Bonnie Prince Billy Bananas

Futter für die Ohren mit Bonnie „Prince“ Billy, Arlo Parks, Madsen, Lina Maly und Lanterns On The Lake

Will Oldham alias Bonnie „Prince“ Billy ist 53 Jahre alt, sieht aber schon seit den Neunzigern aus wie ein, pardon, alter Mann. Dass so jemand sehr traditionelle musikalische Werte hochhält, ist wenig verwunderlich. Sein neues Album Keeping Secrets Will Destroy You, das am 11. August erscheint, ist auf beinahe rührend altmodische Weise entstanden: Viele sehr gute Musiker*innen (namentlich Sara Louise Callaway an der Violine, Kendall Carter an den Tasteninstrumenten, Elisabeth Fuchsia an Bratsche und Violine, Dave Howard an der Mandoline, Drew Miller am Saxophon und Dane Waters als Gastsängerin) haben sich in einem Raum versammelt (genauer: einem Tonstudio in Oldhams Geburtsstadt Louisville, Kentucky) und dort unter Regie von Produzent Nick Roeder eine Langspielplatte aufgenommen. Diese hemmungslose Hingabe zur Musik spricht auch aus dem ersten Vorab-Track Bananas (***1/2). „How well we fit together“, lautet die zentrale Zeile, bezogen offensichtlich nicht nur auf die besungene Beziehung, sondern auch auf das musikalische Miteinaner, von Bonnie „Prince“ Billy als Call-and-Response mit Dane Waters auf Basis einer wunderhübschen Akustikgitarre ausgestaltet. Und so klassisch das alles anmutet, so unzweifelhaft kann man bei diesem Künstler auch hier wieder, vor allem am Ende des Songs, eine gute Dosis an Wagemut erkennen.

Tollen Duettgesang bietet auch das neue Lied von Lina Maly. Die Künstlerin hat eine weitere EP in den Hamburger Hush Hush Studios aufgenommen und sie passenderweise Hush Hush / Hamburg II benannt, das Werk erscheint am 15. September. Grundprinzip der sechs neuen Songs ist: In jedem Lied arbeitet sie mit einem anderen Feature-Gast zusammen. Bei Kinder haben (***1/2) ist das Enno Bunger. Mit ihm entspinnt sich ein schönes Miteinander der Stimmen, die sich eher ergänzen als verschmelzen und damit die Rollenverteilung des Songs unterstützen, dessen Thema gleich in den ersten Zeilen klar wird: „Ich wollte immer Kinder haben / ich bin mir nicht mehr sicher.“ Es geht um Hoffnung und Fürsorge, ebenso um die Angst, für den eigenen Nachwuchs könnten womöglich nur „Krisen und Unglück“ bleiben. Die Musik stellt das Klavier ins Zentrum, ein paar Akzente steuert die Gitarre bei, bis sich Kinder haben ein recht üppiges Finale gönnt. Im Herbst geht Lina Maly auf Tour, am 16. Oktober spielt sie im Leipziger Täubchenthal.

Auch Madsen stellen Kinder in den Mittelpunkt ihren neuen Single, und zwar auf doppelte Weise. Hollywood (****), der Titelsong des kommenden Albums, klingt als Wort zwar nach Glamour, Drama und Spektakel, zeigt die Band aber im nachdenklichen Storyteller-Modus, wie man es selten erlebt hat. „Ich wollte mit Hollywood ein politisches Lied schreiben, das ohne geballte Fäuste, Mitgröhl-Slogans oder ‚Ich weiß Bescheid-Attitüde‘ daherkommt. Vielmehr wollte ich die naive und unvoreingenommene Sichtweise von zwei Kindern beschreiben“, sagt Frontmann Sebastian Madsen. Tpyisch für seine Band ist dann, das sich daraus eine rührende Geschichte über den Traum vom Glück entfaltet, begleitet von Chor, Streichern und einem tollen Refrain, der dann doch nach ganz großem Kino klingt. „Das eine Kind wächst in schwierigen und eher ärmlichen Verhältnissen auf. Das andere ist geflüchtet, muss sich in einem fremden Land zurechtfinden und wird diskriminiert. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkünfte finden die beiden aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten zusammen. Sie können sich verstehen und sind damit vielen Erwachsenen einen Schritt voraus“, beschreibt Sebastian Madsen die Idee. Passend zum Inhalt des Lieds geben Madsen eine Kooperation mit War Child Deutschland bekannt. Die weltweit tätige Organisation, die seit 2019 einen deutschen Ableger hat, engagiert sich für die Sicherheit, Bildung und das Seelenheil der momentan rund 230 Millionen Kinder auf der Welt, die von bewaffneten Konflikten betroffen sind. Madsen bieten über den Shop auf ihrer Website ein exklusives „War Child Soli-Shirt“ an, dessen Erlöse vollständig an War Child Deutschland gehen werden. Auch auf den anstehenden Konzerten sollen Spenden gesammelt werden, zudem stellt die Band die Aktivitäten der Hilfsorganisation regelmäßig über ihre Social-Media-Kanäle vor.

