Element Of Crime Unscharf mit Katze Review Kritik

Futter für die Ohren mit Element Of Crime, Deerhoof, Unknown Mortal Orchestra, Jungstötter und The Reds, Pinks And Purples

Worum es geht? Das weiß man bei Element Of Crime mal wieder nicht. Die neue Single Unscharf mit Katze (****) handelt von Äxten und Haustieren, von Erinnerung und Irritation. Konkret verorten lässt sich dabei aber nichts. Was das sein soll? Auch das bleibt wieder einmal offen. Zwischen Pop, Chanson und Blues gibt es hier wieder eine knarzige Gitarre, ein Akkordeon und ein Trompetensolo, dazu die Stimme von Sven Regener, die weiterhin unnachahmlich nach den Aktivitäten klingt, die man im Video sehen kann: Weintrinken und Rauchen, Lachen mit Freunden, Diskutieren mit Fremden zu später Stunde und dann heimlich Tanzen, wo es niemand sieht. „Die Zeiten werden wilder“, stellt der Text treffend fest, und der Refrain endet stets mit der Frage „Wo soll das enden?“, aber es gibt keine Antwort darauf, keine Flucht daraus und auch keine Lösung dafür, sondern zunächst nur Verwunderung und Festhalten an dem, was schon immer Hoffnung und Orientierung gegeben hat. „Wir haben keine Ahnung, wir haben Bilder / … wir haben keine Lösung, wir haben Lieder.“ Es geht wohl ums Weitermachen (was sonst?) und ums Zweifeln (was sonst?), und das klingt gar wunderbar. Die Fans der Band werden das natürlich erneut lieben und erst recht begeistert sein, dass es sich bei Unscharf mit Katze um den Vorboten eines neuen Albums handelt. Morgens um vier wird am 7. April erscheinen, im Rahmen der dazugehörigen Tournee schauen Sven Regener und seine Mitstreiter am 17. September auch in Leipzig im Haus Auensee vorbei.

Jungstötter rackert sich im Video zu seiner neuen Single Air (***) mächtig ab und zieht eine unsichtbare Last hinter sich her. Das ist wohl sinnbildlich für die Entstehung seines zweiten Albums One Star, das am 28. April herauskommt. Nach dem Ausstieg als Sänger bei Sizarr und dem Solodebüt Love Is (2019) suchte er zunächst neue Inspiration in Wien, wo auch seine Freundin Anja Plaschg lebt, dann rutschte er jedoch 2021 in eine Krise, aus der er erst ein Jahr später wieder herausfand, um die zehn Songs des neuen Albums zu komplettieren. „Dieses Album ist durch den Wildwuchs des Lebens entstanden. Manches ist alt mit dicker Rinde und manches ist gerade erst gesprossen. Air ist irgendwo dazwischen mit grobem Rascheln. Bitte hört es aufmerksam“, sagt der Mann, der bürgerlich Fabian Altstötter heißt. „No scream, no flare / every ache in me is air“, lautet passend dazu die zentrale Textzeile, begleitet von dezentem Klavier, filigranen Streichern, sattem Kontrabass und sehr interessanten Percussions. Das ist, wie schon zuletzt bei ihm, noch immer zu gleichen Teilen Kunst und Selbstverliebtheit, entwickelt auf Dauer aber einen beträchtlichen Reiz, gerade durch die Detailtiefe. Am 3. Mai kann man Jungstötter im UT Connewitz in Leipzig live erleben.

Unknown Mortal Orchestra wurden bekanntlich in Neuseeland gegründet und sind mittlerweile in Portland zuhause. Dass Mastermind Ruban Nielson auch Wurzeln in Hawaii hat, spielte auf den bisherigen vier Alben seiner Band (wenn man das rein instrumentale IC-01 Hanoi aus 2018 nicht mitrechnet) kaum eine Rolle. Das ist auf V anders. Die neue Platte wird am 17. März veröffentlicht und ist in Kalifornien und Hawaii entstanden. Der 50. Bundesstaat spielte dabei eine besondere Rolle, denn unter anderem durch die Corona-Pandemie entdeckte Nielson diesen Teil seiner Herkunft neu. Ein Onkel von ihm, der im Inselstaat lebt, wurde krank. Ruban Nielson zog deshalb mit einem Bruder und seiner Mutter nach Hawaii, um bei ihm zu sein. „Auf Hawaii hat sich alles von mir und meiner Musik wegbewegt“, erzählt er nun. „Plötzlich verbrachte ich mehr Zeit damit, herauszufinden, was andere brauchen und was meine Rolle in meiner Familie ist. Ich habe auch gelernt, dass Dinge, von denen ich glaubte, dass sie auf mich zutreffen, größer sind, als ich dachte. Meine Art, Unfug zu machen – das bin nicht nur ich, das ist meine ganze polynesische Seite. Ich dachte, ich würde mich von der Musik abwenden, um mich auf die Familie zu konzentrieren, aber am Ende hat sich beides miteinander verbunden.“ Genauer gesagt traf er auf Hawaii bei einer Familienfeier seinen Bruder Kody wieder, der ein wichtiger Mitstreiter für V wurde und beim Finalisieren der Songs in Palm Springs dabei war, genau wie ihr Vater Chris Nielson, der Saxophon und Flöte bei einigen der 14 Songs des Doppelalbums beisteuerte. Den ersten Eindruck gibt Layla (***1/2), das man sich tatsächlich gut am Strand von Hilo vorstellen kann mit seinem leichten Reggae-Rhythmus, der unbeschwerten Grundstimmung rund um die Zeile „Let’s get outta this broken place“ und einem schicken Gitarrensolo. Dazu gibt es ein sehr stimmungsvolles Video (Regie: Vira-Lata), zu dem es demnächst einen zweiten Teil geben soll, in der die Geschichte der beiden jungen Frauen fortgesetzt wird.

