Thorsten ist überall. Die (möglicherweise fiktive oder prototypische) Figur, die Blond auf ihrem Debütalbum Martini Sprite als Beispiel für Mansplanining besungen haben, scheint einfach nicht wegzukriegen. Er sitzt breitbeinig in der Straßenbahn, er feiert die eigene Selbstherrlichkeit in Fernseh-Talkshows, er zettelt Kriege an oder kauft ein SUV. Vor allem aber ist er auch im Musikgeschäft omnipräsent. Headliner bei Festivals, Booker für kleine Clubs und große Hallen, Musikjournalisten und Plattenfirma-Manager: Fast immer sind das Männer. Deshalb haben Nina Kummer, Lotta Kummer und Johann Bonitz nachgelegt. Mit Männer (****) besingen sie deren durch nichts zu begründende Überrepräsentation und liefern einen weiteren schönen Aufruf zum Female Empowerment. „Wir sind allein, wo sind all die anderen Frauen? / Für so ne Pimmelparty mit bleichen Rentnern waren wir nicht stundenlang im Proberaum“, lautet ihre berechtigte Frage. Zur Verstärkung hat die Band aus Chemnitz die Berliner Künstlerin addeN eingeladen, die seit 20 Jahren in der Battle-Rap-Szene aktiv ist und dabei feststellen musste: „Hier oben bist du einsam, weil die Typen keine Ehre haben.“ Der neue Song legt nicht nur sehr zielsicher den Finger in die Wunde, ohne dabei selbstgerecht zu sein (was unter anderem durch ein amüsantes Weather-Girls-Zitat im Refrain und Madonna-Gedächtnis-Jeansjäckchen im Video gelingt) sondern zeigt auch, dass Entschlossenheit sehr smart und sogar tanzbar daherkommen kann. Das alles steigert die Vorfreude aufs neue Album (Perlen kommt am 21. April 2023 heraus) und die bereits laufende Blondinator Reunion Tour (am 10. November sind Blond dabei auch im Conne Island in Leipzig zu sehen, die Show ist bereits ausverkauft).
Man kann da ein Muster erkennen: Nach der EP Til The End Of Time im Juli 2021 haben Almost Monday in diesem Jahr bisher zwei neue Songs vorgelegt, nämlich Sunburn und Sun Keeps On Shining, was auch der offizielle Song der Vans US Open Surfing 2022 wurde. Im neusten Track Cough Drops (****) kommt die Sonne ihrer kalifornischen Heimat zwar nicht im Titel vor, ist aber dennoch prägend für den Sound des Trios aus San Diego und auch im Musikvideo von Kelly Hammond und Cole Ferguson gut erkennbar. Sehr gut gelaunte Strokes (wegen des anfangs verzerrten Gesangs von Dawson Daugherty und der sehr präzisen Gitarre von Cole Clisby) kann man da ebenso als Referenz erkennen wie The Kooks, die frühen Arctic Monkeys oder Two Door Cinema Club. Ein sehr großer Indie-Spaß, der natürlich perfekt zu Festivals passt, auf denen sich Almost Monday zuletzt etliche Meriten verdient haben, und nach Japan, wo sie demnächst auf Tour sein werden – schließlich ist das das Land der aufgehenden Sonne.
