Feine Sahne Fischfilet Alles glänzt

Futter für die Ohren mit Feine Sahne Fischfilet, Beach House, Lejo, You Me At Six und William Fitzsimmons

Wir müssen noch einmal über 2018 reden. Damals (dieses Wort ist wohl angebracht) brachten Feine Sahne Fischfilet ihr bisher letztes Album Sturm & Dreck heraus. Hannover und sogar Hamburg spielten noch in der Fußball-Bundesliga, Corona kannte man bloß als Biermarke, TikTok war lediglich in China und Indonesien verfügbar und Billie Eilish jemand, der in Listen mit möglichen „Newcomern des Jahres“ genannt wurde. Die Abkürzung „FSF“ stand für die meisten Menschen, die nicht regelmäßig Festivals besuchen oder fürs Verfassungsschutz-Landesamt in Mecklenburg-Vorpommern arbeiten, wahrscheinlich noch für die „Free Software Foundation“ oder die „Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen“. Es waren anderen Zeiten, auch für die Band selbst. Sturm & Dreck erreichte Platz 3 in den deutschen Charts. So erfreulich die damit verbundene Anerkennung und Reichweite für Feine Sahne Fischfilet war, die sich 2004 als Schülerband gegründet hatten, so klar war durch diese Platzierung auch: FSF haben eine neue Größenordnung erreicht. So gerne die Band ihre Botschaft von linkem Bewusstsein, Zivilcourage und Eintreten für Benachteiligte auch weiterhin gerne in kleine Jugendzentren trägt oder in Eigenregie spektakuläre Events in der Region veranstaltet, so lässt sich nicht leugnen, dass die Dinge bei solch einem Ausmaß von Erfolg und Prominenz komplizierter werden. Organisatorisch, weil nun unweigerlich ein Business an der Band hängt, aber auch inhaltlich, weil damit Privilegien einhergehen, die es schwieriger machen, glaubhafte Underdog-Musik zu schreiben. Dass Feine Sahne Fischfilet sich Ende 2019 (also noch, bevor die Pandemie mit all ihren Auswirkungen absehbar war) zu einer längeren Pause entschlossen haben, ist deshalb nicht verwunderlich und im Rückblick sicher erst recht klug. Die Zeit seitdem hat Frontmann Monchi unter anderem genutzt, um ein Buch zu schreiben. Er macht darin nicht zuletzt deutlich, wie wichtig die Auszeit für seine Gesundheit war nach so vielen Jahren mit dem Motto Alles auf Rausch (*****). Mit Christoph Sell und Jacobus North haben sich im vergangenen Jahr zudem zwei Mitglieder komplett von FSF verabschiedet. Es wäre vielleicht keine ganz große Überraschung mehr gewesen, wenn die verbliebenen vier Musiker (inzwischen ergänzt um Hauke Segert) damit einen Schlusspunkt hinter die Geschichte der Band gesetzt hätten. Doch die Fans können aufatmen: Es wird ein neues Album geben, das Alles glänzt heißt, von Philipp „Philsen“ Hoppen (Die Ärzte, Kraftklub, K.I.Z.) produziert wurde und am 12. Mai erscheint. Danach gehen Feine Sahne Fischfilet auf große Sommer-Konzertreise mit reichlich Open-Air-Terminen. „Komm mit aufs Boot“, lautet das Motto der Tour – das klingt vielversprechend.

Ziemlich genau ein Jahr alt ist das letzte Album von Beach House namens Once Twice Melody, das wunderbare Songs wie Superstar (****) enthielt und von Mojo als ihr bisher größter Wurf gefeiert wurde. Nun wird es eine neue EP mit fünf Songs von Victoria Legrand und Alex Scally geben. Become erscheint am 22. April zunächst exklusiv als Vinyl zum Record Store Day, am 28. April dann digital und am 19. Mai in weiteren physischen Formaten. Die Lieder sind während der Sessions zu Once Twice Melody entstanden und wie das Album selbst produziert, wurden damals aber zunächst aussortiert. „Wir dachten nicht, dass sie in die Welt dieses Albums passen, aber später stellten wir fest, dass sie alle eine eigene kleine Welt bilden“, so das Duo aus Baltimore. „Für uns sind sie alle irgendwie schäbig und weitläufig und leben in der Geisterwelt. Es ist nicht wirklich das, wohin wir gerade gehen, aber es ist definitiv ein Ort, an dem wir schon waren“, sagen sie über die Stücke, von denen es noch keinen Vorgeschmack gibt, sie aber zumindest schon die Songtitel verraten: American Daughter, Devil’s Pool, Holiday House, Black Magic und Become.