Mit The Town That Cursed Your Name (so der Titel des neuen Albums, das für 24. März angekündigt ist) meint Glenn Donaldson höchstwahrscheinlich San Francisco, wo er nicht nur als Mastermind von The Reds, Pinks And Purples aktiv ist, sondern auch jenseits davon zu den umtriebigsten Musikern gehört. Produktiv ist er obendrein: Die Platte ist das fünfte Album innerhalb von fünf Jahren (zuletzt gabe es 2022 Summer At Land’s End), und Donaldson erklärt diese Regelmäßigkeit des Outputs mit nichts weniger als Schicksal: „Als ich das neue Album zusammenstellte, wurde mir klar, dass es ein Liederzyklus ist, der davon handelt, dass man versucht zu leben und sich gleichzeitig berufen fühlt, Musik zu machen.“ Die erste Single Life In The Void (***1/2) ist sehr typisch für The Reds, Pinks And Purples, nicht zuletzt durch seine markante Stimme. Der Song ist schrammelig, hat aber doch einen Hauch von Schwung und sogar Glanz, wie man das etwa von den Lemonheads kennt, er besingt die Verweigerung, und daraus spricht trotzdem der Wunsch nach Zugehörigkeit. Das passt zum Thema, wie Donaldson erläutert: „Life In The Void ist allen gewidmet, die sich jemals in einer beschissenen Lebenssituation gefangen gefühlt haben oder jemanden geliebt haben, der in Zeitlupe auseinanderfiel.“

Wenn die Karriere einen Boost durch besondere Prominenz braucht oder neuer Input für den kreativen Prozess innerhalb einer Band gefragt ist, dann fällt oft die Entscheidung: Lass uns in einem ganz anderen Studio als bisher aufnehmen, mit einem völlig neuen Produzenten. Deerhoof können über diesen Ansatz derzeit wohl nur müde lächeln, denn sie haben ihn gerade selbst auf die Spitze getrieben: Nach 29 Jahren als Band haben sie für ihr neues Album Miracle-Level, das am 31. März erscheinen wird, zum ersten Mal überhaupt ein professionelles Tonstudio genutzt (nämlich den No Fun Club in Winnipeg, Manitoba) und mit einem externen Produzenten gearbeitet (nämlich Mike Bridavsky). Nicht nur für die Band war diese Entscheidung ein Wagnis, sondern auch für Bridavsky, der zuvor mit Acts wie Sleeping Bag und Major Murphy gearbeitet hat. „Ich fing an, ihre Alben durchzuhören und stellte fest: Ich habe keine verdammte Ahnung, wie man ein Deerhoof-Album macht. Hat das irgendjemand? Sie hatten einen Katalog von durchdachten, wilden und einzigartigen Platten zusammengestellt, jede anders als die vorherige. Ich stand kurz davor, in einen florierenden kreativen Organismus aufgenommen zu werden, der fast ausschließlich miteinander arbeitete, mit uneingeschränkter Kontrolle über jedes Blip und Bleep. Das war die Session, von der ich mein ganzes Berufsleben lang geträumt hatte – und ich war entsetzt“, erzählt er. Die Zusammenarbeit scheint dann doch recht erfreulich gelaufen zu sein: Satomi Matsuzaki (die diesmal alle Texte in ihrer japanischen Muttersprache verfasst hat), John Dieterich, Ed Rodríguez und Greg Saunier haben ihr neues Material vorab intensiv ausgearbeitet und einstudiert, nach einer Woche auf dem ungewohnten Terrain eines Tonstudios war dann bereits alles im Kasten. Die Single Sit Down, Let Me Tell You A Story (***1/2) macht klar, warum Bridavsky die Musik von Deerhoof generell als „so beautiful and insane“ und insbesondere auf diesem Album als besonders verletzlich bezeichnet. Erneut bekommen sie hier einen einzigartigen Mix aus Wildheit und Struktur, Strenge und Freigeist hin. Jedes einzelne Instrument ist für sich betrachtet spannend und das Spiel mit Laut-Leise-Wechseln erfolgt selbst innerhalb der einzelnen Passagen des Songs. Dieses Wagnis hat sich also offenkundig gelohnt.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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