So geht das manchmal: Da will man eine Weile die Füße hochlegen, und dann kommt man doch wieder nicht dazu. So ist es unlängst auch Atari Teenage Riot ergangen. Ihre (als einmalige Angelegenheit inmitten einer längeren Pause angedachte) Show bei Fuji Rock im Jahr 2010 hat sich irgendwie zu einer Welttournee ausgewachsen. Erst danach kamen Alec Empire & Co. zum Durchschnaufen, nun ist wieder genug Energie getankt für ein neues Album. Reset steht schon in den Startlöchern und den Titeltrack (***) verschenken Atari Teenage Riot derzeit bei Soundcloud. Das neue Mitglied Rowdy Superstar übernimmt neuerdings den Part des MCs – die Musik ist immer noch von der Sorte, bei der man ständig vergeblich nach dem „Leiser“-Regler sucht. Der Bass könnte locker ukrainische Rebellen in die Flucht schlagen, das Schlagzeug kommt aus dem Hause Thor, selbst hinter dem vordergründig koketten Gesang von Nic Endo (sie teilt sich jetzt das Mikro mit Alec Empire) steckt eine enorme Brutalität. Heavy.
Bleiben wir bei Legenden der deutschen Musikszene. Vor ganz langer Zeit hat Dirk Darmstaedter bei den Jeremy Days gesungen, längst hat er auch als Solokünstler für genug Glanzpunkte gesorgt, um selbst von der New York Times als „one of Germany’s underground pop heroes“ anerkannt zu werden. Before We Leave, sein fünftes Soloalbum, kommt am 26. September raus. Seinen Job als Chef von Tapete Records hat er dafür an den Nagel gehängt, um wieder voll und ganz Musiker zu sein. „Die Zeit rauscht nur so vorbei, und ich möchte noch ein wenig dem Ungewissen hinterherjagen, ohne Netz und doppelten Boden unterwegs sein, mich ganz auf meine Musik konzentrieren. Manchmal muss man sich einfach mal von Sachen trennen, um zu sehen was sonst noch auf einen wartet“, sagt Darmstaedter. Als Vorgeschmack gibt es derzeit eine Akustikversion von Capetown (***) als kostenloses MP3 bei Soundcloud. Nach wie vor kriegt keine andere deutsche Stimme so gut die Balance zwischen Charmeur und Slacker hin, dazu kommen ein süßes Glockenspiel, eine Mundharmonika und eine herrlich intime Atmosphäre. Auf der Albumversion spielt übrigens Mike Finnigan mit, der einst mit Jimi Hendrix, Rod Stewart oder Leonard Cohen musiziert hat, und er spielt genau das Klavier, das auch auf den ersten drei Platten von The Band zu hören ist. Man darf gespannt sein.
Und noch mal deutsche Musik, wieder als Free Track bei Soundcloud zu haben: Ziguri ist ein Projekt von Krautrock-Legende Günter Schickert, Udo Erdenreich und Dieter Kölsch, das bereits zwischen 1987 und 1997 aktiv war, sich 2011 reformierte und nunmehr, gewissermaßen nach 27 Jahren, das erste Album vorlegt. Sinnigerweise heißt die Platte Kölsch-Schickert-Erdenreich, seit ein paar Tagen steht das Ding in den Läden. Wer nach 27 Jahren lieber noch ein bisschen länger warten oder sogar probehören will, kriegt mit Bella Hopp (**) eine kleine Kostprobe vorab. Das klingt ein wenig, als hätte jemand Underworld den Wumms geklaut und stattdessen in eine Trance gejagt, in der die einzigen Orientierungspunkte eine Echodrive-Gitarre und ein Mann, der in Zungen redet, sind. Abgefahren.
Gerne nutze ich die Gelegenheit, um mal die alten Kollegen von der Fuldaer Zeitung zu zitieren. „Einfach umwerfend. Big Skies haben das Zeug zum nächsten großen Ding“, hat da jemand über die drei Engländer und den Kanadier geschrieben, die sich in Berlin kennen gelernt haben und seit Frühjahr 2012 zusammen spielen. Ab morgen ist das Quartett auf Tour, im November kommt ihr erstes Album raus, produziert von Ben Roulston (Florence + The Machine), aufgenommen im Flughafen Tempelhof. „Britpop meets Psychedelic und immer schön nach vorne“, hat Intro den Sound von Jim Cubitt (Guitar/Vocals), Alexander Cumming (Drums), Adam Neal (Bass/Vocals) und Jack Wharton (Guitar/Vocals) zusammengefasst. Come Up And Feel It (***), das es momentan als Free Download bei Soundcloud gibt, bestätigt diesen Eindruck. Irgendwo zwischen dem hymnischen Element von Embrace und der gerne schwammigen Gitarrenverliebtheit von The Verve ordnet sich der Song ein, die Stimme von Jim Cubitt erinnert dabei ein wenig an Ricky Wilson von den Kaiser Chiefs. Spannende Mischung.
Ein waschechtes Konzeptalbum haben Sin Cos Tan mit ihrem neuen Werk Blown Away vorgelegt. Erzählt wird die Geschichte eines Manns, der aus seiner Midlife Crisis nach Südamerika flieht und dort ins Drogengeschäft einsteigt. Dass das finnische Synth-Pop Duo keinerlei Probleme hat, innerhalb von zwei Jahren gleich drei Alben rauszuhauen, ohne dabei kreativ auf dem Zahnfleisch zu gehen, beweist die Single Love Sees No Colour (***), die es gratis auf Soundcloud zum Herunterladen gibt. Das klingt dermaßen nach Roxy Music und frühen Achtzigern, dass man sicher sein kann: Der Stoff, mit dem die Hauptfigur des Albums ihr Geld verdient, ist Kokain.
Mit Live-Sets von DJs habe ich ja so meine Probleme: Wenn ich Macbooks in spektakulärer Beleuchtung sehen will, dann kann ich auch zu Gravis gehen. Beliebt ist das ganz trotzdem, und wenn die DJs dann auch noch so großzügig sind wie die Bingo Players, dann sollte man vielleicht auch ein Auge zudrücken. Zumal in diesem Falle auch noch Pietät gefragt ist: Paul Bäumer, eine Hälfte des niederländischen Elektro-Duos, starb 2013 an Krebs, zuvor erlaubte er seinem Mitstreiter Maarten Hoogstraten noch, weiter unter dem alten Namen Bingo Players Musik zu machen. Sein komplettes Live-Set beim EDC Las Vegas (**1/2) bietet er jetzt bei Soundcloud zum kostenlosen Download an, insgesamt knapp eine Stunde Clubmusik. Wer House mit guter Laune mag, sollte das unbedingt zugreifen.