Mudhoney Plastic Eternity

Futter für die Ohren mit Mudhoney, Clueso, Deichkind, BRKN, Talking To Turtles und Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs

Mudhoney Plastic Eternity
Nur neun Tage hatten Mudhoney für ihr elftes Album. Foto: Cargo Records / Emily Rieman

Wenn man Mark Arm fragt, warum seine Band Mudhoney auch nach 35 Jahren noch zusammen ist und am 7. April mit Plastic Eternity ihr elftes Studio-Album veröffentlichen wird, hat er eine ziemlich einfache (und überzeugende) Antwort: „Wir mögen uns und wir mögen es, zusammen in einer Band zu sein. Manche Leute veranstalten Poker-Abende oder was auch immer und haben eine Ausrede, um sich mit ihren Freunden zu treffen. Für uns ist diese Band genau das. This is what we do„, sagt der Sänger über das Musizieren mit Gitarrist Steve Turner, Bassist Guy Maddison und Schlagzeuger Dan Peters. Für die neue Platte ist das Quartett allerdings ein wenig von der üblichen Arbeitsweise abgewichen, was daran liegt, dass ihr Bassist sich zum Auswandern nach Australien entschlossen hat. Für die Aufnahmen im „Crackle & Pop!“-Studio in Seattle waren somit nur neun Tage Zeit. Erschwerend hinzu kam, dass Mudhoney während der Corona-Monate kaum proben und gemeinsam neue Ideen ausprobieren konnten. „In einem Raum stehen, sich gegenseitig ansehen und spielen“, beschreibt Mark Arm die übliche Routine der Band beim Songwriting, die diesmal nicht zum Tragen kommen konnte. Stattdessen arbeiteten sie diesmal unter anderem mit Skizzen, die schon länger existierten, aber nie richtig ausgearbeitet wurden, wie auch beim ersten Vorab-Song Almost Everything (***1/2). Wie Mark Arm verrät, haben Mudhoney das Stück ursprünglich unter dem Namen Gopal begonnen. „Es lag jahrelang im Aufnahmegerät in unserem Proberaum und wir haben es vermieden, es zu löschen, weil wir seinen swingenden Escalator-Groove immer geliebt haben.“ Das kann man gut verstehen, denn die wilden Percussions, zu denen im Animationsvideo von Arturo Baston kurz eine Sambatänzerin mit den Hüften wackelt und später auch ein Breakdancer aktiv ist, prägen den Song. Dazu kommen eine giftige Gitarre, die im Clip vielleicht von einem Gorilla/Hulk-Wesen verkörpert wird, und der nölige Gesang, der in Almost Everything wieder einmal darauf verweist: Wir sind beschränkt, auch wenn wir uns für noch so großartig halten.

„Die Vorfreude auf das Schreiben von Land Of Sleeper war anders als alles, was wir bisher erlebt hatten“, sagt Gitarrist Adam Ian Syke über das neue Album von Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs, das am 17. Februar erscheinen wird. „Diese Sessions waren für mich eine fast religiöse Erfahrung. Es fühlte sich an, als ob wir im Einklang arbeiteten, verbunden mit einem unwissenden Schwarmgeist.“ Von seinen Kollegen bei 7xPigs (für Schreibfaule) gibt es ähnlich enthusiastische Statements, und Ultimate Hammer (***1/2) bestätigt die Spielfreude des Quintetts aus Newcastle. Die erste Single bezeichnet Syke als „Nebenprodukt davon, in einem Haus gefangen zu sein und zu viel ZZ TOP zu hören“. Für Gitarrist Sam Grant, der die neue Platte auch produziert hat, ist das Stück „so etwas wie eine Quintessenz der Pigs“. Das kann man nachvollziehen, denn mit seinem Dampfwalzen-Sound macht Ultimate Hammer seinem Titel alle Ehre. Insbesondere in den langsameren Passagen ist das Stück etwas düsterer als das Material, das man von den ersten drei Alben kennt, aber die Euphorie und Begeisterung bleiben auch hier erkennbar und erwachsen aus der puren Wucht des Songs rund um die zentrale Textzeile „I keep spinning out / what a time to be alive.“ Sänger Matt Baty sagt dazu: „Alles fühlt sich im Moment so an, als ob es sich mit einer höllischen Geschwindigkeit bewegt. Bedeutende Ereignisse ziehen in einem Wimpernschlag vorbei, während wir versuchen, unseren Kopf auf einem Planeten zu halten, der sich mit etwa 1.000 Meilen pro Stunde dreht. Vielleicht war es schon immer so, aber es ist schwer, sich nicht schwindlig zu fühlen. Was für eine Zeit, um am Leben zu sein!“ Am 13. Mai sind Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs in Leipzig beim Trip Festival live zu sehen.

