James Ellis Ford The Hum Review

Futter für die Ohren mit James Ellis Ford, Lanterns On The Lake, Dropkick Murphys, Arlo Parks, Jonathan Jeremiah und Mt. Desolation

Die Rolle eines Produzenten beim Aufnehmen einer Platte ist recht klar umrissen. Er versteht viel von Musik, aber er spielt selbst nicht mit. Er leitet die Bandmitglieder an, das Maximum aus ihren Möglichkeiten herauszuholen, und sorgt dafür, dass sie alle ihre individuellen Stärken zum Gelingen des Gesamtergebnisses einbringen. Er gibt vielleicht die grobe Richtung vor und lässt in die Sessions seine vielfältigen Erfahrungen aus anderen Stationen mit einfließen. Im Prinzip verhält er sich zu den Musiker*innen wie ein Fußballcoach zum Team. Wenn man diesen Vergleich anerkennt, dann ist das erste Soloalbum von James Ellis Ford ein Ereignis. Es ist, als würde Jürgen Klopp plötzlich beim FC Liverpool selbst auf dem Platz stehen. Denn als Produzent ist Ford eine Koryphäe. Er hat den Sound der frühen Arctic Monkeys und von Klaxons geprägt, später beispielsweise mit Depeche Mode, den Gorillaz und Kylie Minogue gearbeitet. Zwar war er dabei teilweise auch schon als Instrumentalist im Einsatz (er spielt zum Beispiel auch das Schlagzeug in der Liveband der Last Shadow Puppets) und hat als eine Hälfte von Simian Mobile Disco an der Seite von Jas Shaw auch schon selbst Songs geschrieben. Aber die Ankündigung von The Hum, das am 12. Mai erscheinen wird, ist trotzdem eine kleine Sensation. Denn Ford wird hier zum ersten Mal den Stücken auch seine Stimme leihen. „Ich hatte noch nie öffentlich gesungen. Ich habe noch nie Karaoke gemacht. Ich singe nicht einmal unter der Dusche!“, gesteht er. Auslöser für den Schritt zum Solokünstler war zum einen die Tatsache, dass er 2017 zum ersten Mal Vater geworden ist und daraus wohl der Wunsch erwuchs, auch in kreativer Hinsicht wieder etwas Eigenes zu erschaffen und zu hinterlassen. Zum anderen wirkte sich aus, dass er vorerst nicht mehr als Teil von SMD aktiv sein kann, weil Bandkollege Jas Shaw an AL-Amyloidose erkrankt ist. „Das Fehlen von Simian Mobile Disco als Ventil, um für mich selbst Musik zu machen, zwang mich wahrscheinlich dazu, eine Soloplatte zu machen“, sagt Ford, der Brian Eno und Robert Wyatt als Referenzen für die komplett live eingespielte Platte nennt, bei der er bewusst darauf verzichtet hat, einige seiner sehr prominenten Klienten aus den Produzenten-Jobs um Unterstützung oder Gastauftritte zu bitten. So erwies sich auch das Schreiben der Songtexte für ihn als schwieriges Neuland. „Viele der Texte handeln davon, wie ich mich an Veränderungen im Leben anpasse: Vater werden, älter werden, mein Freund wird krank. Kinder zu haben ist ein großer, positiver Paradigmenwechsel – man ist nicht mehr der Mittelpunkt der Welt – aber sowohl das als auch die Situation mit Jas haben mich zum ersten Mal über meine eigene Sterblichkeit nachdenken lassen. Die Texte handeln von dieser Veränderung und haben eine nostalgische Note für die vergangenen Zeiten. Aber ich blicke auch mit wachsendem Unbehagen auf die Welt, die mein Sohn erben wird.“ Die Single I Never Wanted Anything (***) ist hingegen ein ziemlich klassisches Liebeslied, das zu einem sehr komplexen Beat und beinahe sphärischem Gesang einfach ausformuliert, was für ein verdammter Glückspilz man ist, eine erfüllende Liebe erleben zu dürfen, vielleicht auch ganz generell ein gutes Leben zu haben. „Ich habe unglaubliches Glück, dass ich das, was ich tue, weiterhin tun kann“, sagt Ford. „Wenn ich Musik spiele und das Gefühl habe, dass sie großartig sein wird? Das ist buchstäblich der Kick, dem ich jeden Tag nachjage.“