Auch William Fitzsimmons setzt eine zuletzt ausgelebte Idee fort: Auf dem 2022er Album 2022 Covers Vol. 1 interpretierte er unter anderem Lieder von Elton John, R.E.M. und Joy Division neu. Dass daraus eine Reihe werden könnte, deutete der Titel schon an, und tatsächlich gibt es nun mit Vienna (***1/2) eine neue Coverversion. Das Original stammt von Billy Joel, zu dem Fitzsimmons eine ganz besondere Beziehung hat. „The Stranger von Billy Joel ist eine meiner Lieblingsplatten, seit ich sie während meiner Highschool-Zeit zum ersten Mal gehört habe, auf einer alten Kassette im Keller eines Freundes aus einer gebrauchten Boom-Box. Ich hatte gerade erst die Gitarre in die Hand genommen und lernte, einfache Lieder zu spielen, und etwas an den schönen, aber komplizierten Melodien, die er benutzte, hat mich umgehauen“, erzählt er über das Album aus dem Jahr 1977, das auch Vienna enthält. „Vieles von dem, worum es ging, verstand ich nicht: Was wusste schon ein behüteter Teenager über das Großstadtleben und turbulente Liebesbeziehungen! Aber seine Fähigkeit, einen an weit entfernte Orte zu versetzen, in Hinterhöfe in New York City oder in charmante italienische Restaurants, war für meinen noch unerfahrenen Verstand so anziehend. Jahre später hatte ich das große Vergnügen, ihn viele dieser Lieder im Madison Square Garden spielen zu sehen, und ich fühlte mich wie dieses Kind, das alles zum ersten Mal wieder hörte.“ Seine Version zeigt wieder einmal sein umwerfendes Talent zur Einfühlsamkeit, nimmt den Hauch von Punch und Schwung heraus, den die Vorlage hat, und setzt an dessen Stelle viel Zerbrechlichkeit. Nicht zuletzt beweist Fitzsimmons, wie gut der Song auch auf der Gitarre, mit reduziertem Tempo und ohne das komplexe Arrangement mit Streichern und Akkordeon funktioniert. „Ich habe mich für das Cover von Vienna entschieden, weil es eine perfekte Verbindung von Melodie und Text ist. Es bringt Trost und Süße, aber auch Sehnsucht und einen schönen Sinn für Bewegung. Seit vielen Jahren ist es ein Lied, bei dem ich mich immer ein bisschen besser fühle, egal was passiert.“

Wenn Lejo die Lieder anderer Leute singen will, zieht es ihn womöglich in die Karaokebar (****). Der gleichnamige Song wird eines von sieben Stücken auf der am 3. März erscheinenden EP Einfach nur da sein, mit dem der Hamburger den nächsten Schritt gehen will, nachdem er vom Management von Bosse entdeckt worden war und auch bereits eine Clubtournee sowie Auftritte als Support-Act absolviert hat. Vor allem auf die Möglichkeit, mit dem neuen Material wieder live spielen zu können, freut er sich offensichtlich mächtig – nicht zuletzt, weil er einer der vielen jungen Acts ist, dessen geplanter Karrierestart durch Corona mächtig ausgebremst wurde. „Das ist für mich das Allerschönste und bislang unvergleichlich mit allem anderen, was ich erleben durfte. Auf der Bühne stehen, Musik mit Menschen teilen und natürlich die Weltherrschaft. Das sollte wohl drin sein.“ Dass seine Lieder nach eigenem Bekunden gerne Tagebuchcharakter haben und er beim Komponieren und in seinem Heimstudio an ihnen „so lange bastelt, bis Instrumente, Text, Melodie und Stimme exakt den Vibe versprühen, den ich fühle“, merkt man Karaokebar an. Die Gesangsmelodie wird untermalt von etwas, bei dem man nicht sicher sein kann, ob es gedämpfte Steel Drums sind oder ein verfremdetes Gitarrenpicking, dazu kommen ein schöner Spannungsbogen, ein starker Text inklusive einer cleveren Referenz auf The Police und nicht zuletzt eine Atmosphäre zwischen Nostalgie, Schmerz und Weltflucht, die man vielleicht nirgends so schön empfinden kann wie mit dem genau richtigen Song auf der Karaoke-Bühne.

Kaum ein Song dürfte den Sound (und die Erfolgsformel) von You Me At Six so gut auf den Punkt bringen wie die neue Single God Bless The 90’s Kids (***). Natürlich ist es anbiedernd, die letzte geburtenstarke Generation zu feiern, die zufälligerweise auch einen großen Teil des eigenen Publikums bildet. Sie wird im Video mit Bildern von alten Handys, einem iPod, gebrannten CDs und längst vergessenen Digitalkameras in süßer Nostalgie gewogen. Die These, sie seien alle – natürlich genau wie Josh Franceschi (Gesang), Max Helyer (Gitarre), Chris Miller (Gitarre), Matt Barnes (Bass) und Dan Flint (Schlagzeug) selbst – „21st century misfits“, ist ein ziemlich schamloses Angebot zur Verbrüderung. Aber das Lied, letzte Vorab-Single für das am 10. März erscheinende Album Truth Decay, ist eben auch enorm wirkungsvoll in seiner Wucht und Pop-Punk-Eingängigkeit. „Das Album besteht aus all den Dingen, von denen wir als Band glauben, dass wir sie gut können, und wir versuchen, sie zu verfeinern und diesen Ideen den letzten Schliff zu geben. Wir wollen die Quintessenz von You Me At Six abbilden und dem Ganzen neues Leben einhauchen“, sagt Franceschi passend dazu. „Wir sahen Leute um uns herum, Gleichaltrige und Frischlinge, die wieder Emo-Rock-Musik machten, und wir dachten: ‚Nun, wir wissen, wie man das macht, und wir wollen, dass die Welt weiß, wie wir es machen.'“ Die Platte wurde im Black Rock Studio auf Santorini mit Produzenten Dan Austin (wie schon bei Suckapunch) aufgenommen und dürfte die Erfolgsserie von zwei Nummer-1-Alben und vier weiteren Top-10-Alben im UK mühelos fortsetzen. Und dass You Me At Six keinerlei Lust haben, sich dafür zu schämen, zeigt der Clip zu God Bless The 90’s Kids ebenfalls, denn die Band macht daraus mit vielen Archivfotos, alten Konzerttickets und historischen Merch-Artikeln auch so etwas wie einen eigenen Karriererückblick.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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