Fontaine's D.C. Cello Song Nick Drake

Futter für die Ohren mit Fontaine’s D.C., Feine Sahne Fischfilet, Kapa Tult, Protomartyr und Beach Fossils

Drei Alben mit insgesamt 31 Songs veröffentlichte Nick Drake (1948 – 1974) zu Lebzeiten. Es dürfte wenige Künstler geben, die mit einem so schmalen Oeuvre (und so wenig Erfolg bei seinen Zeitgenossen) so einflussreich geworden sind. Peter Buck von R.E.M. ist ein Fan, Robert Smith von The Cure, Jimmy Page von Led Zeppelin, dazu Kate Bush, Elton John und Norah Jones. Wie stark das Vermächtnis des britischen Folkmusikers wirkt, unterstreicht nun ein neues Tribut-Album, das von Cally Callomon (er verwaltet seinen Nachlass) und Jeremy Lascelles (er ist Chef seiner einstigen Plattenfirma Chrysalis Records) initiiert wurde. The Endless Coloured Ways – The Songs Of Nick Drake wird am 7. Juli erscheinen und 23 neu interpretierte Lieder enthalten, die von so namhaften Acts eingespielt wurden wie Guy Garvey (Elbow), David Gray, Bombay Bicycle Club, Liz Phair, Ben Harper, Joe Henry, Emeli Sandé, Liz Phair, Meshell Ndegeocello, Feist  und Philip Selway (Radiohead). Jeremy Lascelles sagt zu den Vorgaben, die den beteiligten Künstler*innen mit auf den Weg gegeben wurden: „Sie sollten die Originalaufnahme von Nick ignorieren und den Song in ihrem eigenen Stil neu erfinden. Als die Ergebnisse nach und nach eintrafen, waren wir begeistert von der Brillanz und dem Einfallsreichtum, den jeder Künstler gezeigt hatte. Sie hatten genau das getan, was wir uns erhofft hatten – sie hatten den Song zu ihrem eigenen gemacht.“ Das zeigen beispielsweise Fontaine’s D.C., deren Coververion des Cello Song (****) die erste Kostprobe des Samplers ist. Die Post-Punk-Band aus Dublin ergänzt die fragile Vorlage um energische Drums, E-Gitarren, einen nervösen Bass, einen verschwörerischen Chor und sogar Handclaps, versteht es dabei aber auch, in der Strophe die Poesie und Melancholie des Originals zu bewahren. Cally Calloman verspricht noch weitere Highlights für The Endless Coloured Ways – The Songs Of Nick Drake, das in vier Teile (jeweils einer Jahreszeit zugeordnet) gegliedert sein wird. „Nick Drake war es nicht so wichtig, sich selbst als Künstler zu promoten, aber ich denke, er wäre überglücklich gewesen, wenn seine Kunst von so vielen dynamischen und talentierten Künstlern wie denen, die wir angesprochen haben, gefördert worden wäre“, sagt er. „Jeder Track ist ein Beispiel dafür, dass ein anderer Künstler Nicks Kunst so aufnimmt, als wäre es seine eigene und sich dem Song unterwirft. Die Ergebnisse beweisen mir, dass Talent so oft über bloßes Können oder ‚Persönlichkeit‘ siegen kann. Wir fühlen uns geehrt und sind all unseren Freunden, alten und neuen, sehr dankbar, die an der Entstehung dieses Sets beteiligt waren.“ Ein Schmankerl für Fans und Sammler: Einige der Songs werden als 7inch-Singles in limitierter Auflage erscheinen, zudem enthält das Tribut-Album eine Bonus-Disc mit einem bisher unveröffentlichten Song von Nick Drake. Darauf covert der Künstler selbst eines seiner Vorbilder, nämlich Tomorrow Is A long Time von Bob Dylan.