Lanterns On The Lake hingegen haben für ihr fünftes Album Versions Of Us (erscheint am 2. Juni) auf einen Produzenten verzichtet und die Dinge nach dem 2020er Album Spook The Herd stattdessen selbst in die Hand genommen. Eine Gemeinsamkeit zu James Ford findet sich aber auch bei der Band aus Newcastle upon Tyne: Elternschaft hat die Entstehung der Platte entscheidend geprägt. „Jetzt Mutter zu sein, hat mir bewusst gemacht, dass ich einen anderen Anteil an der Welt habe. Ich muss daran glauben, dass es einen besseren Weg und eine andere Zukunft gibt als die, auf die wir zusteuern. Ich muss auch daran glauben, dass ich als Mensch besser sein kann“, sagt Songwriterin Hazel Wilde zu den neun neuen Songs. Umgesetzt wird das in der ersten Single The Likes Of Us (***1/2). Es geht darum, dass auch schon andere Generationen schwierige Zeiten zu überwinden hatten, dass man an die eigene Kraft glauben sollte und nicht zuletzt manchmal auch auf ein bisschen Glück hoffen darf. „In einer Zeit, in der sich die Zukunft ungewiss anfühlt und es viel Negativität und Chaos gibt, geht es in diesem Song darum, an andere Möglichkeiten zu glauben und nicht zuzulassen, dass andere Menschen einem dieses Gefühl der Hoffnung rauben“, sagt Hazel Wilde, was mit einer aufgewühlten und trotzdem hymnischen Atmosphäre irgendwo zwischen Florence und Kate Bush umgesetzt wird. „I won’t let this spark die in me“, heißt die letzte Zeile, und dieses Durchhaltevermögen haben Lanters On The Lake auch im Entstehungsprozess von Versions Of Us bewiesen: Sie hatten eigentlich schon eine Fassung der Platte fertig, verwarfen dann aber alles wieder (unter anderem wegen Uneinigkeit innerhalb der Band) und fingen noch einmal von vorne an – auch so ist nun der Albumtitel zu verstehen.

Erst bei ihrem zweiten Album kommt Arlo Parks am 26. Mai an, wenn My Soft Machine in den Läden sein wird. Nach dem riesigen Lob für das 2021er Debüt Collapsed in Sunbeams, das ihr unter anderem einen „BBC Music Introducing Artist Of The Year Award“ und den Mercury Prize eingebracht hat, ist die Erwartungshaltung natürlich groß. Die neue Single Impurities (****) kann man vielleicht als Versuch interpretieren, mit diesem Druck umzugehen, denn das Lied feiert die Menschen, die Unbeschwertheit in dein Leben bringen können. „Es geht darum, mit Leuten zusammen zu sein, die dir das Gefühl geben, dass deine innere Hässlichkeit und dein Versagen und deine Fehler keine Rolle spielen, die dich aufrichten und zum Lachen bringen, die dir das Gefühl geben, gut und sauber zu sein“, sagt Arlo Parks über den Song, der gemeinsam mit Romil Hemnani von Brockhampton und Carter Lang entstanden ist und einen TripHop-Beat mit einer asiatisch anmutenden Gitarre, ein paar Scratches und der Ermutigung „Don’t hide your bruise“ verbindet. Für das Video war Jak Payne zuständig. Er setzt die Künstlerin dafür auf eine Theaterbühne, mal ganz allein, mal mit bestens gelaunten Gästen beim Essen. „Als ich diesen Song schrieb, habe ich viel über Gus Van Sant nachgedacht und darüber, wie er die Menschen in all ihrer Zerbrechlichkeit, Schönheit und Hässlichkeit einfängt – Jak war maßgeblich daran beteiligt, dieses Gefühl der Sanftheit zu erzeugen und zu bewahren.“

Ganz allein am Klavier ist Jonathan Jeremiah im Video zur neuen Single Early Warning Sign (**1/2) zu sehen, was keineswegs typisch für sein aktuelles Album Horsepower For The Streets ist, das im Herbst 2022 veröffentlicht wurde. Denn der Brite hat sein fünftes Album gemeinsam mit einem 20-köpfigen Streichorchester in einer Kirche in Amsterdam aufgenommen. Die Streicher sind hier auch zu hören, die Intimität des Clips (Regie: Glenn Dearing) passt indes besser zur Botschaft des Lieds: „Have I been waiting for the world to end / to say what I always knew?“, fragt sich Jonathan Jeremiah, um dann zur Schlussfolgerung zu kommen: „I wanna spend the rest of this life with you.“ Wer überprüfen will, wie viele Instrumente er denn auf seiner im April beginnenden Europa-Tournee auf die Bühne bringen wird (oder ob jemand diesen romantischen Text für einen spontanen Heiratsantrag während des Konzerts nutzen will), hat dazu auch am 14. April im Werk 2 in Leipzig die Gelegenheit.