Seit 2007 haben The Robocop Kraus kein neues Album mehr veröffentlicht, seit 2010 auch nur noch sporadisch live gespielt. Nun steht eine Welle neuer Aktivitäten an. Am 25. November erscheint eine Sammlung mit sämtlichen Tracks, die nicht auf den regulären Alben zu haben waren, inklusiver einiger Raritäten und bisher ungehörtem Material unter dem Titel Why The Robocop Kraus Became The Love Of My Life. Die Sammlung von Liedern, die auf EPs, Compilations, als B-Seiten und anderswo zu finden waren und aus den Jahren 1998 bis 2022 stammen, ist keineswegs als Schlusspunkt ihrer Karriere nach bisher fünf Alben gedacht. Im neuen Jahr soll es eine Tour geben, die Besetzung der aus Franken stammenden Band ist auf sechs Personen angewachsen, auch ein neues Album scheint im Bereich des Möglichen zu sein. Ausgangspunkt war eine Konzertanfrage im vergangenen Jahr. „Sie wurde spontan zugesagt, selbst der Konzertveranstalter war überrascht ob der Zusage, wir auch. Dann zurück in den Proberaum. Dann mussten wir natürlich nochmal in die alten Songs reinhören, um zu üben, ja und so haben wir dann beim Stöbern in den Archiven diese 28 Songs entdeckt und hier zusammengestellt“, teilt die Band mit. Unter anderem dabei ist das noch heute enorm energisch und intelligent klingende Poor Soul Relax (****), ursprünglich auf der Compilation Achtung Autobahn ihres Labels Swing Deluxe enthalten. Um noch einmal (oder erstmals) die Stärken dieser Band zu entdecken, ist das natürlich eine tolle Gelegenheit, zumal die Compilation auch umfangreiche Liner Notes mit vielen Hintergründen und Anekdoten enthalten wird.
Um die neue Veröffentlichung von Gregor McEwan zu verstehen, muss man zunächst ins Vinyl-Zeitalter zurück. Dort gab es manchmal Doppel-A-Seiten, meist wenn eine Band einen besonderen kreativen Höhenflug hatte. Es gab also nicht den Hit auf der A-Seite und ein weniger relevantes Stück auf der B-Seite, sondern zwei Hits, gleichwertig. So packt der Künstler aus Haltern am See nun (To You) CEO, Bitch! und Anthem For The Year 2020 zu einer Doppelsingle zusammen. Letzterer ist eine finstere Lockdown-Analyse, ersterer hat ebenfalls einen Bezug zu modernen Veröffentlichungsstrategien: Der angesprochene CEO ist Daniel Ek, Gründer von Spotify. Im Song zeichnet Gregor McEwan klug nach, wie sehr dessen Plattform nicht nur das Musikbusiness verändert hat, sondern auch die Musik selbst. Aufmerksamkeitsspannen sind so kurz geworden und der Skip-Button ist so leicht zu erreichen, dass Lieder mittlerweile oft wie ein Pitch bei der Akquise von Kunden oder Investoren funktionieren müssen: Wenn ich nicht nach fünf Sekunden die volle Aufmerksamkeit habe, ist die Chance dahin. Alles ist also auf plakative Unmittelbarkeit angelegt, für Zwischentöne bleibt kein Raum mehr. Außerdem werden Künstler*innen unterschwellig motiviert, die Musik zu machen, die diesem Prinzip entspricht, und Hörer*innen verleitet, nur noch die Musik zu entdecken, die ihren ohnehin bestehenden Vorlieben entspricht. Dass (To You) CEO, Bitch! (****) bei ihm nur auf die akustische Gitarre und seinen Gesang reduziert ist, kann man natürlich als sehr cleveren Seitenhieb interpretieren, erst recht, wenn es so inniges Lied dabei heraus kommt. „Generell stehen bei den beiden Stücken die Texte noch deutlich mehr im Vordergrund als bisher“, sagt der Singer-Songwriter dazu – und liefert mit seinen Songs natürlich weiterhin den besten Beweis dafür, wie schade es wäre, wenn Pop tatsächlich nur noch in einer 5-Sekunden-Welt existieren würde.
Im September konnten sich 2Raumwohnung gemeinsam mit Matthias Petsche über den Deutschen Fernsehpreis freuen, den sie für ihre Musik zur Serie Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit erhalten haben – eine weitere Ergänzung in ihrem umfangreichen Trophäenschrank. Heute fügen Inga Humpe und Tommi Eckart auch ihrer Diskographie (nach acht Alben und über einer Million verkaufter Tonträger) einen weiteren Eintrag hinzu: Die Club Mix Collection versammelt 24 Remixe aus 22 Jahren, unter anderem von Acts wie Paul Kalkbrenner, DJ Koze, Moguai, Alter Ego und HVOB. Mit dem ziemlich unheimlichen Westbam-Remix von Das ist nicht das Ende, Baby (***) ist auch ein bisher unveröffentlichter Track dabei. Das dazugehörige Video stammt von Fotokünstlerin Julija Goyd.