Das kommt überraschend: Madsen haben eine Punk-Platte gemacht. Wer die Band aus dem Wendland etwas genauer oder schon länger kennt, weiß natürlich sehr genau, dass sie eine robuste Härte haben und auch mächtig aggressiv sein können. Töne wie auf dem Titelsong Na gut dann nicht (****) hatte man von ihnen aber trotzdem nicht erwartet. Es wird gegrölt und geknüppelt, vor allem aber Dampf abgelassen gegen allerlei Unerträglichkeiten der Gegenwart, die sich auch im Video tummeln. Auch für die Band selbst entstand das Werk fast wie aus dem Nichts: Sie hatten schon das Material für ein (reguläres) neues Album fertig, das im Sommer aufgenommen und dann mit einer Tour ins Land getragen werden sollte. Doch die Corona-Zwangspause durchkreuzte diese Pläne und wurde von Madsen genutzt, eben innerhalb von nur zwei Wochen etwas ganz Neues aus dem Boden zu stampfen. „Mitte März bin ich ins Wendland gefahren, habe den Proberaum gründlich aufgeräumt und für andere Künstler Musik geschrieben. Aber dann hatte ich plötzlich diesen Bock auf Punk“, sagt Sänger Sebastian Madsen, der damit zu seinen Wurzeln zurückkehrt. „Anfang der Neunziger gab es bei uns eine große Punk-Szene, und die erste Band die Johannes und ich gegründet haben, war natürlich eine Punk-Band. Unsere Vorbilder waren SLIME, Daily Terror, Toxoplasma oder Schleimkeim“, erzählt er. Für die aus einer eher zufälligen Intuition geborene Idee findet er dann auch noch eine sehr aktuelle Legitimation: „Krise ist gut. Zumindest für Punkmusik. Immer schon gewesen. Punk ist logische Folge und radikaler Kommentar jeder anständigen Krise – die Krise mit ihren eigenen Mitteln schlagen. Natürlich ist Punk auch eine gute Strategie, ein Überlebensreflex, lustigerweise sogar: gesellschaftsdienlich. So gesehen – na gut! Dann nicht: Rassismus, Patriarchatsfossile, Nazis, Machos, Verschwörungsbullshit, antidemokratische Scharfmacher, Religionsterror, Männerbündeleien, Waffenidioten, Monopole, Unterdrückung aller Art, Panikmache, Wissenschaftsleugner, Unvernunft.“ Das Album erscheint am 9. Oktober, im nächsten Jahr wird dann hoffentlich auch die geplante Tour stattfinden können, für die am 18. September eine Station im Haus Auensee in Leipzig eingeplant ist.
https://www.youtube.com/watch?v=eGoXhxkeCdk
Noch eine sehr willkommene Rückkehr: Vier Jahre nach dem letzten Album legen Travis am 9. Oktober das neue Werk mit dem sprechenden Titel 10 Songs vor. Drei davon gab es bereits vorab, jetzt folgt mit der neuen Single The Only Thing (***1/2) der vierte. Das Lied wartet nicht nur mit einem Auftritt von Susanna Hoffs (The Bangles) als Duettpartnerin von Fran Healy auf (der Kontakt entstand über Twitter), sondern auch mit einem sehr hübschen Video, bei dem der Sänger selbst Regie geführt hat. „Eine meiner Grundideen war, uns irgendwie alle auf derselben Bühne erscheinen zu lassen, um die Spontaneität eines Duetts einzufangen, obwohl die Beteiligten in Wirklichkeit an unterschiedlichen Orten waren. Um Susanna auf den Dreh vorzubereiten, habe ich ihr ein Video mit lauter großartigen Duetten geschickt, Summer Wine, I Got You Babe, Islands In The Stream. Dann habe ich eine kleine Crew angeheuert und konnte die Leute von Glasgows Theatre Royal überreden, uns die Türen zu öffnen.“ Der Blickkontakt, der im Video real erscheint und doch über die Distanz zweier Kontinente reicht (wie die Pointe am Ende des Clips offenbart), passt herrlich zur Grundstimmung von Harmonie, Nostalgie und Sehnsucht, die in der Zeile „When I held you it was the only thing“ steckt, natürlich auch zum klassischen Sound mit etwas Pedal-Steel und filigranen Streichern. Das anstehende Album wurde mit Robin Baynton (Coldplay, Florence & The Machine) in den Londoner RAK Studios aufgenommen – es scheint, als darf man sich da nicht nur auf sechs weitere hübsche Lieder freuen, sondern auch auf ein gelungenes Gesamtwerk.