Der schönen deutschen Redensart, jemanden in die Wüste zu schicken, entspricht im Englischen vielleicht die Formulierung „to send someone packing“ am besten. Man fordert eine Person also auf, ihre Sachen zu packen und sich zu verpissen. Sollte Arlo Parks jemals dazu aufgefordert werden, würde das Gepäck der 22-Jährigen, die in wenigen Tagen ihr zweites Album My Soft Machine veröffentlicht, mittlerweile immerhin zwei Grammy-Nominierungen, einen Mercury Prize und einen BRIT Award umfassen. Glücklicherweise begibt sie sich für den vierten Vorab-Song der neuen Platte ganz freiwillig in die Wüste und nimmt für die Single Pegasus (****) auch noch ihre gute Freundin Phoebe Bridgers mit. Beide erkunden im Video in einem Cabrio schroffe Wüstenlandschaften, wie sie Arlo Parks schon immer fasziniert haben. „Filme wie Gerry, My Own Private Idaho und Paris, Texas verwenden alle die Wüste wie einen eigenen Charakter, der für Isolation, Nostalgie und die Reise zu einem Ort außerhalb von sich selbst steht“, schwärmt sie. „Unser Regisseur Bedroom hat es auf unglaubliche Weise geschafft, surreale Traumlandschaften mit echter Intimität zu verbinden und eines meiner liebsten Musikvideos aller Zeiten erschaffen.“ Das Lied dazu handelt zu zartem Gesang, dezenter Gitarre und einem Beinahe-TripHop-Beat vom Taumel der ersten Verliebtheit, die berauschend bis zur Selbsttäuschung sein kann („I believe you’re special ‚cause you told me“, lautet eine der sehr cleveren Zeilen), aber auch ein wenig beängstigend, „wenn man die Abwesenheit von Chaos und die Anwesenheit von echter Verbundenheit spürt, nachdem man sie lange Zeit nicht hatte“, wie Arlo Parks schildert.

Den Aufbruch in ein Abenteuer scheinen auch Lanterns On The Lake im Sinn zu haben, nicht nur mit dem anstehenden Album Versions Of Us (kommt am 2. Juni heraus), sondern auch mit der neuen Single Real Life (***1/2). Das Lied vermittelt sagenhaft straight und sehr inspiriert die Botschaft, dass ewiges Aufschieben letztlich bedeutet, dass man sein Leben verpasst. Sängerin Hazel Wilde singt von „A life of wasted years / while I was waiting for the real one“ und wirft dabei die Frage auf, wie eigentlich Biffy Clyro mit Sharleen Spiteri als Frontfrau klingen würden. „Es geht um das Versprechen, das man sich selbst und anderen gegenüber macht, irgendwann etwas Besseres zu sein, anstatt im Moment zu leben und zu akzeptieren, wer und wo man ist“, beschreibt sie das Thema des Songs. Das, was Arlo Parks 2021 mit ihrem Debütalbum geschafft hat, blieb ihnen im Jahr zuvor zwar verwehrt (es reichte nur für eine Mercury-Prize-Nominierung, ohne die Auszeichnung auch tatsächlich nach Hause zu holen). Aber mit diesem Credo können Lanterns On The Lake das sicher ertragen.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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