Man könnte Kurt Prödel vielleicht für eine Erfindung aus dem Netz halten oder zumindest für einen digitalen Hans Dampf in allen Gassen. Hat er sich doch zunächst als Internet-Avatar einen Namen gemacht und war danach unter anderem als Videoregisseur und Hörbuch-Produzent aktiv, neuerdings ist er auch regelmäßig im Fernsehen bei Studio Schmitt auf ZDFneo zu sehen. Doch eines seiner ersten kreativen Betätigungsfelder war die Musik, vor allem als Schlagzeuger bei The Screenshots, die es mittlerweile auf drei Alben bringen. Da ist die Idee einer Solo-EP nicht mehr ganz so verwunderlich, und somit wird Wie kann man mit sich selbst so zufrieden sein am 6. August als rein digitale Veröffentlichung das Licht der Welt erblicken. Die gleichnamige Single (***1/2) gibt es schon jetzt, und sie zeigt, wie gut es Kurt Prödel versteht, mit einem ganz einfachen Satz sehr viele Fragen aufzuwerfen und kritische Assoziationen zu wecken.
Natürlich zeigt dieser Titel auf, wie schwierig es für uns alle ist, tatsächlich zufrieden zu sein – meist sind es die Zahlen auf der Waage, dem Kontoauszug oder bei den Insta-Likes, die uns dazu auffordern, uns bloß nicht zurückzulehnen, sondern immer noch mehr zu wollen. Zugleich kann man einen Verweis auf die erhebliche Differenz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung erkennen, die man in Castingshows beobachten kann, wenn völlig talentfreie Menschen von der Welt (und der Jury) nichts als euphorisches Lob erwarten, oder in Bewerbungsgesprächen mit (Hoch-)Schulabsolvent*innen, die nichts können, außer sich selbst total geil und für jeden Job geeignet zu finden. Der Sound dazu ist (bis zum andeutungsweise hymnischen Schluss) so reduziert und DIY wie das gekritzelte Hintergrundbild im Video. Fast klingt Wie kann man mit sich selbst so zufrieden sein noch wie ein Demo. Aber das ist vielleicht auch nicht verwunderlich, gesteht Kurt Prödel doch im Text, dass ihm beim Aufwand 70 Prozent locker reichen. Pareto, prima.
Seit einer gemeinsamen Tour 2019 verbindet Natalie Bergman und Beck eine enge Freundschaft. Schon lange war auch eine musikalische Zusammenarbeit geplant. Auf ihrem jüngsten Soloalbum Mercy sollte es ein Duett geben, aber daraus wurde wegen Terminschwierigkeiten nichts. Immerhin war Beck dann kurz im Clip zu Home At Last zu sehen, einem der Songs des Albums, von dem er sich begeistert zeigt. „Sie bewältigt mit dem Album die schwierige Aufgabe, das eigene Leben und die Welt in ihrer dunkelsten Stunde in Songs zu übersetzen. Diese Erfahrungen und Emotionen zu verarbeiten und sie in Lieder zu überführen, die man singen und fühlen kann, ist viel schwieriger und belastender, als man sich vorstellen kann. Die Verzweiflung zu überwinden und sie in etwas Schönes umzuwandeln, erfordert eine gewisse Stärke“, sagt er über Mercy, in dem Natalie Bergman den Unfalltod ihrer Eltern verarbeitet. „Wenn ich Lieder höre, die in einer Zeit entstanden sind, in der die Welt aus den Fugen geriet, und die nach einem Verlust entstanden sind, erscheint es mir umso wunderbarer, wenn man bedenkt, dass sie eine erlösende Qualität haben, die sogar tröstet und aufbaut, wie die Gospelmusik, die viele der Lieder inspiriert hat. Wo sich Kunstschaffen und Heilung überschneiden, entsteht ein besonderes Gefühl der Überwindung. Sie hat sich in die Wildnis des Augenblicks begeben und den Regen gemalt, eine Art von Hoffnung heraufbeschworen, die schwer verdient ist, und ein Gefühl der Heilung vermittelt, sogar die Erkenntnis, dass es noch Freude in der Welt gibt.“
Damit spielt Beck natürlich auf Paint The Rain an, von dem er nun einen Remix gemacht hat. Auch die Idee des Duetts konnten die beiden endlich umsetzen, und zwar in Form von You’ve Got A Woman (***1/2). Das Original des Songs stammt von Lion aus dem Jahr 1975, ihre Coverversion wird innig und warm, vor allem durch die dominierende Stimme von Natalie Bergman, dazu kommt ein guter Groove mit ein paar Finessen, die dafür sorgen, dass ihre Interpretation nicht in Banalität und Schönklang stecken bleibt. Die Sängerin zeigt sich begeistert über das Aufeinandertreffen: „Als wir vor zwei Jahren gemeinsam auf Tour waren, lud mich Beck jeden Abend auf die Bühne ein, um mit ihm zu singen. Das war einer der Höhepunkte meiner Karriere. Er ist jemand, der mit seiner Musik immer für den Geist der Kollaboration stand. Es ist ein Traum, mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen. Er ist ein Visionär und ein echter Freund.“ Am 29. November ist Natalie Bergman live im Badehaus Berlin zu sehen.