Als Tim Rice-Oxley und Jesse Quin, beide im Hauptberuf bei Keane im Einsatz, im Jahr 2010 ihr Nebenprojekt Mt. Desolation gründeten, hatten sie wahrscheinlich nicht erwartet, dass sie es mit dieser Idee auf drei Alben bringen sollten. Diesen Punkt erreichen sie allerdings am 21. April, wenn Through Crooked Aim erscheinen wird. Der Wunsch, mit Mt. Desolation ihre Vorliebe für amerikanisch geprägte Sounds auszuleben, ist aber offensichtlich ungebrochen: „Es ist etwas seltsam Magisches an der Chemie dieser Gruppe, wie wir Ideen, Songs und Geschichten austauschen und versuchen, eine zusammenhängende Platte daraus zu machen“, sagt Rice-Oxley. Amerika hat die neue Platte noch auf eine andere Weise entscheidend beeinflusst. Denn sie ist im Old Jet, entstanden, einem offenen Kunst- und Kulturzentrum in Suffolk, das Quin gegründet hat – und zwar auf dem Gelände eines ehemaligen Stützpunkts der US Air Force, der von sehr ursprünglicher Natur umgeben ist. „Dieser Ort hat den Entstehungsprozess sehr geprägt. Es war ziemlich intensiv und surreal – aufzuwachen und Hirschherden durch das Moor und den Nebel laufen zu sehen, während man von diesen Flugzeughangars umgeben ist. Das war definitiv eine der glücklichsten Zeiten in meinem Leben. Man kann nicht umhin, etwas von dieser Magie in die Aufnahmen einfließen zu lassen“, sagt Quin. Als erste Kostprobe des Albums gibt es das Stück Sunrise (***), das mit hypnotischem Bass, luftigen Klavierakkorden und sehr schönem Harmoniegesang (wobei Jess Staveley-Taylor den weiblichen Part beisteuert) eine große Wärme entwickelt, zwischendurch auch beträchtliche Kraft. Tim Rice-Oxley sagt über den Song: „Wir haben probiert, dieses Gefühl zu beschreiben, wenn man darum kämpft, im Leben ein wenig Luft zum Atmen zu finden – wenn man verzweifelt versucht, den Kopf über den Wellen zu halten. Ich hatte dieses Bild im Kopf, das ein paar ferne Hügel und eine tief stehende Wintersonne zeigt, die gerade hinter ihnen aufgeht und eine Art himmlisches Streulicht erzeugt. Diese Momente des Friedens können die Welt zu einem Ort machen, an dem man viel besser überleben kann, wenn man sich überfordert fühlt. Das ist der Geist des Liedes. Uns gefiel die Idee, dem Sonnenaufgang eine eigene Stimme zu geben, um die Vorstellung zum Leben zu erwecken, dass der Sonnenaufgang selbst dich beschützt und dir die zusätzliche Kraft gibt, dunkle Zeiten zu überstehen. Jess verleiht diesem Song mit ihrer Stimme eine ganz besondere Note. Ich bekomme jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich ihn höre.“

Schon im vergangenen Jahr haben die Dropkick Murphys mit This Machine Still Kills Fascists ein Album vorgelegt, mit dem sie Woody Guthrie huldigen und einige seiner Songs neu interpretieren. Das Format findet jetzt eine Fortsetzung mit Okemah Rising, das am 12. Mai erscheint und zehn weitere Coverversionen enthält. Bei den Aufnahmen in Tulsa, Oklahoma, waren neben Produzent Ted Hutt auch Gäste wie die Violent Femmes, Jesse Ahern und Jaime Wyatt dabei. Anders als beim ersten Tribut-Album legen die Dropkick Murphys das Augenmerk diesmal auf schwungvollere Stücke, wie die 

erste Single I Know How It Feels (***1/2) beweist, die viele typische Eigenschaften der Band aus Boston mitbringt, vom Akkordeon über die Flöte bis zum Call-and-Response-Gesang ganz am Ende, und natürlich auch mit dem Text über die permanente Ebbe im Geldbeutel bestens zu ihnen passt. „Was mich schon immer an Musik und meinen Lieblingskünstlern gereizt hat, ist das Gefühl, dass sie mit ihren Songs zu mir oder für mich sprechen. Sie haben mich verstanden, wie ich mich fühle und was ich durchmache. Genau das ist die Essenz dieses Stücks“, sagt Sänger Ken Casey dazu. Die Grundidee für das Weitertragen der Fackel betont er auch noch einmal: „Jeden Abend, wenn das Publikum Woodys Worte mitsingt, kommt seine unerschütterliche Verteidigung der Arbeiterklasse und sein Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und den Missbrauch politischer Macht laut und deutlich rüber. Solange die Dropkick Murphys dabei sind, wird Woody’s Botschaft immer gehört werden.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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