Mittlerweile hat Lana Del Rey genug Übung darin, sich Namen für ihre Alben auszudenken, und sie wird in dieser Disziplin immer besser. Dem schon sehr cleveren Norman Fucking Rockwell, das 2019 natürlich die Top3 der Charts in den USA, in Deutschland und im UK erreichte und ihr zwei weitere Grammy-Nominierungen einbrachte, folgt nun Longplayer #7, und er hat den schönen Titel Chemtrails Over The Country Club erhalten. Die elf Stücke hat die 35-Jährige wieder mit ihrem langjährigen Songwriting-Partner Jack Antonoff geschrieben, einzige Ausnahme ist die Coverversion For Free (im Original von von Joni Mitchell), die sie gemeinsam mit Zella Day und Weyes Blood umgesetzt hat. Die dritte Auskopplung ist White Dress (****). Der Song ist getragen von Klavier und ihrer vor allem zu Beginn besonders heiseren und brüchigen Stimme, die Erzählerin ist wieder ein All-American-Girl, 19 Jahre alt, Kellnerin und vom großen Ruhm träumend. Im von Constellation Jones mit deutlichen Referenzen auf David Lynch gedrehten Video trägt Lana Del Rey tatsächlich ein weißes Kleid, wie sie es einst auch in einigen Szenen von Video Games tat. Zehn Jahre später bleibt festzuhalten: Es gibt weiterhin niemanden, der Drama so gut mit Grandezza und dem scherzlichen Gefühl von Nostalgie inmitten des Verfalls vereint. Und es gibt niemanden sonst, der solche Singles macht.
Während Madame Del Rey ein Retro-Fetisch ja meist nur unterstellt wird, gibt es bei Iron & Wine jetzt wirklich ein Hinwenden zur Vergangenheit. Am 7. Mai veröffentlicht Sam Beam, der Mann hinter diesem Indie-Folk-Trademark, Tallahassee. Die Musik darauf wurde 1998-99 (also noch vor dem Debütalbum The Creek Drank The Cradle) aufgenommen, als er das College of Motion Picture Arts der Florida State University besuchte. Enthalten sind elf Songs, die meisten davon hatte Beam nach eigenen Angaben schon vergessen, aber sein einstiger Mitbewohner und damaliger Iron & Wine-Bassist EJ Holowicki hat sie aufbewahrt. Einen ersten Eindruck vermittelt die Single Calm On The Valley (***1/2), die so sensibel und reduziert ist, wie man das von einem Frühwerk erwarten durfte, zugleich aber so viel Charme und Romantik verbreitet, dass sie sicher nicht nur für Komplettisten reizvoll ist. Wer mit Sam Beam weiter in die Geschichte eintauchen will, darf sich freuen: Die Platte ist Auftakt zu einer Archive Series mit Veröffentlichungen aus dem Iron & Wine-Keller.
Auch Lou Barlow entdeckt gerade seinen Fundus aus der Vergangenheit. Die neue Single Over You (***1/2) stammt nach seiner Erinnerung ungefähr aus dem Jahr 1982. „Irgendwie habe ich es geschafft, fast alles aufzuheben, was ich damals aufgenommen habe. Ein paar dieser Fundstücke habe ich dann 2019 für die Artist Enabler Series für Joyful Noise verwendet“, erklärt er diese Recherche im eigenen Oeuvre. „Seitdem verfolgt mich diese Melodie. Ich habe dann endlich eine richtige Version davon produziert, alles ging ganz schnell. Um die Atmosphäre des Originals nachzuahmen, habe ich das sogar auf Kassette aufgenommen.“ Auch das Video hat eine ausgeprägte nostalgische Komponente. Lou Barlow ist vor sechs Jahren aus Los Angeles wieder nach Massachusetts gezogen, wo er mit seiner Frau Adelle und den drei Kindern wohnt. Für den Clip haben sie eigene Aufnahmen ihrer Zeit in Kalifornien gesammelt. „Als wir das Material zusammengestellt haben, schien es gut zu dem Song zu passen. Ich könnte jetzt nichts Konkretes benennen, woran ich während der Aufnahmen zu Over You gedacht habe, es kam wohl eher aus einer allgemeinen Sehnsucht meiner Teenager-Jahre. Aber ich kann auf jeden Fall sagen, dass ich den Golden State vermisse“, sagt der Mann, der mit Dinosaur Jr., Sebadoh und Folk Implosion gleich mehrere Alternative-Generationen geprägt hat. Entsprechend klassisch klingt der neue Song, dessen 100 Sekunden man sich auch von Simon & Garfunkel vorstellen könnte. Mit dem kommenden Album Reason To Live (erscheint am 28. Mai) hat sich für ihn in gewisser Weise ein Kreis geschlossen, hat Lou Barlow erkannt: „Ich hatte immer damit zu kämpfen, das Leben, das ich zuhause führe, und die Erlebnisse, die ich auf Platten aufnehme, unter einen Hut zu bringen. Auf dieser Platte ist das zum ersten Mal gelungen.“
Immanuel von Feuerhacke und David Jonathan haben schon in sehr verschiedenen Acts musiziert, das hat sie unter anderem ins Vorprogramm von Thirty Seconds To Mars und den Sportfreunden Stiller gebracht. Seit 2017 sind die beiden Wahl-Leipziger (einer geboren in Bonn, der andere in Dublin) als Herrmann aktiv. Mit Alles (***1/2) erscheint nun die erste Single des Duos. „Wir machen alles ein bisschen größer“, lautet das Versprechen darin. Als Prognose für ihre Karriere könnte das keine ganz falsche Aussage sein angesichts eines Sounds, aus dem man Falco ebenso heraushören kann wie Clueso oder Von Wegen Lisbeth. Eine EP soll im Sommer folgen, für das ebenfalls für 2021 angekündigte Debütalbum arbeiten Hermann mit den Hamburger Produzenten Krisz Kreuzer und Oliver Schmitt zusammen, zu deren Werdegang unter anderem Arbeiten für Jamaican Soundsystem, Samy Deluxe und Oli P. gehören.
Gleich zwei Songs gleichzeitig legen Braids aus Kanada vor, nämlich Slayer Moon (***) und 2020. Beide Tracks wurden aufgenommen während der Sessions zu ihrem letzten Album Shadow Offering, das im Juni erschienen ist. Sängerin Raphaelle Standell-Preston hatte sich ein Sailor Moon-Handy gekauft, als die Band in Tokio auf Tour war und hat sich davon dann zu Slayer Moon inspirieren lassen. „Ich war früher besessen von Sailor Moon, vor allem von der Möglichkeit, sich von einem normalen Mädchen in eine bärenstarke Kriegerin zu verwandeln, die sich mit den finsteren Mächten der Welt anlegt“, sagt sie. Japanische Elemente wie Pentatonik oder Shamisen-Klänge sucht man im Song zwar vergebens, immerhin scheint sich im Video aber eine junge Frau für ihre Verwandlung zur Kämpferin fit zu machen und der Sound zeigt natürlich auch, wie schnell die Metamorphose von niedlich zu aggressiv erfolgen kann. Das Trio aus Calgary ist derzeit im Studio, um neues Material zu schreiben.