Rund fünf Wochen später werden auch Deichkind in Leipzig gastieren, sie bringen das am 17. Februar erscheinende Album Neues Vom Dauerzustand mit auf die Festwiese. Mit Auch im Bentley wird geweint (***1/2) gibt es einen dritten Vorab-Track, der offiziell als Single von Feature-Gast Clueso erscheint und den Eindruck der bisherigen Kostproben verstärkt, dass sich Kryptik Joe und Porky noch mehr als bisher dem Abseitigen widmen und das Plakative, das im Zweifel auch fürs Feiern oder für ein Saufgelage taugt, links liegen lassen. Die immer etwas traurige Stimme von Clueso reibt sich dabei schön mit der tanzbaren Aggressivität des Tracks. Natürlich gibt es weiterhin einen scharfen Blick auf Absurditäten des Alltags, auf Lebenslügen der Gesellschaft und auf die Ignoranz all derer, die meinen, globale oder individuelle Probleme könne man einfach mit Geld lösen / aussitzen / wegtanzen. „Ich kenne nur mehr, mehr / doch mehr fällt mir nicht ein“, wird der Widerspruch aus Wachstumswahn und innerer Leere auf den Punkt gebracht, „Ich hab Klopapier von Gucci / schneid Delfine in mein Sushi“ heißt der passende Vers zur Prunksucht und Verantwortungslosigkeit der vermeintlichen Eliten. Ein Highlight ist auch wieder das von La Perla gedrehte Video, passend zum Titel des Tracks gedreht mit der Kamera aus einer Luxuskarosse. „Wir wollten mit der teuersten, schwersten und umständlichsten Kamera der Welt drehen, die zudem auch nicht besonders gut ist. Mit dieser Kamera sollte es ein Video werden, welches man genauso gut mit jedem Handy hätte drehen können.“ sagt er zur Idee dahinter. „So wie Werner Herzog bei Fitzcaraldo unbedingt ein echtes Schiff über den Hügel ziehen musste, konnte dieses Video nur mit der Bentleykamera gedreht werden.“

BRKN wird am 29. März die Reise nach Leipzig antreten und im Conne Island auftreten. Dann hat der Rapper aus Berlin-Kreuzberg die neue EP Rahat (kommt am 24. Februar raus) im Gepäck. Der Titel ist das türkische Wort für „Ruhe“ und verweist wohl darauf, dass BRKN nach dem Erfolg seines 2021er Albums Drama mit sich im Reinen ist. „Dadurch, dass ich mich einfach getraut habe, was ich mich sonst nicht getraut habe, ist es für mich das ehrlichste Projekt bis hierhin, das Projekt, das mich am besten als die momentane Person einfängt“, sagt der Mann mit türkisch-armenisch-kurdischer Herkunft. Das mit Jakepot produzierte Sad In Mérida (***1/2) ist die erste Kostprobe der EP und unterstreicht seine Stärken: Im Deutschrap nach wie vor vernachlässigte Themen wie mentale Gesundheit und toxische Männlichkeit (und in diesem Fall offensichtlich auch der gute, alte Liebeskummer) treffen auf ein hohes Maß an Musikalität. „Ich mach’s mit Herz oder gar nicht“, stellt BRKN klar und untermalt das beispielsweise mit Gitarre, Streichern und Klavier, bevor am Ende der Beat das Kommando übernimmt. Das ist ziemlich viel Abenteuer für zweieinhalb Minuten.

Ein Leipzig-Konzert zum Comeback von Talking To Turtles gibt es natürlich auch (nämlich am 14. Mai im UT Connewitz), schließlich ist das aus Claudia und Florian Sievers bestehende Duo hier zuhause. Mit einem vierten Album der Band war nach neun Jahren Pause und dem Erfolg des männlichen Parts als Das Paradies nicht unbedingt zu rechnen. Die Single Grapefruit Knife (****) zeigt indes, wie erfreulich die Rückkehr ist. “Wir haben allen Songs und dem Moment ihrer Aufnahme vertraut, wir wollten den Prozess nicht zerdenken“, teilen Talking To Turtles mit. „Grapefruit Knife ist das besonders eingeschrieben. Die Zeilen setzen sich wie von allein zu diesem wundersamen Bild zusammen. Die Musik haben wir uns dann erst im Studio kurz vor der Aufnahme erspielt.” Unterstützt wurden sie dabei von Max Schröder (Die Höchste Eisenbahn) am Schlagzeug, der Sound ist so, wie die erste Textzeile des Songs es andeutet: „Casual yet luxurious.“ Auch als „careless delight“ (ebenfalls ein Auszug aus dem Text) könnte das Lied durchgehen, das tiefenentspannt und elegant ist, ein wenig wie Belle & Sebastian ohne Überschwang. Der Clip unterstreicht wunderbar die pure Freude an der Musik, die man hier hören kann: Jedem Instrument und jedem Teil des technischen Equipments wird mit Begeisterung und Neugier auf die darin steckenden Möglichkeiten begegnet. Das neue Album mit zehn Songs wird And What’s On Your Mind heißen und am 17. März veröffentlicht.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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