Das Schönste an Straight To The Morning (****), der gemeinsamen Single von Hot Chip und Jarvis Cocker: Das Lied klingt, als sei „Corona“ nach wie vor ausschließlich bloß ein Begriff für eine Biermarke. Das Stück, vom Quintett aus London ursprünglich für Dua Lipa geschrieben und gemeinsam mit Mark Ralph produziert, feiert das Feiern, das Tanzen, die Party. Kein Wunder: Die Idee zur Zusammenarbeit entstand, als Hot Chip gemeinsam mit dem Frontmann von Pulp in Paris als DJs gebucht waren. „Straight To The Morning ist eine Disco-Hymne über das Ausgehen, in einer Zeit, in der das leider nicht möglich ist. Unser Freund Jarvis Cocker fordert uns darin auf, bis zum Morgengrauen durchzumachen. Irgendwie ist er nicht gerade der Typ, von dem man das erwarten würde, und genau so mögen wir das“, sagen Hot Chip. Für ihren Feature-Gast selbst war der Song die letzte musikalische Aktivität vor dem Lockdown. „Es fühlte sich sehr ergreifend an, ein Lied über eine in einem Club durchtanzte Nacht zu singen, während man wusste, dass es auf absehbare Zeit nicht möglich sein würde, so etwas zu tun. In der Zwischenzeit haben wir allerdings ziemlich viel im Studio getanzt. Es hat Spaß gemacht, einen Tag lang Mitglied der Straight Through Crew zu sein“, erklärt Jarvis Cocker. Im Video wird auch einer drauf gemacht, wenn auch von ein paar Teenie-Mädels zuhause. Zum Gefühl von Unbeschwertheit, einmaligen Gelegenheiten und jugendlichem Übermut, das der Song verströmt, passt das wunderbar.
Auch DZ Deathrays wollen sich durch die Pandemie ganz offensichtlich nicht die Laune verderben lassen. Shane Parsons, Simon Ridley und Lachlan Ewbank arbeiten fleißig an ihrem fünften Studioalbum Positive Rising: Part 2. Der Nachfolger zum 2019 veröffentlichten ersten Teil der Reihe soll am 9. Juli 2021 erscheinen. Wer sich fragt, wieso das Trio aus Brisbane so lange braucht, findet die Antwort vielleicht im neuen Vorab-Track Fired Up (****). DZ Deathrays haben ewig mit dem Song experimentiert, bis es nach mehr als einem Dutzend unterschiedlicher Fassungen endlich die Erleuchtung gab. „Eines Tages entschloss sich Shane, unser Sänger und Gitarrist, den Song in eine Springsteen-mäßige Stadionhymne umzuwandeln. Wir wussten sofort, dass das die Version war, nach der wir so lange gesucht hatten“, erzählt Schlagzeuger Simon Ridley. Passende Referenzen wären durchaus auch Ash oder The Cribs, denn der Song ist ebenso direkt wie romantisch, hat genauso viel Energie wie Finesse. Und das Video ist so voll mit verstörenden Bildern und Ideen, dass man noch ein bisschen gespannter auf das nächste Album der Australier wird.
Eine ganz andere Schlagzahl finden wir bei Haiyti. Ihr großartiges Album Sui Sui ist erst ein paar Monate alt, jetzt steht schon das nächste in den Startlöchern (Influencer erscheint am 4. Dezember). Ob man da wirklich von einem Comeback (****) sprechen sollte? Die Hamburgerin tut es und zeigt dabei gleich ihre größte Stärke: Rap-Klischees wie die Botschaft „Ich bin zurück, markiere mein Revier und habe nichts verlernt“ bricht sie durch ihre Perspektive, die natürlich mehr als genug Reiz zu bieten hat und zwischen Street-Cred und Feuilleton-Liebling schwankt, zwischen Fame und Sinnkrise, nicht zuletzt mit den verschiedenen Facetten ihrer Rolle als Frau im HipHop-Geschäft spielt. Auch das Video schwankt entsprechend zwischen Jet-Set und Unterwelt, Glamour und Absturz. Natürlich gibt es dazu Auto-Tune und ihren unnachahmlichen Sprachmix. „Scheiß auf die ganzen Fake News, ich bin Deutschraps Zukunft / dass ich nie wieder zurück komme, war ein Trugschluss“, heißt es, und natürlich ist das eine sehr erfreuliche (und zutreffende) Botschaft.