Von Schicksalsschlägen weiß auch SIMONSCHMIDT ein Lied zu singen, und genau das tut der aus Haltern stammende Singer-Songwriter in seiner neuen Single Von Tag 1 (****). Genauer gesagt hat er sich die Frage „Wie weit können Erinnerungen gehen?“ gestellt und packt in diesen Song im Prinzip sein gesamtes Leben, von Kinderzimmer und Bolzplatz über erste Liebe und Trennung der Eltern bis zum Umzug nach Hamburg und seinen Anfängen als Musiker. Das ist so dicht und ereignisreich, dass man sich kurz fragt, wie er danach eigentlich noch weitere Lieder machen will, wenn schon alle Themen hier drin stecken. „Ich hätte wahrscheinlich auch ein ganzes Album daraus machen können und so ist es mit 5:48 zwar ein verhältnismäßig langes Lied geworden, aber wenn man bedenkt, dass mein ganzes Leben Von Tag 1 bis jetzt darin steckt, wiederum auch nicht“, sagt er dazu. Umgesetzt wird das im Arrangement sehr reduziert, fast nur mit Stimme und Klavier, sodass man etwa an Philipp Poisel denken kann, im Video genauso fokussiert: SIMONSCHMIDT blickt direkt in die Kamera, dazu werden ein paar Kinderfotos und andere Schnappschüsse auf ihn projiziert. Ein so freimütiger Umgang nicht nur mit der eigenen Biographie, sondern auch mit sehr privaten Details ist erstens erstaunlich und trägt zweitens gehörig dazu bei, dass der Song tatsächlich bewegend wird. Denn so individuell Von Tag 1 ist, so klar zeigt das Lied auch, was wir an Erfahrungen, Träumen und Sehnsüchten alle gemeinsam haben.
Was sie von Mansplaining halten, hatten Blond ja bereits in Thorsten klargestellt, mit der neuen Single Du und Ich (****) nimmt sich das Trio aus Chemnitz nun dem Thema der nicht nur verbalen Übergriffigkeit an, von der Hand am Arsch über Dickpics bis hin zur Frage, was die Absender solcher Unflätigkeiten eigentlich machen würden, wenn man ihnen als Reaktion darauf sofort „Ein Haus, ein Hund und Kinder / du und ich bis in den Tod“ in Aussicht stellen würde. Das famose Video führt diese Idee fort und scheint so etwas wie eine kompakte Version des Kinofilms Promising Young Woman zu sein. Blond engagieren sich übrigens nicht nur mit Du und Ich gegen sexualisierte Gewalt: Parallel zum Erscheinen der Single eröffnen sie „Die Hütte der sexualisierten Gewalt“. Innerhalb der Ausstellung können die Besucher*innen anonymisierte Erfahrungsberichte von Betroffenen sexualisierter Gewalt lesen. Das Häuschen wird bis 8. August in der Chemnitzer Innenstadt zu finden sein. Die Band arbeitet dafür mit Wildwasser e.V. (einem Verein, der sich zum einen als Beratungsstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt versteht, zum anderen aber auch mit Hilfe von Kinderschutzprojekten präventiv arbeitet) und Kosmos Chemnitz (die Mitglieder dieser Plattform wollen neue Antworten auf die Frage finden, wie wir in Zukunft in unserer Gesellschaft miteinander leben wollen) zusammen.
Bleiben wir in Chemnitz: Von dort grüßen auch Power Plush, die am 17. September ihre Debüt-EP Vomiting Emotions (und zwar auf dem Label von Blond) veröffentlichen werden. Die erste Single Smth Cool (****) artikuliert den in Lockdown-Zeiten sicher noch intensiver gewordenen Wunsch „I wanna do something cool“, aber mit der Gründung ihrer Band haben die drei Frontfrauen Anja (Bass), Maria (Gitarre) und Svenja (Gitarre) und Schlagzeuger Nino dieses Ziel definitiv schon erreicht. Der Song ist ebenso romantisch wie lässig, als größte Stärke von Power Plush erweist sich dabei der Harmoniegesang. Und im Video werden nicht nur ein paar vorzeigbare Ecken von Chemnitz erkennbar, sondern vor allem auch der Zusammenhalt, der diese Band offenbar prägt. Sehr willkommen.