Nach der gar nicht mal so selbstverständlichen Ankündigung eines neuen Albums von Feine Sahne Fischfilet (Alles glänzt kommt am 12. Mai heraus) lassen die Nordlichter jetzt mit Kiddies im Block (****1/2) die erste Single folgen. „Zwischen Wahnsinn und Tristesse. Zwischen all dem Glanz auch so viel Scheiße. Zwischen all den tollen Momenten und dem ganzen Abfuck, wenn man in der Provinz aufwächst. In den letzten Jahren sind so viele Leute auch aus unserem Umfeld abgekackt: kohletechnisch, psychisch, physisch“, teilt die Band dazu mit. „Das volle Programm: Corona, Krieg, Inflation, die Faschos werden immer stärker und vieles fühlt sich nur noch an wie ein Film. Viele sind aus MV abgehauen, wenige sind wiedergekommen. Einige haben es geschafft und sind glücklich geblieben. Andere sind hängengeblieben. So viele Bilder, an die wir uns zurückerinnern, wenn wir an unsere Jugend in Vorpommern denken, so viele Bilder, die wir heute sehen, die wir schon damals gesehen haben. Wenn wir damals rausgegangen sind, dann gab es nicht mal einen Jugendclub. Es gab die Bushaltestelle, die Tanke oder man hing in irgendeiner Garage ab“, erzählen sie zum Hintergrund des Songs. Dessen Sound ist klassisch FSF und zeigt mit prägnantem Bass, erfrischenden Bläsern und einem mega Refrain, wie sehr man diese Musik seit Sturm & Dreck vor fünf Jahren vermisst hat. Das Video von Kiddies im Block findet eine perfekte Entsprechung dazu. Die Band spielt auf dem Dach eines Plattenbaus in Schwerin und die Bilder des Clips untermalen die Themen aus dem Lied: Baseballschlägerjahre, Abwanderung, kein Geld für Marken-Turnschuhe, am Monatsende nicht einmal für Essen. „Stand heute ist vieles genauso wie früher. Immer zwischen Wahnsinn und Tristesse. Mal findet man es geil, mal will man einfach nur weg! Aber egal was man will… Da wo du aufgewachsen bist, das kriegste nie wieder komplett raus. Nicht das Gute, genau so wenig das Schlechte. Nur glänzen tut es nirgendwo!“ Damit ist wohl auch ein Hinweis auf den Titel des Albums gegeben, das von Philipp „Philsen“ Hoppen produziert wurde, der zuletzt beispielsweise Die Ärzte, Kraftklub und K.I.Z., ähm, glänzen ließ.

Eine trotzige, stolze Attitüde soll auch das wichtigste Markenzeichen des neuen Albums von Protomartyr sein. Formal Growth In The Desert erscheint am 2. Juni. Sänger Joe Casey beschreibt als wichtigstes Thema der zwölf darauf enthaltenen Songs „Weitermachen mit dem Leben“, so schwer es auch fallen mag. Das ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr für den 45-Jährigen. Er hat beispielsweise den Tod seiner Mutter nach einer sehr langen Alzheimer-Erkrankung verkraften müssen. „Es war mir sehr wichtig, dass die Band weiter existiert, und das hat meine Laune definitiv verbessert“, sagt er jetzt über diese Zeit. Als erste Single präsentiert das Quartett aus Detroit Make Way (***1/2). Der Song ist betrübt bis zum ersten Refrain, der voller Kraft steckt, und bietet etliche ungewöhnliche Elemente wie die Slidegitarre, die Tatsache, dass der Refrain letztlich nur aus zwei Wörtern besteht, oder den 2/4-Takt im letzten Teil – in Summe klingt das ein wenig wie Nick Cave im Hardcore-Modus. Aufgenommen wurde das sechste Album von Protomartyr auf der Sonic Ranch in Tornillo, Texas, für die Produktion waren Gitarrist Greg Ahee und Jake Aron (Snail Mail, L’Rain) zuständig. Trotz dieses Entstehungsorts und des Albumtitels sollte man aber keinen Stoner- oder Desert-Rock erwarten, wie Casey klarstellt: „Die Wüste ist eher eine Metapher oder ein Symbol, für emotionale Wüsten oder einen Ort oder eine Zeit, in der kein Leben stattzufinden scheint.“ Für das Video war Regisseur Trevor Naud zuständig, der eine Verbindung zwischen Make Way und dem Clip zu Worm In Heaven (2020) sieht. „Die beiden Songs fühlen sich zusammengehörig an. Deshalb wollte ich, dass die Videos so wirken, als würden sie in der gleichen Welt existieren“, sagt Naud. „Es gibt verschiedene Ebenen von Experimenten, die alle in einer geschlossenen Umgebung stattfinden. Wir wissen nicht, was mit der Welt da draußen passiert ist, aber es gibt einen Unterton, dass irgendwas nicht stimmt.“