Du bist so schön (***1/2) heißt die neue Single von Alin Coen, sie erscheint heute gleichzeitig mit dem neuen Album NAH. Fans werden das Lied schon kennen, das zuletzt recht regelmäßig in den Konzerten der gebürtigen Hamburgerin zu hören war, für eine Single aber selbst innerhalb des Singer-Songwriter-Genres erstaunlich reduziert ist. Denn was den Song ausmacht, stellt auch das Video in den Mittelpunkt: Es gibt nur Klavier, Gesang und Intensität. Es geht um die Fassungslosigkeit, die man manchmal spüren kann beim Betrachten des Glücks, und auch um die Ahnung von Schmerz, die darin steckt, weil man nun einmal um die vielfache Vergänglichkeit weiß – die Vergänglichkeit eines solchen Moments, der Schönheit und des vollkommenen Glücks. Im April/Mai 2021 soll eine große Konzertreise folgen, am 29. April 2021 ist eine Show im Leipziger Täubchenthal geplant.
https://www.youtube.com/watch?v=hQSzOzAR8Bg
Ende August wird es natürlich langsam Zeit, an den Herbst zu denken, und Gregor McEwan weiß das. Seine neue Single Halloween Costume (****) bereitet schon auf Allerheiligen vor. Wer seine jüngsten Veröffentlichungen verfolgt hat, weiß natürlich, dass er gerade eine Reihe von EPs veröffentlicht, die den Jahreszeiten gewidmet sind. Nach Spring Forward wird der Sommer zunächst übersprungen und gleich mit Autumn Falls (erscheint am 16. Oktober) weitergemacht, das auch den nun veröffentlichten Vorab-Track enthalten wird, den der Sänger als eher unkonventionellen Indie-Song beschreibt: „Er beginnt folkig und gelöst, aber endet ein bisschen verrückt und überraschend. Vielleicht ist er mein kleines Bohemian Rhapsody!?“ In der Tat wartet das Lied unter anderem mit Flügelhorn, einer dreiviertel Sekunde mit Auto-Tune und einem Heavy-Finale auf, dazu gibt es Verweise auf Kürbissuppen-Überdosis, einen Diss gegen Free Jazz und die große Hoffnung auf die alles erfüllende Liebe – selbst für die, die sie gar nicht verdient haben. Von Overkill kann trotzdem keine Rede sein: Das Gefühl von Überwältigung und Abenteuer (sowohl emotional als auch musikalisch) entsteht nicht, weil unendlich viel übereinander geschichtet oder gleichzeitig abgefeuert wird. Vielmehr werden Details wie Handclaps, Angeber-Drums, Call and Response, ein paar Schläge auf dem Ride-Becken oder die Gaststimme von Kati von Schwerin in Halloween Costume immer nur so lange eingesetzt, bis sie ihre Wirkung erzielt haben und vom nächsten guten Einfall abgelöst werden. Wie immer ist das selbst produziert und auch das schicke Video ist in Eigenregie entstanden. Drücken wir die Daumen, dass man das bald auch wieder live erleben darf, etwa am 16. Oktober im Horns Erben in Leipzig.
Auch die Antilopen Gang scharrt mit den Hufen, was die Gelegenheit zu Live-Auftritten angeht. „Aufbruch Aufbruch“ soll die Tour heißen, deren Start im Frühjahr 2021 geplant ist, passend zum letzten Album Abbruch Abbruch, das erst ein halbes Jahr alt ist und sich in seinem Titel als unfreiwillig prophetisch erwies. Die Zeit von Lockdown und Isolation nutzt die „wichtigste Rap Crew Europas“ (Selbstbeschreibung) mal eben für einen spontanen neuen Longplayer: Vor einer Woche erblickte Adrenochrom das Licht der Welt (nur digital und erstmals auf dem bandeigenen Label „Antilopen Geldwäsche“), parallel dazu gibt es ein Video zur Single Army Parka (***). Das besagte Kleidungsstück wird als ultimatives Tool zum Ladendiebstahl gepriesen, dazu gibt es Bläser und Latin-Rhythmus. Wer das ein bisschen oberflächlich findet, hat das Prinzip nicht verstanden: Die Platte soll keineswegs vom Niedergang der Zivilisation, den Triebkräften und Profiteuren der Krise oder dem gesellschaftlichen Wahnsinn handeln, der sich mit der Pandemie immer mehr Bahn bricht, sondern vor allem die Gang selbst feiern, auf die Schippe nehmen und zusammenhalten. „Wenn man wie wir mehrfach mit seinem Schaffen versehentlich die Zukunft vorausgesagt hat, dann überlegt man sehr genau, was man sagt. Kernthese des Albums ist deshalb insbesondere, dass wir glücklich, erfolgreich, reich und alle anderen Rapper Idioten sind. Letzteres ist Fakt, ersteres regelt Adrenochrom für uns“, lautet die Ankündigung. Eine schöne Erinnerung, dass es auch noch Leichtigkeit, Frotzeleien und clevere Spinner gibt.