Bambi, Grimme-Preis, Goldene Kamera, Europäischer Filmpreis, Rose d’Or – Babylon Berlin hat als Fernsehserie mächtig abgeräumt und auch der dazugehörige Soundtrack hat durchaus für Furore gesucht. Der Titelsong Zu Asche zu Staub hat es beinahe in die deutschen Top20 geschafft. Für die dritte Staffel der Serie (und den zweiten Teil des Soundtracks) haben Woods Of Birnam mit Du Bist Alles (***1/2) einen Song komponiert, was nicht sonderlich verwunderlich ist, schließlich spielt Frontmann Christian Friedel selbst in der Serie mit. Er verkörpert einen Polizeifotografen, der den Song zu seinem Geburtstag als gesungenes Coming Out zum Besten gibt. „Dieses Lied ist nicht nur wichtig für meine Figur in der Serie, es ist auch ein ganz besonderes Juwel für uns als Band“, sagt Friedel über das erste Stück der 2011 gegründeten Band aus Dresden, das einen komplett deutschen Text hat. Die wichtigste Zutat ist die feine Balance aus Sensibilität und Exzentrik, in einigen Momenten könnte man meinen, Air hätten ein Lied von Blumfeld neu bearbeitet. „Die Bandversion ist ein kraftvoll-emotionaler Popschlager im französischen Stil, der schwebende Gesang eine zeitlose Hommage an die Liebe im Hier und Jetzt.“ Im Video sind etliche weitere Leute aus dem Cast der Serie zu sehen, darunter Volker Bruch, Benno Fürmann, Fritzi Haberlandt, Hannah Herzsprung, Meret Becker und Udo Samel. Regisseur Benedikt Kauff hat für den Videoclip den Bogen aus der besagten Szene der Serie in die Realität geschlagen: „Meine Grundidee war, diesen Liebessong (…) aus diesem vorgegebenen historisch-fiktiven Rahmen herauszulösen und über für uns wichtige Protagonisten der Babylon Berlin-Familie in das ‚moderne Heute‘ zu transportieren. Natürlich ohne aber den Bezug zur Serie zu verlieren.“ Babylon Berlin (Original Television Soundtrack Vol. II) ist schon seit Januar digital und als CD verfügbar, seit 9. Oktober auch auf Vinyl.
Bleiben wir in der Region: Wooden Peak aus Leipzig veröffentlichen nächste Woche ihre neue Single Point (***1/2). Das Duo ist mittlerweile zum Quartett angewachsen, denn Wencke Wollny (Karl die Große, Fatoni) und Antonia Hausmann (Karl die Große, Suntje, Clueso) sind hinzugekommen und steuern Blasinstrumente und Gesang bei. Das Lied ist zugleich erster Vorbote für das fünfte Album der Band, das Electric Versions heißen wird und für Februar 2021 angekündigt ist. Der Titel lässt es erahnen: Wooden Peak bearbeiten darauf einige ihrer eigenen Stücke neu, mit Live-Elektronik, Gitarre, Bassklarinette, Posaune und Gesang. „Die Idee hinter dem Album war die Einfachheit – die Stücke nicht laut, sondern mit leichten Beats und Samples neu zu erfinden und kleinster Besetzung live zu spielen. Während der Studioarbeit entschlossen wir uns, Synthesizer-Melodien und auch Unisono-Parts mit echten Instrumenten einspielen zu lassen. (…) Beim Arrangieren und dem Recording wurde sofort klar, dass wir wieder im Ensemble zusammenkommen wollen“, teilen sie mit. Wie das klingt (und aussieht), zeigt der Clip zu Point: schwebend, verschachtelt, intuitiv, nicht ganz weit weg von Notwist oder einem besonders ambitionierten Badly Drawn Boy. Dem „Praise the assembly“ kann man sich in dieser Konstellation problemlos anschließen.