur das Bild eines Müllhaufens, auf dem unter anderem ein Keyboard gelandet ist, man muss darin aber wohl kein Symbol für ein unversöhnliches Ende erkennen. “Alles, was wir uns für We Are The City erträumt haben, haben wir erreicht. Als Künstler*in ist es wichtig zu wissen, wann ein Projekt seinen Höhepunkt erreicht. Nichts ist für immer und es ist gut, dieses Buch nun zu schließen. Jede Party hat ein Ende.“ Am 23. Oktober werden We Are The City beim Streaming-Konzert “Celebration Of Life” letztmals live zu sehen sein.