Mehr Pop verspricht Frontmann Dustin Payseur für die neue Platte der Beach Fossils. „Als ich die erste Platte schrieb, gab es keine Refrains; es waren instrumentale Gitarrenparts zwischen den Strophen. Dies ist die erste Platte, bei der ich bewusst in Betracht gezogen habe, einen Refrain zu schreiben“, sagt er über das am 2. Juni erscheinende Bunny, das erste Studioalbum des Quartetts aus New York seit Somersault (2017). Den ersten Eindruck vermittelt die Single Don’t Fade Away (****), laut Payseur über „die Sehnsucht nach alten Freunden, das Unterwegssein, die Selbstmedikation, die Sehnsucht, Angst und Liebe, darüber, ein Idiot zu sein, Spaß zu haben, seine Fehler zu akzeptieren und das Feuer in sich zu bewahren“. Die von ihm für das selbst produzierte Bunny genannten Einflüsse wie The Verve, Spiritualized, The Cure, Wire, The Byrds und Velvet Underground kann man in Don’t Fade Away zumindest zum Teil erkennen: Der Song (das sehr stimmungsvolle Video dazu stammt von Kevin Clark) lebt von seiner Sympathie für Jangle, er ist fluffig, ohne harmlos zu sein, verträumt, aber schwungvoll. Nicht zuletzt hat er wieder einmal einen sehr cleveren Text: „This city hasn’t felt the same since you moved away / man, we had some days / wonder if you found your way / I can’t wait ‚til I’m coming back out on tour / just finished this pack of cigarettes / and I don’t even smoke.“

Zum Schluss blickt Shitesite mal wieder vor die Haustür: Kapa Tult aus Leipzig haben im März 2022 ihre erste EP veröffentlicht (Visions schrieb damals: „Die Debüt-EP dieser jungen Band aus Leipzig macht, was Debüt-EPs machen sollten: Lust auf mehr.“), jetzt legen sie mit der Single Kaffee und was Süßes (****) nach. Es geht um Treffen in Zweisamkeit, die sich nur für die Ich-Erzählerin des Songs wie Dates und Flirt anfühlen. „Es hat nicht mal mit Verliebtsein zu tun, ich will nur mehr sein als ein Kaffee und was Süßes dazu“, ist die Ausgangssituation, mündend in die Erkenntnis: „Scheiße, ich glaub, ich will hiervon mehr als du.“ Inga (Gesang, Gitarre), Angi (Schlagzeug), Paul (Bass) und Robin (Keyboard) vertonen dieses schmerzhafte Missverhältnis zunächst sehr reduziert mit Gesang, Gitarre und ein bisschen Orgel, gegen Ende wird Kaffee und was Süßes dann wunderbar kraftvoll und packt auch noch ein paar schöne Harmonies und ein Hammond-Finale dazu. Das wirkt ein bisschen wie Fritzi Ernst, wenn sie gekränkte Liebeslieder machen würde, auch eine Gitarren-Inkarnation der Solosachen von Felix Kummer kann man hier mit etwas Fantasie erkennen. Am 23. Juni bringen Kapa Tult dann ihr Debütalbum Es schmeckt nicht heraus.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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